Der Todschlaeger
mit
schicksalergebener Miene die Achseln. Mein
Gott, daran mußte man sich eben gewöhnen.
Sie lief ihrem Mann nicht nach; wenn sie ihn
in einer Weinschenke erblickte, machte sie
sogar einen Umweg, um ihn nicht zu erzürnen;
und sie wartete, bis er heimkam, horchte
nachts, ob er nicht vor der Tür schnarche. Er
legte sich auf einen Müllhaufen schlafen, auf
eine Bank, auf einem unbebauten Grundstück,
quer über einen Rinnstein. Am nächsten Tag
brach er mit seinem schlecht ausgeschlafenen
Rausch vom Vortage wieder auf, klopfte an
die Läden der Budiken, startete von neuem zu
einem rasenden Rennen inmitten von
Schnapsgläsern, Schoppen und Literflaschen,
verlor seine Freunde und fand sie wieder,
unternahm Wanderungen, von denen er
betäubt zurückkam, sah die Straßen tanzen, die
Nacht hereinbrechen und den Morgen grauen,
ohne einen anderen Gedanken zu haben, als zu
trinken und den Rausch an Ort und Stelle
auszuschlafen. Wenn er seinen Rausch
ausschlief, war es zu Ende. Doch am zweiten
Tag ging Gervaise zu Vater Colombes
»Assommoir«, zum »Totschläger«, um
Bescheid zu wissen; dort hatte man ihn
fünfmal gesehen, mehr konnte man ihr nicht
sagen. Sie mußte sich damit begnügen, das
unter der Bank liegengebliebene Werkzeug
mitzunehmen.
Als Lantier am Abend sah, daß die Wäscherin
verdrossen war, schlug er ihr vor, sie ins
Tingeltangel auszuführen, bloß um mal einen
Augenblick angenehm zu verbringen. Zuerst
lehnte sie ab, ihr sei nicht nach Lachen
zumute. Sonst hätte sie nicht nein gesagt, denn
der Hutmacher machte ihr sein Angebot mit zu
ehrbarer Miene, als daß sie irgendeine
Hinterhältigkeit geargwöhnt hätte. Er schien
Anteil an ihrem Unglück zu nehmen und
zeigte sich wirklich väterlich. Coupeau hatte
noch nie zwei Nächte außer Haus geschlafen.
Daher pflanzte sie sich auch unwillkürlich alle
zehn Minuten an der Tür auf, ohne ihr Eisen
loszulassen, und schaute nach beiden Enden
der Straße, ob ihr Mann nicht käme. Das war
ihr in die Beine gefahren, wie sie sagte, ein
Prickeln, das sie daran hinderte, auf einem
Fleck zu bleiben. Gewiß, Coupeau konnte sich
ja ein Glied brechen, konnte unter einen
Wagen geraten und dabei draufgehen; dann
wäre sie ihn schön los gewesen, und sie wehrte
sich dagegen, in ihrem Herzen die geringste
Freundschaft für einen schmutzigen Kerl
dieses Schlages zu bewahren. Es war doch
schließlich eine Plage, sich immer zu fragen,
ob er heimkommen würde oder nicht. Und als
Lantier, während das Gas angezündet wurde,
abermals zu ihr von dem Tingeltangel sprach,
nahm sie an. Nach alledem kam es ihr zu
dumm vor, ein Vergnügen abzuschlagen, wo
ihr Mann doch seit drei Tagen herumsumpfte.
Da er nun mal nicht heimkam, würde sie
ebenfalls ausgehen. Sollte die Bude
abbrennen, wenn sie wollte. Sie hätte selbst
den Krempel in Brand stecken mögen, so sehr
begann ihr die Widerwärtigkeit des Lebens in
die Nase zu steigen.
Man aß schnell zu Abend. Als Gervaise um
acht Uhr am Arm des Hutmachers fortging, bat
sie Mama Coupeau und Nana, gleich zu Bett
zu gehen. Der Laden war geschlossen. Sie
ging durch die Hoftür hinaus und gab den
Schlüssel Frau Boche, wobei sie ihr sagte,
wenn ihr Schwein heimkäme, so solle sie so
freundlich sein und ihn ins Bett bringen.
Gut gekleidet und ein Liedchen pfeifend,
erwartete sie der Hutmacher am Tor. Sie hatte
ihr Seidenkleid an. Langsam gingen sie den
Bürgersteig
entlang,
eng
aneinandergeschmiegt, von den Schlaglichtern
der Läden beschienen, in denen zu sehen war,
wie sie mit einem Lächeln halblaut
miteinander sprachen.
Das Tingeltangel lag am Boulevard de
Rochechouart, ein ehemaliges kleines Café,
das man nach einem Hof zu durch eine
Bretterbude vergrößert hatte. An der Tür
deutete eine Reihe von Glaskugeln eine
leuchtende Säulenhalle an. Lange, auf
Holztafeln geklebte Plakate standen in Höhe
des Rinnsteins auf der Erde.
»Wir sind da«, sagte Lantier. »Heute abend
erstes Auftreten von Mademoiselle Amanda,
Genresängerin.«
Aber er erblickte RöstfleischBibi, der
gleichfalls das Plakat las. Bibi hatte ein blaues
Auge, irgendein Faustschlag, den er am
Vortage abbekommen hatte.
»Na, und Coupeau?« fragte der Hutmacher
und sah sich suchend um. »Habt ihr Coupeau
denn verloren?«
»Oh, schon lange, seit gestern«, antwortete der
andere. »Beim Fortgehen von Mutter Baquet
hat es Faustschläge gesetzt. Ich kann
Handgreiflichkeiten nicht
Weitere Kostenlose Bücher