Der Todschlaeger
wieder
versetzen zu müssen. Dann pfiff sie auf ihre
Sachen, ließ sie verlorengehen, verkaufte die
Pfandscheine. Nur eines brach ihr das Herz,
nämlich ihre Stutzuhr zu versetzen, um einen
Schuldschein über zwanzig Francs an einen
Gerichtsvollzieher zu bezahlen, der sie
pfänden kam. Bis dahin hatte sie geschworen,
lieber zu verhungern, als ihre Stutzuhr
anzurühren. Als Mama Coupeau sie in einer
kleinen Hutschachtel wegtrug, sank sie mit
schlaff en Armen und feuchten Augen auf
einen Stuhl, als hätte man ihr Glück
weggenommen. Doch als Mama Coupeau mit
fünfundzwanzig Francs wiedererschien,
tröstete sie dieses unerwartete Darlehen, diese
fünf Francs Gewinn; sofort schickte sie die
alte Frau los, um in einem Glas ein
Schnäpschen für vier Sous zu holen, bloß um
das Hundertsousstück zu feiern. Wenn sie sich
gut miteinander verstanden, pichelten sie nun
oft auf diese Weise ihr Schnäpschen, einen
Gemischten, halb Branntwein, halb
Schwarzbeersaft, auf einer Ecke des
Werktisches. Mama Coupeau hatte den Bogen
raus, das volle Glas in ihrer Schürzentasche
zurückzutragen, ohne ein Tröpfchen zu
verschütten. Die Nachbarn brauchten nicht
Bescheid zu wissen, nicht wahr? In Wahrheit
wußten die Nachbarn vollkommen Bescheid.
Die Obsthändlerin, die Kaidaunenhändlerin
und die Verkäufer des Kolonialwarenhändlers
sagten: »Schau, schau! Die Alte geht zum
Versatzamt«, oder auch: »Schau, schau! Die
Alte bringt ihren Fusel in der Tasche zurück.«
Und selbstverständlich brachte dies das Viertel
noch mehr gegen Gervaise auf. Sie verfraß
alles, sie würde mit ihrer Bude bald fertig sein.
Ja, ja, nur noch drei oder vier Happen, und die
Stätte würde ratzekahl leer sein.
Inmitten dieses allgemeinen Niederreißens
gedieh Coupeau. Dieser verdammte Säufer
war kerngesund. Der Krätzer und der Sprit
machten ihn tatsächlich fett. Er aß viel, machte
sich lustig über Lorilleux, diesen
ausgemergelten Kerl, der den Suff
beschuldigte, die Leute umzubringen, und
antwortete ihm, indem er sich auf den Bauch
klopfte, dessen vom Fett gespannte Haut
einem Trommelfell glich. Musik spielte er ihm
darauf vor, das Vesper läuten für das Maul,
Paukenwirbel und schläge, die das Glück eines
Zahnausreißers ausgemacht hätten. Aber
Lorilleux, der ärgerlich war, daß er keinen
Bauch hatte, sagte, das sei gelbes Fett,
schlechtes Fett. Gleichviel, Coupeau besoff
sich noch »mehr, um seiner Gesundheit willen.
Sein graumeliertes, wie von einem Windstoß
zerzaustes Haar flammte wie ein Brändele.
Sein Säufergesicht mit dem Affenkiefer wurde
kupfern und nahm die Farbtönungen
schlechten Rotweins an. Und er blieb ein Kind
der Fröhlichkeit; er knuffte seine Frau, wenn
sie es sich einfallen ließ, ihm ihre Nöte zu
erzählen. Waren die Männer etwa dazu da,
sich um diese Scherereien zu kümmern? In der
Bude mochte es an Brot fehlen, das ging ihn
nichts an. Er brauchte morgens und abends
sein Futter, und er machte sich nie Sorgen, wo
es herkam. Wenn er ganze Wochen zubrachte,
ohne zu arbeiten, wurde er noch
anspruchsvoller. Im übrigen versetzte er
Lantier immer noch freundschaftliche Klapse
auf die Schultern. Er wußte sicherlich nichts
von dem schlechten Lebenswandel seiner
Frau; zumindest schworen Leute wie die
Boches und die Poissons bei allen Heiligen,
daß er nichts ahne und daß es ein großes
Unglück wäre, wenn er die Sache jemals
erführe. Aber Frau Lerat, seine eigene
Schwester, schüttelte den Kopf und erzählte,
sie kenne Ehemänner, denen das nicht
mißfalle. Eines Nachts hatte es Gervaise, die
aus der Stube des Hutmachers zurückkam,
selber ganz kalt überlaufen, als sie im Finstern
einen Klaps auf den Hintern bekam; dann hatte
sie sich schließlich beruhigt, sie glaubte sich
am Seitenteil des Bettes gestoßen zu haben.
Wahrhaftig, die Situation war zu schrecklich;
ihr Mann konnte doch nicht seinen Spaß daran
haben, ihr einen Schabernack zu spielen.
Auch Lantier siechte nicht dahin. Er pflegte
sich sehr, maß seinen Bauch nach seinem
Hosengurt, in der ständigen Furcht, die
Schnalle enger anziehen oder lockerer machen
zu müssen. Er fühlte sich sehr wohl, er wollte
aus Eitelkeit weder dicker noch dünner
werden. Infolgedessen war er beim Essen
schwer zufriedenzustellen, denn er prüfte alle
Gerichte daraufhin, ob sie seine Figur nicht
veränderten. Selbst wenn kein Sou im Hause
war, brauchte er Eier, Koteletts, nahrhafte
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