Der Todschlaeger
nicht trinken könne, was man
ihm schließlich nicht als Verbrechen
anrechnen dürfe. Er pflichtete sogar Goujet
bei, denn es sei ja doch ein Glück, niemals
Durst zu haben. Und er sprach davon, arbeiten
zu gehen, als Lantier ihm mit seiner
vornehmen Miene eines feinen Menschen
einen Verweis erteilte: man bezahle seine
Lage, bevor man verdufte; man lasse seine
Freunde nicht wie Lumpen stehen, selbst wenn
man seiner Pflicht nachgehen wolle.
»Will der uns noch lange mit seiner Arbeit
anöden?« schrie MeineBotten.
»Dann ist das also Ihre Lage, mein Herr?«
fragte Vater Colombe Coupeau.
Coupeau bezahlte seine Lage.
Aber als RöstfleischBibi an die Reihe kam,
beugte er sich hinüber zum Ohr des Wirtes,
der mit langsamem Kopfschütteln ablehnte.
MeineBotten begriff und fing wieder an, Vater
Colombe, diesen verschrobenen Kerl, zu
beschimpfen. Was! Ein klappriger Alter seines
Schlages erlaube sich einem Kumpel
gegenüber schlechte Manieren? Alle
Fuselhändler gaben auf Pump! In so eine
Stampe müsse man kommen, um sich
beleidigen zu lassen!
Der Wirt blieb ruhig, wiegte sich an der
Schanktischbank auf seinen dicken Fäusten
hin und her und sagte immer wieder höflich:
»Leihen Sie dem Herrn Geld, das ist
einfacher.«
»Himmelsakrament, ja, ich werde ihm welches
leihen!« brüllte MeineBotten. »Da, Bibi,
schmeiß ihm sein Geld in die Fresse, diesem
gekauften Subjekt!« In Schwung gebracht,
gereizt durch den Beutel, den Coupeau über
der Schulter behalten hatte, fuhr er dann fort,
indem er sich an den Bauklempner wandte:
»Du siehst aus wie eine Amme. Laß dein
Wickelkind fahren. Das macht bucklig.«
Coupeau zögerte einen Augenblick; und
friedfertig, als habe er sich nach reiflichen
Überlegungen entschlossen, stellte er seinen
Beutel auf die Erde und sagte:
»Jetzt ist es zu spät. Ich werde nach dem
Mittagessen zu Bourguignon gehen. Ich werde
sagen, meine Alte hat Bauchschmerzen
bekommen ... Hören Sie mal zu, Vater
Colombe, ich lasse mein Werkzeug unter der
Bank da, ich hole es mittags wieder ab.«
Lantier billigte diese Abmachung mit einem
Kopfnicken. Man müsse arbeiten, das stehe
außer Zweifel; bloß, wenn man mit Freunden
zusammen sei, so gehe die Höflichkeit vor.
Das Verlangen nach einer Sauferei hatte sie
nach und nach alle vier, deren Hände schwer
waren und die sich mit dem Blick abtasteten,
gekitzelt und benommen gemacht. Und da sie
nun fünf Bummelstunden vor sich hatten,
wurden sie jäh von lärmender Freude erfaßt,
versetzten einander Klapse und brüllten sich
Koseworte ins Gesicht. Besonders Coupeau,
der erleichtert, verjüngt war, nannte die
anderen »altes Haus«. Man feuchtete sich noch
mit einer Runde für alle an; dann ging man in
den »Puce qui renifle«78, eine kleine
Spelunke, wo es ein Billard gab. Der
Hutmacher machte einen Augenblick ein
langes Gesicht, weil das kein sehr sauberes
Haus war; der Fusel kostete dort einen Franc
den Liter, eine halbe Flasche mit zwei Gläsern
zehn Sous, und die Gäste des Lokals hatten so
viele Sudeleien auf dem Billard vollführt, daß
die Bälle darauf klebenblieben. Aber als die
Partie erst einmal angefangen hatte, fand
Lantier, der über eine außergewöhnliche
Stoßtechnik verfügte, seine Freundlichkeit und
seine gute Laune wieder, brachte seinen
Oberkörper zur Geltung und begleitete jede
Karambolage mit einem effektvollen
Hüftschwung.
Als die Zeit zum Mittagessen kam, hatte
Coupeau eine Idee; er stampfte mit den Füßen
auf und rief:
»Wir müssen Salzschnabel abholen. Ich weiß,
wo er arbeitet ... Wir nehmen ihn mit zu
Mutter Louis, Hammelfüße in Buttertunke
essen.«
Die Idee wurde mit Beifall aufgenommen. Ja,
Salzschnabel, genannt Trinkohndurst, mußte
es nötig haben, Hammelfüße in Buttertunke zu
essen. Sie brachen auf. Die Straßen waren
gelb, leichter Regen fiel; aber ihnen war
innerlich schon zu warm, als daß sie diesen
schwachen Guß auf ihre Knochen gespürt
hätten. Coupeau führte sie in die Rue Marcadet
zu der Schraubenfabrik. Da sie eine gute halbe
Stunde vor der Pause ankamen, gab der
Bauklempner einem Bengel zwei Sous, damit
er hineingehe und Salzschnabel sage, seiner
Alten sei übel und sie verlange sofort nach
ihm. Sich in den Hüften wiegend, erschien der
Schmied sogleich und sah recht ruhig aus, weil
seine Nase eine Fresserei witterte.
»Aha, ihr Freßsäcke!« sagte er, sobald er sie,
in einer Haustür versteckt, erblickte.
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