Der Todschlaeger
verlassen. Da zog Lantier sie in die Ecken
und redete ganz leise an die zehn Minuten lang
mit ihr. Er schien ihr mit Gewalt etwas
aufzudrängen, und sie sagte nicht mehr nein,
sie sah aus, als ermächtige sie ihn zum
Handeln. Das war gleichsam ein Geheimnis
zwischen ihnen, mit Augenzwinkern, raschen
Worten, eine heimliche Machenschaft, die sich
sogar in ihrem Händedruck verriet. Von
diesem Augenblick an belauerte der
Hutmacher, während er sein trockenes Brot aß,
die Coupeaus mit seinem versteckten Blick,
war wieder sehr gesprächig geworden, machte
sie ganz benommen mit seinen ständigen
Jammereien. Den ganzen Tag wandelte
Gervaise in diesem Elend, das er wohlgefällig
ausbreitete. Großer Gott, er spreche nicht
seinetwegen. Er würde, solange man wolle,
mit den Freunden vor Hunger verrecken. Bloß
erheische die Klugheit, daß man sich genau
über die Lage klar werde. Man sei im Viertel
wenigstens fünfhundert Francs schuldig, beim
Bäcker, beim Kohlenhändler, beim Kaufmann
und bei anderen. Außerdem sei man zwei
Quartale mit der Miete im Rückstand, was
abermals zweihundertfünfzig Francs seien; der
Hausbesitzer, Herr Marescot, spreche sogar
davon, sie zu exmittieren, wenn sie nicht bis
zum 1. Januar bezahlten. Schließlich habe das
Leihhaus alles weggenommen, man hätte nicht
für drei Francs Nippsachen mehr hintragen
können, so bedenklich sei der Ausverkauf der
Wohnung; die Nägel blieben an den Wänden,
weiter nichts, und Nägel gäbe es gut zwei
Pfund für drei Sous.
Gervaise, die darin verstrickt war und wie
zerschlagen war von dieser Aufzählung, wurde
ärgerlich, hieb mit der Faust auf den Tisch
oder heulte schließlich auch wie ein
Schloßhund. Eines Abends schrie sie:
»Morgen haue ich ab! – Lieber will ich den
Schlüssel unter die Tür legen und auf dem
Bürgersteig schlafen als weiter in solchen
Ängsten leben.«
»Es wäre klüger«, sagte Lantier hinterhältig,
»den Pachtvertrag abzutreten, wenn man
jemanden fände ... Wenn ihr beide
entschlossen seid, den Laden aufzugeben ...«
Sie unterbrach ihn mit größerer Heftigkeit:
»Aber sofort, sofort! – Ach, da wäre ich eine
schöne Last los!«
Nun erwies sich der Hutmacher als sehr
praktisch. Wenn man den Pachtvertrag abtrete,
so würde man zweifellos von dem neuen
Mieter die beiden rückständigen Quartale
bekommen. Und er wagte sich damit heraus,
von den Poissons zu sprechen, er erinnerte
daran, daß Virginie ein Geschäft suche; der
Laden würde ihr vielleicht zusagen. Jetzt
entsinne er sich, gehört zu haben, daß sie einen
ganz ähnlichen gewünscht habe.
Aber bei Virginies Namen hatte die Wäscherin
plötzlich ihre Ruhe wiedergewonnen. Man
würde sehen; im Zorn spreche man immer
davon, sein Zuhause aufzugeben, nur scheine
die Sache nicht so leicht zu sein, wenn man
nachdenke.
An den folgenden Tagen mochte Lantier noch
so sehr von neuem mit seinen Litaneien
anfangen, Gervaise erwiderte, sie sei schon
schlimmer dran gewesen und habe sich aus der
Patsche geholfen. Das wäre was Rechtes,
wenn sie ihren Laden nicht mehr hätte! Das
würde ihr kein Brot einbringen. Sie werde im
Gegenteil wieder Arbeiterinnen einstellen und
sich eine neue Kundschaft schaffen. Dies sagte
sie, um sich gegen die guten Gründe des
Hutmachers zu sträuben, der nachwies, daß sie
am Boden lag, erdrückt von den Unkosten,
ohne Hoffnung, sich wieder hochzurappeln.
Aber er beging die Ungeschicklichkeit, erneut
Virginies Namen auszusprechen, und da
versteifte sie sich wütend. Nein, nein, niemals!
Sie habe stets an Virginies Freundschaft
gezweifelt, und wenn Virginie nach dem
Laden strebe, so deshalb, um sie zu demütigen.
Vielleicht hätte sie ihn an die erste beste Frau
auf der Straße abgetreten, aber nicht an diese
große Heuchlerin, die sicherlich seit Jahren
darauf warte, zu sehen, wie sie pleite gehe. Oh,
das erkläre alles. Jetzt verstehe sie, warum sich
in den Katzenaugen dieser leichten Person
gelbe Funken entzündeten. Ja, Virginie habe
die Arschhiebe im Waschhaus nicht vergessen,
sie lasse ihren Groll unter der Asche
schmoren. Na schön, sie würde klug daran tun,
sich ihre Arschhiebe einzurahmen, falls sie
nicht noch mal welche kriegen wolle. Und das
würde nicht lange dauern, sie könne ihre
Knallbüchse schon immer fertigmachen.
Angesichts dieser Flut von bösen Reden rückte
Lantier Gervaise erst mal zurecht; er
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