Der Todschlaeger
nicht noch
einmal. Er war mehrmals mit ihr allein und
verhielt sich ruhig. Er schien nun mit der
Kaldaunenhändlerin beschäftigt zu sein, einer
Frau von fünfundvierzig Jahren, die sich sehr
gut gehalten hatte. Gervaise sprach in Goujets
Anwesenheit von der Kaldaunenhändlerin, um
ihn zu beruhigen. Sie antwortete Virginie und
Frau Lerat, wenn diese den Hutmacher lobten,
daß er durchaus ohne ihre Bewunderung
auskommen könne, da ja alle Nachbarinnen in
ihn verschossen seien.
Coupeau brüllte im Viertel herum, Lantier sei
ein Freund, ein wirklicher Freund. Man könne
über sie geifern, er wisse, was er wisse, und
das Geklatsche sei ihm schnuppe, da er die
Ehrbarkeit nun mal auf seiner Seite habe.
Wenn sie sonntags alle drei ausgingen, nötigte
er seine Frau und den Hutmacher, Arm in Arm
vor ihm herzugehen, bloß um auf der Straße
anzugeben; und er blickte die Leute an,
durchaus bereit, ihnen eins auf die Nase zu
verpassen, daß das Blut kam, wenn sie sich
den geringsten Scherz erlaubt hätten. Freilich,
er fand Lantier ein bißchen dummstolz,
beschuldigte ihn, beim Sprit zimperlich zu tun,
und zog ihn auf, weil er lesen konnte und wie
ein Rechtsanwalt sprach. Aber abgesehen
davon, erklärte er, der sei ein prima Kerl. Im
Viertel La Chapelle hätte man nicht zwei so
handfeste Burschen finden können. Kurz, sie
verstanden sich, sie waren füreinander
geschaffen. Die Freundschaft mit einem Mann
ist handfester als die Liebe zu einer Frau.
Eins muß man sagen: Coupeau und Lantier
leisteten sich zusammen Gelage, daß es nur so
brummte. Lantier borgte sich nun Geld von
Gervaise, zehn Francs, zwanzig Francs, wenn
er merkte, daß Geld im Hause war. Das war
stets für seine großen Geschäfte. An diesen
Tagen verleitete er dann Coupeau, sprach von
einer lange dauernden Besorgung und nahm
ihn mit; und Nase an Nase hinten in einem
benachbarten Restaurant an einem Tisch
sitzend, jagten sie sich Gerichte durch den
Schlund, die man zu Hause nicht essen kann
und die mit originalabgefülltem Wein
begossen wurden. Der Bauklempner hätte
Futtereien von mehr hausbackener Art
vorgezogen, aber er war von den piekfeinen
Geschmacksrichtungen des Hutmachers
beeindruckt, der auf der Speisekarte
ungewöhnliche Saucennamen entdeckte. Man
machte sich keinen Begriff von einem so
überempfindlichen und so schwer
zufriedenzustellenden Menschen. Im Süden
sind sie alle so, scheint es. So wollte er nichts,
was Verstopfung verursache, er stellte über
jedes Fleischgericht vom gesundheitlichen
Standpunkt Erörterungen an und ließ das
Fleisch zurücktragen, wenn es ihm zu stark
gesalzen oder gepfeffert vorkam. Noch
schlimmer war es mit der Zugluft, davor hatte
er eine Heidenangst, er schimpfte das ganze
Lokal aus, wenn eine Tür halb offenblieb.
Dazu war er sehr knauserig und gab dem
Kellner zwei Sous bei Mahlzeiten von sieben
und acht Francs. Gleichviel, man zitterte vor
ihm, man kannte sie gut auf den äußeren
Boulevards von Les Batignolles bis Belleville.
Sie gingen zum Boulevard des Batignolles, um
Kaidaunen auf normannische Art zu essen, die
man ihnen auf kleinen Wärmpfannen servierte.
Unterhalb vom Montmartre fanden sie die
besten Austern des Viertels in der »Ville de
BarleDuc«70. Wenn sie sich auf die Anhöhe
bis zur »Moulin de la Galette«71
hinaufwagten, schmorte man ihnen ein
Kaninchen in Butter. Die Spezialität von »Les
Lilas«72 in der Rue des Martyrs war
Kalbskopf, während die Restaurants »Lion
d'Or«73 und »Les Deux Marronniers«74 in der
Chaussée de Clignancourt ihnen in Butter
geschmorte Nieren reichten, nach denen man
sich alle Finger leckte. Doch sie wandten sich
öfters nach links in Richtung Belleville, sie
hatten ihren reservierten Tisch in »Les
Vendanges de Bourgogne«75, im »Cadran
Bleu«76 und im »Capucin«, zuverlässigen
Häusern, wo man alles mit geschlossenen
Augen verlangen konnte. Es waren heimliche
Ausflüge, von denen sie am nächsten Morgen
mit verhüllten Worten sprachen, wenn sie in
Gervaises Kartoffeln herumstocherten. Eines
Tages brachte Lantier sogar eine Frau in eine
Laube der »Moulin de la Galette« mit, mit der
Coupeau ihn beim Nachtisch allein ließ.
Natürlich kann man nicht flottmachen und
arbeiten. So war denn auch seit der Aufnahme
des Hutmachers in die Familie der
Bauklempner, der schon nicht schlecht
faulenzte, dahin gelangt, daß er kein Werkzeug
mehr anrührte. Wenn er sich, des
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