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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Maschine
    wirkte in ihrer Ecke wie der Bruch alten
    Gußeisens von einem Trödler; der Werktisch
    schien einer ganzen Garnison als Tafel gedient
    zu haben, war mit Kaffee und Wein befleckt,
    mit Eingemachtem bekleistert und fettig von
    den Schmausereien am Montag. Dazu ein
    säuerlicher Stärkegeruch, ein Gestank, der von
    Schimmel, angebranntem Fett und Dreck
    hervorgerufen wurde. Aber Gervaise fühlte
    sich darin sehr wohl. Sie hatte nicht
    wahrgenommen, wie der Laden verdreckte; sie
    ließ sich gehen in ihm und gewöhnte sich an
    die zerfetzte Tapete, an die schmierigen
    Holzverkleidungen, wie sie auch dahin
    gelangte, zerschlitzte Röcke zu tragen und sich
    die Ohren nicht mehr zu waschen. Sogar der
    Schmutz war ein warmes Nest, darin
    zusammenzukauern ein Genuß für sie war. Die
    Dinge in heillosem Durcheinander lassen,
    warten, bis der Staub die Löcher zustopfte und
    überall Samt hinlegte, fühlen, wie das Haus
    um sie her träge wurde in nichtstuerischem
    Benommensein, das war eine wahre Wollust,
    an der sie sich berauschte. Zuerst ihre Ruhe;
    um das übrige scherte sie sich den Teufel. Ihre
    Schulden, die doch immer noch anwuchsen,
    quälten sie nicht mehr. Sie verlor an
    Redlichkeit; man würde bezahlen oder nicht
    bezahlen, die Sache blieb unbestimmt, und es
    war ihr lieber, nicht Bescheid zu wissen.
    Sperrte man ihr in einem Hause den Kredit, so
    nahm sie im Nebenhaus einen neuen auf. Sie
    rannte, daß die Funken stoben, durch das
    Viertel, alle zehn Schritte hatte sie Schulden.
    Allein schon in der Rue de la Goutted'Or
    wagte sie nicht mehr beim Kohlenhändler,
    beim Kaufmann und bei der Obsthändlerin
    vorbeizugehen, was sie veranlaßte, den
    Umweg durch die Rue des Poissonniers zu
    machen, wenn sie zum Waschhaus ging, eine
    Strecke von gut zehn Minuten. Die Lieferanten
    kamen und schimpften sie eine Schurkin.
    Eines Abends wiegelte der Mann, der ihr die
    Möbel für Lantier verkauft hatte, die Nachbarn
    auf; er brüllte, er werde ihr die Röcke
    hochheben und sich an der dummen Person
    schadlos halten, wenn sie ihm sein Geld nicht
    verabfolge. Sicher, nach solchen Auftritten
    zitterte sie; nur schüttelte sie sich wie ein
    geprügelter Hund, und es war vorbei, sie aß
    deswegen abends nicht schlechter. Solche
    unverschämten Kerle, die sie anödeten! Sie
    hatte gar kein Geld, sie konnte doch nicht etwa
    welches herstellen! Außerdem betrogen die
    Händler genug, sie waren dazu da, um zu
    warten. Und sie schlief in ihrem Loch wieder
    ein und vermied es, an das zu denken, was
    notwendigerweise eines Tages eintreten
    mußte. Sie würde über die Klinge springen,
    bei Gott, aber bis dahin wünschte sie nicht
    geärgert zu werden.
    Indessen

    war

    Mama

    Coupeau
    wiederhergestellt. Ein Jahr lang fristete der
    Haushalt noch sein Leben. Im Sommer gab es
    natürlich immer ein bißchen mehr Arbeit: die
    weißen Unterröcke und die Perkalkleider der
    Bummlerinnen vom äußeren Boulevard. Auf
    ein langsames Verkommen lief das hinaus,
    jede Woche die Nase tiefer im Dreck, mit
    Höhen und Tiefen jedoch, mit Abenden, an
    denen man sich vor dem leeren
    Küchenschrank den Bauch rieb, und mit
    anderen Abenden, an denen man bis zum
    Platzen Kalbfleisch aß. Auf den Bürgersteigen
    war nur noch Mama Coupeau zu sehen, die
    Pakete unter ihrer Schürze verbarg und im
    Spaziergängerschritt zum Leihhaus in der Rue
    Polonceau ging. Sie krümmte den Rücken und
    hatte

    den

    versunkenen

    und
    feinschmeckerischen Gesichtsausdruck einer
    Frömmlerin, die zur Messe geht, denn sie
    verabscheute das nicht, die Geldgeschichten
    machten ihr Spaß, diese Schachereien einer
    Händlerin mit alten Modegegenständen
    kitzelten ihre Leidenschaften einer alten
    Klatschbase. Die Angestellten in der Rue
    Polonceau kannten sie gut; sie nannten sie
    »Mutter Vier Francs«, weil sie immer vier
    Francs verlangte, wenn sie drei boten für ihre
    Pakete, die so groß waren wie für zwei Sous
    Butter. Gervaise hätte das ganze Haus
    verschleudern mögen; die Verpfändungssucht
    war über sie gekommen, sie hätte sich den
    Kopf geschoren, wenn man ihr auf ihr Haar
    etwas hätte leihen wollen. Es war zu bequem,
    man konnte nicht umhin, dort Kleingeld zu
    holen, wenn man auf ein Vierpfundbrot
    wartete. Die ganzen Habseligkeiten gingen
    drauf, die Wäsche, die Kleidungsstücke, ja
    sogar das Handwerkszeug und die Möbel.
    Anfangs machte sie sich die guten Wochen
    zunutze, um die Sachen auszulösen, auf die
    Gefahr hin, sie in der nächsten Woche

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