Der Todschlaeger
ergattern.
Daß sie Coupeau nicht mehr verabscheute als
Lantier, bewies, wie hausbacken und bieder
das wurde. Im Théâtre de la Gaîté86 hatte sie
in einem Stück eine Schlampe gesehen, die
ihren Mann nicht ausstehen konnte und ihn
wegen ihres Geliebten vergiftete; und Gervaise
war böse geworden, weil sie nichts
dergleichen in ihrem Herzen fühlte. War es
denn nicht vernünftiger, wenn sie alle drei in
gutem Einvernehmen lebten? Nein, nein, keine
solchen Dummheiten; das störte das Leben,
das sowieso schon nichts sehr Lustiges an sich
hatte. Kurzum, trotz der Schulden, trotz des
Elends, das sie alle bedrohte, hätte sie sich
noch als sehr ruhig und zufrieden bezeichnet,
wenn der Bauklempner und der Hutmacher sie
weniger geschunden und angebrüllt hätten.
Gegen den Herbst zu nahm es mit dem
Haushalt unglücklicherweise eine noch
schlechtere Wendung. Lantier behauptete
abzumagern und zog ein Gesicht, das jeden
Tag länger wurde. Er mäkelte an allem herum,
nörgelte über die Töpfe voll Kartoffeln, einen
Fraß, von dem er nichts essen könne, wie er
sagte, ohne Leibschneiden zu bekommen. Die
geringsten. Zwistigkeiten endeten jetzt mit
Zänkereien, bei denen man sich die Pleite des
Hauses an den Kopf warf, und bevor jeder in
sein Heiabett pennen ging, war der Teufel los,
bis man sich wieder aussöhnte. Wenn keine
Kleie mehr da ist, balgen sich die Esel, nicht
wahr?
Lantier witterte die Klemme, es brachte ihn
auf, als er fühlte, daß die Wirtschaft schon
durchgebracht und so ausgeplündert war, daß«
er den Tag kommen sah, an dem er seinen Hut
würde nehmen und anderswo Unterschlupf
und Futter suchen müssen. Er war sehr an sein
Nest gewöhnt und hatte dort, von jederman
umhätschelt, seine kleinen Gewohnheiten
angenommen; ein richtiges Schlaraffenland,
für dessen Annehmlichkeiten er niemals würde
Ersatz finden können. Freilich, man kann sich
nicht bis zu den Ohren vollschlagen und die
Bissen immer noch auf dem Teller haben.
Nach alledem sollte er eigentlich in Zorn
geraten auf seinen Bauch, da das Haus ja jetzt
in seinem Bauche war. Aber er urteilte
durchaus nicht so, er hegte einen gewaltigen
Groll gegen die anderen, daß sie sich in zwei
Jahren hatten reinreißen lassen. Wirklich, die
Coupeaus hatten nicht gerade ein breites
Kreuz. Nun schrie er, Gervaise lasse es an
Sparsamkeit fehlen. Himmeldonnerwetter!
Was sollte denn aus einem werden?
Ausgerechnet die Freunde ließen ihn im Stich,
wo er drauf und dran sei, ein ausgezeichnetes
Geschäft abzuschließen, sechstausend Francs
Gehalt in einer Fabrik, genug, um die ganze
kleine Familie in Luxus leben zu lassen.
Im Dezember gab es eines Abends nichts zu
essen. Es war kein roter Heller mehr da.
Lantier ging ganz finster frühzeitig aus und
streifte planlos umher, um eine andere Bude zu
finden, wo der Küchengeruch die Gesichter
aufhellte. Er verweilte stundenlang neben der
Maschine und überlegte. Dann bezeigte er auf
einmal eine große Freundschaft zu den
Poissons. Er zog den Polizisten nicht mehr
damit auf, daß er ihn Badinguet nannte, und
ging sogar so weit, ihm zuzugestehen, daß der
Kaiser vielleicht doch ein guter Kerl sei. Er
schien vor allem Virginie zu schätzen, eine
Frau mit Verstand, wie er sagte, die ihr Schiff
ganz schön zu steuern verstünde. Es war
offensichtlich, er schmeichelte ihnen. Man
konnte sogar glauben, er wolle bei ihnen in
Kost gehen. Aber er hatte einen Nischel, der
einer Schachtel mit doppeltem Boden glich
und der noch viel komplizierter war als so
was. Da Virginie ihm ihren Wunsch mitgeteilt
hatte, sich als Händlerin mit irgend etwas
selbständig zu machen, kroch er vor ihr herum
und erklärte dieses Vorhaben für sehr tüchtig.
Ja, sie müsse wie geschaffen sein für den
Handel, groß, einnehmend, rege. Oh, sie
würde verdienen, was sie wolle. Da das Geld,
die Erbschaft von einer Tante, ja seit langem
bereitliege, habe sie völlig recht, die paar
Kleider fahrenzulassen, die sie in der Saison
zusammenschustere, um sich aufs Geschäft zu
verlegen. Und er führte Leute an, die im
Begriff stünden, sich ein Vermögen zu
erwerben: die Obsthändlerin an der
Straßenecke und eine kleine Fayencehändlerin
am äußeren Boulevard; denn der Zeitpunkt sei
prächtig, man hätte den Kehricht von den
Ladentischen verkaufen können. Virginie
zögerte jedoch, sie suchte einen Laden, der zu
vermieten war, sie wünschte das Viertel nicht
zu
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