Der Todschlaeger
verpaßt hat«, erzählte Salzschnabel,
genannt Trinkohndurst. »Mein Ehrenwort!
Und um nichts und wieder nichts, bloß weil sie
sich schikanierten. Badinguet war benebelt.«
»Bleibt uns doch mit eurer Politik vom
Leibe!« schrie der Bauklempner. »Lest die
Mordfälle vor, das ist spaßiger.« Und zu
seinem Spiel zurückkehrend, meldete er eine
Terz von der Neun und drei Damen an: »Ich
habe eine niedere Terz und drei Täubchen ...
Die Krinolinen verlassen mich nicht.«
Man leerte die Gläser.
Lantier fing an, laut vorzulesen:
»Soeben stürzte ein entsetzliches Verbrechen
die Gemeinde Gaillon (SeineetMarne) in
Schrecken. Ein Sohn erschlug seinen Vater mit
dem Spaten, um ihm dreißig Sous zu
stehlen ...«
Alle stießen einen Schrei des Entsetzens aus.
Das sei einer, du meine Güte, bei dem sie mit
Vergnügen zuschauen würden, wie er einen
Kopf kürzer gemacht wird! Nein, die
Guillotine sei nicht genug; in kleine Stücke
sollte man ihn hacken. Eine
Kindesmordgeschichte empörte sie ebenfalls;
aber der Hutmacher, der sehr moralisch war,
sprach die Frau von Schuld frei, indem er die
ganze Schuld auf ihren Verführer schob, denn
wenn ein Lump von einem Mann dieser
Unglücklichen schließlich kein Gör gemacht
hätte, so hätte sie keins in den Abtritt werfen
können. Was sie jedoch begeisterte, das waren
die Heldentaten des Marquis de T ..., der um
zwei Uhr morgens von einem Ball gekommen
war und sich auf dem Boulevard des Invalides
gegen drei üble Strolche verteidigt hatte; ohne
auch nur seine Handschuhe auszuziehen, hatte
er sich der ersten beiden Schurken dadurch
entledigt, daß er ihnen seinen Kopf in den
Bauch rannte, und hatte den dritten an einem
Ohr zur Wache geführt. So eine Forsche, was!
Dumm, daß er adlig war.
»Nun hört euch mal das an«, fuhr Lantier fort,
»Ich gehe zu den Gesellschaftsnachrichten
über: ›Die Gräfin de Brétigny verheiratet ihre
älteste Tochter mit dem jungen Baron de
Valançay, Adjutant Seiner Majestät. Unter den
Brautgeschenken befinden sich für über
dreihunderttausend Francs Spitzen ...‹«
»Was schert uns das?« unterbrach Röstfleisch
Bibi. »Man fragt sie ja nicht nach der Farbe
ihres Hemdes ... Die Kleine mag noch so viel
Spitzen haben, deshalb sieht sie ihre beiden
Halbmonde doch durch dasselbe Loch wie die
andern.«
Als Lantier Miene machte, zu Ende
vorzulesen, nahm ihm Salzschnabel, genannt
Trinkohndurst, die Zeitung weg und setzte sich
drauf, wobei er sagte:
»Ach nein, genug davon! – Da liegt sie
warm ... Dazu ist das Papier ja bloß gut.«
MeineBotten, der sein Spiel betrachtete,
schlug indessen triumphierend mit der Faust
auf den Tisch. Er hatte dreiundneunzig.
»Ich habe Revolution«, schrie er. »Große
Quinte von Kreuz ... Zwanzig, nicht wahr?
Dann große Terz von Karo, dreiundzwanzig;
drei Könige, sechsundzwanzig; drei Buben,
neunundzwanzig;
drei
Asse,
zweiundneunzig ... Und ich spiele Jahr I der
Republik81, dreiundneunzig.«
»Du bist ausgeplündert, alter Freund«, schrien
die anderen Coupeau zu.
Man bestellte zwei weitere Liter. Die Gläser
wurden nicht mehr leer, die Sauferei nahm zu.
Gegen fünf Uhr begann es widerlich zu
werden, so daß Lantier schwieg und zu flitzen
gedachte; sobald man herumgrölte und den
Wein auf die Erde plemperte, war es nicht
mehr sein Geschmack. Eben stand Coupeau
auf, um das Säuferkreuz zu schlagen. Beim
Kopf sprach er Montpernasse82, bei der
rechten Schulter Ménilmonte83, bei der linken
Schulter La Courtille84, bei der Mitte des
Bauches Bagnolet85 und bei der Herzgrube
dreimal geschmortes Kaninchen. Da erreichte
der Hutmacher, indem er sich das durch diese
Übung verursachte Geschrei zunutze machte,
seelenruhig die Tür. Die Kumpel merkten
seinen Aufbruch nicht einmal. Er hatte bereits
ganz schön einen sitzen. Aber draußen
schüttelte ersieh und fand seine Sicherheit
wieder; und er kehrte seelenruhig in den Läden
zurück, wo er Gervaise erzählte, Coupeau sei
mit Freunden zusammen.
Es vergingen zwei Tage, der Bauklempner
hatte sich nicht wieder blicken lassen. Er trieb
sich im Viertel herum, man wußte nicht genau
wo. Leute sagten jedoch, sie hätten ihn bei
Mutter Baquet, im »Papillon« und im »Petit
Bonhomme qui tousse« gesehen. Bloß
behaupteten die einen, er sei allein gewesen,
während die anderen ihn in Gesellschaft von
sieben oder acht Säufern seines Schlages
getroffen hatten. Gervaise zuckte
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