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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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verlassen. Da zog Lantier sie in die Ecken
    und redete ganz leise an die zehn Minuten lang
    mit ihr. Er schien ihr mit Gewalt etwas
    aufzudrängen, und sie sagte nicht mehr nein,
    sie sah aus, als ermächtige sie ihn zum
    Handeln. Das war gleichsam ein Geheimnis
    zwischen ihnen, mit Augenzwinkern, raschen
    Worten, eine heimliche Machenschaft, die sich
    sogar in ihrem Händedruck verriet. Von
    diesem Augenblick an belauerte der
    Hutmacher, während er sein trockenes Brot aß,
    die Coupeaus mit seinem versteckten Blick,
    war wieder sehr gesprächig geworden, machte
    sie ganz benommen mit seinen ständigen
    Jammereien. Den ganzen Tag wandelte
    Gervaise in diesem Elend, das er wohlgefällig
    ausbreitete. Großer Gott, er spreche nicht
    seinetwegen. Er würde, solange man wolle,
    mit den Freunden vor Hunger verrecken. Bloß
    erheische die Klugheit, daß man sich genau
    über die Lage klar werde. Man sei im Viertel
    wenigstens fünfhundert Francs schuldig, beim
    Bäcker, beim Kohlenhändler, beim Kaufmann
    und bei anderen. Außerdem sei man zwei
    Quartale mit der Miete im Rückstand, was
    abermals zweihundertfünfzig Francs seien; der
    Hausbesitzer, Herr Marescot, spreche sogar
    davon, sie zu exmittieren, wenn sie nicht bis
    zum 1. Januar bezahlten. Schließlich habe das
    Leihhaus alles weggenommen, man hätte nicht
    für drei Francs Nippsachen mehr hintragen
    können, so bedenklich sei der Ausverkauf der
    Wohnung; die Nägel blieben an den Wänden,
    weiter nichts, und Nägel gäbe es gut zwei
    Pfund für drei Sous.
    Gervaise, die darin verstrickt war und wie
    zerschlagen war von dieser Aufzählung, wurde
    ärgerlich, hieb mit der Faust auf den Tisch
    oder heulte schließlich auch wie ein
    Schloßhund. Eines Abends schrie sie:
    »Morgen haue ich ab! – Lieber will ich den
    Schlüssel unter die Tür legen und auf dem
    Bürgersteig schlafen als weiter in solchen
    Ängsten leben.«
    »Es wäre klüger«, sagte Lantier hinterhältig,
    »den Pachtvertrag abzutreten, wenn man
    jemanden fände ... Wenn ihr beide
    entschlossen seid, den Laden aufzugeben ...«
    Sie unterbrach ihn mit größerer Heftigkeit:
    »Aber sofort, sofort! – Ach, da wäre ich eine
    schöne Last los!«
    Nun erwies sich der Hutmacher als sehr
    praktisch. Wenn man den Pachtvertrag abtrete,
    so würde man zweifellos von dem neuen
    Mieter die beiden rückständigen Quartale
    bekommen. Und er wagte sich damit heraus,
    von den Poissons zu sprechen, er erinnerte
    daran, daß Virginie ein Geschäft suche; der
    Laden würde ihr vielleicht zusagen. Jetzt
    entsinne er sich, gehört zu haben, daß sie einen
    ganz ähnlichen gewünscht habe.
    Aber bei Virginies Namen hatte die Wäscherin
    plötzlich ihre Ruhe wiedergewonnen. Man
    würde sehen; im Zorn spreche man immer
    davon, sein Zuhause aufzugeben, nur scheine
    die Sache nicht so leicht zu sein, wenn man
    nachdenke.
    An den folgenden Tagen mochte Lantier noch
    so sehr von neuem mit seinen Litaneien
    anfangen, Gervaise erwiderte, sie sei schon
    schlimmer dran gewesen und habe sich aus der
    Patsche geholfen. Das wäre was Rechtes,
    wenn sie ihren Laden nicht mehr hätte! Das
    würde ihr kein Brot einbringen. Sie werde im
    Gegenteil wieder Arbeiterinnen einstellen und
    sich eine neue Kundschaft schaffen. Dies sagte
    sie, um sich gegen die guten Gründe des
    Hutmachers zu sträuben, der nachwies, daß sie
    am Boden lag, erdrückt von den Unkosten,
    ohne Hoffnung, sich wieder hochzurappeln.
    Aber er beging die Ungeschicklichkeit, erneut
    Virginies Namen auszusprechen, und da
    versteifte sie sich wütend. Nein, nein, niemals!
    Sie habe stets an Virginies Freundschaft
    gezweifelt, und wenn Virginie nach dem
    Laden strebe, so deshalb, um sie zu demütigen.
    Vielleicht hätte sie ihn an die erste beste Frau
    auf der Straße abgetreten, aber nicht an diese
    große Heuchlerin, die sicherlich seit Jahren
    darauf warte, zu sehen, wie sie pleite gehe. Oh,
    das erkläre alles. Jetzt verstehe sie, warum sich
    in den Katzenaugen dieser leichten Person
    gelbe Funken entzündeten. Ja, Virginie habe
    die Arschhiebe im Waschhaus nicht vergessen,
    sie lasse ihren Groll unter der Asche
    schmoren. Na schön, sie würde klug daran tun,
    sich ihre Arschhiebe einzurahmen, falls sie
    nicht noch mal welche kriegen wolle. Und das
    würde nicht lange dauern, sie könne ihre
    Knallbüchse schon immer fertigmachen.
    Angesichts dieser Flut von bösen Reden rückte
    Lantier Gervaise erst mal zurecht; er

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