Der Todschlaeger
nannte
sie
einen
Erzdummkopf,
eine
Ehrabschneiderin, ein hochfahrendes Weib
und ließ sich so weit hinreißen, daß er sogar
Coupeau selbst einen Bauern schimpfte und
ihn beschuldigte, er könne einem Freunde
keine Achtung seitens seiner Frau verschaffen.
Als er dann begriff, daß der Zorn alles
gefährden würde, schwor er, sich nie wieder
um die Geschichten anderer zu kümmern,
denn das werde einem zu schlecht vergolten;
und er schien tatsächlich nicht weiter auf die
Abtretung des Pachtvertrages zu dringen,
während er auf eine Gelegenheit lauerte, um
wieder auf die Angelegenheit zu sprechen zu
kommen und die Wäscherin umzustimmen.
Der Januar war gekommen, ein schmutziges
Wetter, feucht und kalt. Mama Coupeau, die
den ganzen Dezember über gehustet und kaum
Luft bekommen hatte, mußte sich nach dem
Dreikönigsfest ins Bett legen. Das waren ihre
Jahreszinsen; jeden Winter wartete sie darauf.
Doch diesen Winter sagte man in ihrer
Umgebung, sie würde nur noch mit den Füßen
voran ihre Stube verlassen; sie hatte zwar ein
erbärmliches Röcheln an sich, das ganz schön
nach Sarg klang, war jedoch dick und fett, und
ein Auge war bereits tot und das halbe Gesicht
verzerrt. Ihre Kinder hätten ihr bestimmt nicht
den Rest gegeben; nur, sie schleppte sich
schon so lange dahin und war so sehr im
Wege, daß man ihren Tod im Grunde als eine
Erlösung für alle herbeiwünschte. Sie selbst
würde ja viel glücklicher daran sein, denn ihre
Zeit war nun abgelaufen, nicht wahr, und
wenn die Zeit abgelaufen ist, dann hat man
nichts mehr zu bedauern. Der Arzt, den man
einmal gerufen hatte, war nicht mal mehr
wiedergekommen. Man gab ihr Kräutertee,
bloß um sie nicht völlig aufzugeben. Alle
Stunden ging man hinein, um nachzusehen, ob
sie noch lebte. Sie sprach nicht mehr, so
schwer bekam sie Luft; aber mit ihrem gesund,
lebendig und klar gebliebenen Auge sah sie
die Menschen starr an; und in diesem Auge
lagen viele Dinge: Trauer um die schönsten
Jahre, Trübsal darüber, daß die Ihren es so
eilig hatten, sie loszuwerden, Zorn auf Nana,
diese lasterhafte Göre, die sich nachts nicht
mehr genierte, im Hemd zur Glastür zu gehen
und zu lauern.
Eines Montagabends kehrte Coupeau blau
heim. Seitdem seine Mutter in Gefahr
schwebte, lebte er in ständiger Rührung. Als er
im Bett lag und wie ein Murmeltier
schnarchte, ging Gervaise noch einen
Augenblick umher. Sie wachte einen Teil der
Nacht bei Mama Coupeau übrigens zeigte sich
Nana sehr brav, schlief immer bei der Alten
und sagte, wenn sie sie sterben höre, würde sie
schon alle benachrichtigen. Da die Kleine
schlief und die Kranke friedlich zu
schlummern schien, gab die Wäscherin in
dieser Nacht schließlich doch Lantier nach, der
sie von seiner Stube aus rief, zu ihm zu
kommen, um sich ein bißchen auszuruhen. Sie
ließen nur eine Kerze angezündet, die hinter
dem Schrank auf der Erde stand. Aber gegen
drei Uhr sprang Gervaise, vor Kälte zitternd
und von Angst gepackt, jäh aus dem Bett. Sie
glaubte gespürt zu haben, wie ihr ein kalter
Hauch über den Leib strich. Der Kerzenstumpf
war heruntergebrannt, benommen band sie mit
fiebrigen Händen ihre Unterröcke in der
Dunkelheit zusammen. Erst in der Kammer
konnte sie, nachdem sie sich an den Möbeln
gestoßen hatte, eine kleine Lampe anzünden.
In das drückende Schweigen der Finsternis
brachte allein das Schnarchen des
Bauklempners zwei tiefe Töne hinein. Nana,
die auf dem Rücken ausgestreckt dalag, atmete
leise zwischen ihren aufgeworfenen Lippen.
Und nachdem Gervaise die Lampe
heruntergeschraubt hatte, die große Schatten
umhertanzen ließ, leuchtete sie Mama
Coupeau ins Gesicht und sah, daß sie ganz
weiß war und daß der Kopf mit offenen Augen
auf die Schulter herabgerollt war. Mama
Coupeau war tot.
Zu Eis erstarrt und vorsichtig kehrte die
Wäscherin leise, ohne einen Schrei
auszustoßen, in Lantiers Stube zurück. Er war
wieder eingeschlafen. Sie beugte sich herab
und flüsterte:
»Hör doch, es ist zu Ende, sie ist tot.«
Ganz schlaftrunken, nicht richtig wach,
brummte er zuerst:
»Laß mich in Ruhe, leg dich hin ... Wir
können nichts für sie tun, wenn sie tot ist.«
Dann richtete er sich auf einen Ellbogen auf
und fragte: »Wie spät ist es?«
»Drei Uhr.«
»Drei Uhr erst? Leg dich doch hin. Da wirst
dir was wegholen ... Wenn es Tag wird,
werden wir weitersehen.«
Aber sie hörte nicht auf ihn, sie zog
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