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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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wieder
    versetzen zu müssen. Dann pfiff sie auf ihre
    Sachen, ließ sie verlorengehen, verkaufte die
    Pfandscheine. Nur eines brach ihr das Herz,
    nämlich ihre Stutzuhr zu versetzen, um einen
    Schuldschein über zwanzig Francs an einen
    Gerichtsvollzieher zu bezahlen, der sie
    pfänden kam. Bis dahin hatte sie geschworen,
    lieber zu verhungern, als ihre Stutzuhr
    anzurühren. Als Mama Coupeau sie in einer
    kleinen Hutschachtel wegtrug, sank sie mit
    schlaff en Armen und feuchten Augen auf
    einen Stuhl, als hätte man ihr Glück
    weggenommen. Doch als Mama Coupeau mit
    fünfundzwanzig Francs wiedererschien,
    tröstete sie dieses unerwartete Darlehen, diese
    fünf Francs Gewinn; sofort schickte sie die
    alte Frau los, um in einem Glas ein
    Schnäpschen für vier Sous zu holen, bloß um
    das Hundertsousstück zu feiern. Wenn sie sich
    gut miteinander verstanden, pichelten sie nun
    oft auf diese Weise ihr Schnäpschen, einen
    Gemischten, halb Branntwein, halb
    Schwarzbeersaft, auf einer Ecke des
    Werktisches. Mama Coupeau hatte den Bogen
    raus, das volle Glas in ihrer Schürzentasche
    zurückzutragen, ohne ein Tröpfchen zu
    verschütten. Die Nachbarn brauchten nicht
    Bescheid zu wissen, nicht wahr? In Wahrheit
    wußten die Nachbarn vollkommen Bescheid.
    Die Obsthändlerin, die Kaidaunenhändlerin
    und die Verkäufer des Kolonialwarenhändlers
    sagten: »Schau, schau! Die Alte geht zum
    Versatzamt«, oder auch: »Schau, schau! Die
    Alte bringt ihren Fusel in der Tasche zurück.«
    Und selbstverständlich brachte dies das Viertel
    noch mehr gegen Gervaise auf. Sie verfraß
    alles, sie würde mit ihrer Bude bald fertig sein.
    Ja, ja, nur noch drei oder vier Happen, und die
    Stätte würde ratzekahl leer sein.
    Inmitten dieses allgemeinen Niederreißens
    gedieh Coupeau. Dieser verdammte Säufer
    war kerngesund. Der Krätzer und der Sprit
    machten ihn tatsächlich fett. Er aß viel, machte
    sich lustig über Lorilleux, diesen
    ausgemergelten Kerl, der den Suff
    beschuldigte, die Leute umzubringen, und
    antwortete ihm, indem er sich auf den Bauch
    klopfte, dessen vom Fett gespannte Haut
    einem Trommelfell glich. Musik spielte er ihm
    darauf vor, das Vesper läuten für das Maul,
    Paukenwirbel und schläge, die das Glück eines
    Zahnausreißers ausgemacht hätten. Aber
    Lorilleux, der ärgerlich war, daß er keinen
    Bauch hatte, sagte, das sei gelbes Fett,
    schlechtes Fett. Gleichviel, Coupeau besoff
    sich noch »mehr, um seiner Gesundheit willen.
    Sein graumeliertes, wie von einem Windstoß
    zerzaustes Haar flammte wie ein Brändele.
    Sein Säufergesicht mit dem Affenkiefer wurde
    kupfern und nahm die Farbtönungen
    schlechten Rotweins an. Und er blieb ein Kind
    der Fröhlichkeit; er knuffte seine Frau, wenn
    sie es sich einfallen ließ, ihm ihre Nöte zu
    erzählen. Waren die Männer etwa dazu da,
    sich um diese Scherereien zu kümmern? In der
    Bude mochte es an Brot fehlen, das ging ihn
    nichts an. Er brauchte morgens und abends
    sein Futter, und er machte sich nie Sorgen, wo
    es herkam. Wenn er ganze Wochen zubrachte,
    ohne zu arbeiten, wurde er noch
    anspruchsvoller. Im übrigen versetzte er
    Lantier immer noch freundschaftliche Klapse
    auf die Schultern. Er wußte sicherlich nichts
    von dem schlechten Lebenswandel seiner
    Frau; zumindest schworen Leute wie die
    Boches und die Poissons bei allen Heiligen,
    daß er nichts ahne und daß es ein großes
    Unglück wäre, wenn er die Sache jemals
    erführe. Aber Frau Lerat, seine eigene
    Schwester, schüttelte den Kopf und erzählte,
    sie kenne Ehemänner, denen das nicht
    mißfalle. Eines Nachts hatte es Gervaise, die
    aus der Stube des Hutmachers zurückkam,
    selber ganz kalt überlaufen, als sie im Finstern
    einen Klaps auf den Hintern bekam; dann hatte
    sie sich schließlich beruhigt, sie glaubte sich
    am Seitenteil des Bettes gestoßen zu haben.
    Wahrhaftig, die Situation war zu schrecklich;
    ihr Mann konnte doch nicht seinen Spaß daran
    haben, ihr einen Schabernack zu spielen.
    Auch Lantier siechte nicht dahin. Er pflegte
    sich sehr, maß seinen Bauch nach seinem
    Hosengurt, in der ständigen Furcht, die
    Schnalle enger anziehen oder lockerer machen
    zu müssen. Er fühlte sich sehr wohl, er wollte
    aus Eitelkeit weder dicker noch dünner
    werden. Infolgedessen war er beim Essen
    schwer zufriedenzustellen, denn er prüfte alle
    Gerichte daraufhin, ob sie seine Figur nicht
    veränderten. Selbst wenn kein Sou im Hause
    war, brauchte er Eier, Koteletts, nahrhafte

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