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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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mit
    schicksalergebener Miene die Achseln. Mein
    Gott, daran mußte man sich eben gewöhnen.
    Sie lief ihrem Mann nicht nach; wenn sie ihn
    in einer Weinschenke erblickte, machte sie
    sogar einen Umweg, um ihn nicht zu erzürnen;
    und sie wartete, bis er heimkam, horchte
    nachts, ob er nicht vor der Tür schnarche. Er
    legte sich auf einen Müllhaufen schlafen, auf
    eine Bank, auf einem unbebauten Grundstück,
    quer über einen Rinnstein. Am nächsten Tag
    brach er mit seinem schlecht ausgeschlafenen
    Rausch vom Vortage wieder auf, klopfte an
    die Läden der Budiken, startete von neuem zu
    einem rasenden Rennen inmitten von
    Schnapsgläsern, Schoppen und Literflaschen,
    verlor seine Freunde und fand sie wieder,
    unternahm Wanderungen, von denen er
    betäubt zurückkam, sah die Straßen tanzen, die
    Nacht hereinbrechen und den Morgen grauen,
    ohne einen anderen Gedanken zu haben, als zu
    trinken und den Rausch an Ort und Stelle
    auszuschlafen. Wenn er seinen Rausch
    ausschlief, war es zu Ende. Doch am zweiten
    Tag ging Gervaise zu Vater Colombes
    »Assommoir«, zum »Totschläger«, um
    Bescheid zu wissen; dort hatte man ihn
    fünfmal gesehen, mehr konnte man ihr nicht
    sagen. Sie mußte sich damit begnügen, das
    unter der Bank liegengebliebene Werkzeug
    mitzunehmen.
    Als Lantier am Abend sah, daß die Wäscherin
    verdrossen war, schlug er ihr vor, sie ins
    Tingeltangel auszuführen, bloß um mal einen
    Augenblick angenehm zu verbringen. Zuerst
    lehnte sie ab, ihr sei nicht nach Lachen
    zumute. Sonst hätte sie nicht nein gesagt, denn
    der Hutmacher machte ihr sein Angebot mit zu
    ehrbarer Miene, als daß sie irgendeine
    Hinterhältigkeit geargwöhnt hätte. Er schien
    Anteil an ihrem Unglück zu nehmen und
    zeigte sich wirklich väterlich. Coupeau hatte
    noch nie zwei Nächte außer Haus geschlafen.
    Daher pflanzte sie sich auch unwillkürlich alle
    zehn Minuten an der Tür auf, ohne ihr Eisen
    loszulassen, und schaute nach beiden Enden
    der Straße, ob ihr Mann nicht käme. Das war
    ihr in die Beine gefahren, wie sie sagte, ein
    Prickeln, das sie daran hinderte, auf einem
    Fleck zu bleiben. Gewiß, Coupeau konnte sich
    ja ein Glied brechen, konnte unter einen
    Wagen geraten und dabei draufgehen; dann
    wäre sie ihn schön los gewesen, und sie wehrte
    sich dagegen, in ihrem Herzen die geringste
    Freundschaft für einen schmutzigen Kerl
    dieses Schlages zu bewahren. Es war doch
    schließlich eine Plage, sich immer zu fragen,
    ob er heimkommen würde oder nicht. Und als
    Lantier, während das Gas angezündet wurde,
    abermals zu ihr von dem Tingeltangel sprach,
    nahm sie an. Nach alledem kam es ihr zu
    dumm vor, ein Vergnügen abzuschlagen, wo
    ihr Mann doch seit drei Tagen herumsumpfte.
    Da er nun mal nicht heimkam, würde sie
    ebenfalls ausgehen. Sollte die Bude
    abbrennen, wenn sie wollte. Sie hätte selbst
    den Krempel in Brand stecken mögen, so sehr
    begann ihr die Widerwärtigkeit des Lebens in
    die Nase zu steigen.
    Man aß schnell zu Abend. Als Gervaise um
    acht Uhr am Arm des Hutmachers fortging, bat
    sie Mama Coupeau und Nana, gleich zu Bett
    zu gehen. Der Laden war geschlossen. Sie
    ging durch die Hoftür hinaus und gab den
    Schlüssel Frau Boche, wobei sie ihr sagte,
    wenn ihr Schwein heimkäme, so solle sie so
    freundlich sein und ihn ins Bett bringen.
    Gut gekleidet und ein Liedchen pfeifend,
    erwartete sie der Hutmacher am Tor. Sie hatte
    ihr Seidenkleid an. Langsam gingen sie den
    Bürgersteig

    entlang,

    eng
    aneinandergeschmiegt, von den Schlaglichtern
    der Läden beschienen, in denen zu sehen war,
    wie sie mit einem Lächeln halblaut
    miteinander sprachen.
    Das Tingeltangel lag am Boulevard de
    Rochechouart, ein ehemaliges kleines Café,
    das man nach einem Hof zu durch eine
    Bretterbude vergrößert hatte. An der Tür
    deutete eine Reihe von Glaskugeln eine
    leuchtende Säulenhalle an. Lange, auf
    Holztafeln geklebte Plakate standen in Höhe
    des Rinnsteins auf der Erde.
    »Wir sind da«, sagte Lantier. »Heute abend
    erstes Auftreten von Mademoiselle Amanda,
    Genresängerin.«
    Aber er erblickte RöstfleischBibi, der
    gleichfalls das Plakat las. Bibi hatte ein blaues
    Auge, irgendein Faustschlag, den er am
    Vortage abbekommen hatte.
    »Na, und Coupeau?« fragte der Hutmacher
    und sah sich suchend um. »Habt ihr Coupeau
    denn verloren?«
    »Oh, schon lange, seit gestern«, antwortete der
    andere. »Beim Fortgehen von Mutter Baquet
    hat es Faustschläge gesetzt. Ich kann
    Handgreiflichkeiten nicht

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