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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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hatte die Gesellschaft leise zu
    lachen begonnen. Die Nachtwache wurde
    heiter bei Wahrung des Anstandes.
    Aber als man den Glühwein austrank, kam ein
    seltsames Geräusch, ein dumpfes Geriesel, aus
    der Kammer. Alle hoben den Kopf und sahen
    sich an.
    »Das ist nichts weiter«, sagte Lantier
    seelenruhig und senkte die Stimme. »Sie
    entleert sich.«
    Diese Erklärung bewirkte, daß man mit
    beruhigter Miene mit dem Kopf nickte, und
    die Gesellschaft stellte die Gläser auf den
    Tisch zurück.
    Schließlich zogen sich die Poissons zurück.
    Lantier brach mit ihnen auf; er gehe zu seinem
    Freund, sagte er, um sein Bett den Damen zu
    überlassen, die sich der Reihe nach jede eine
    Stunde darin ausruhen könnten. Lorilleux ging
    hinauf, um sich allein schlafen zu legen, und
    sagte immer wieder, das sei ihm seit seiner
    Hochzeit nicht passiert. Alsdann richteten sich
    Gervaise und die beiden Schwestern, die mit
    dem schlafenden Coupeau zurückgeblieben
    waren, am Ofen ein, auf dem sie Kaffee warm
    hielten. Dort saßen sie zusammengekauert,
    ganz gebeugt, die Hände unter der Schürze,
    die Nase überm Feuer, und redeten ganz leise
    in der tiefen Stille des Viertels. Frau Lorilleux
    greinte: sie habe kein schwarzes Kleid, sie
    wolle es jedoch gern vermeiden, eins zu
    kaufen, denn sie seien arg in der Klemme, arg
    in der Klemme; und sie horchte Gervaise aus
    und fragte, ob Mama Coupeau nicht einen
    schwarzen Rock hinterlassen habe, jenen
    Rock, den man ihr zum Namenstag geschenkt
    hatte. Gervaise mußte den Rock holen. Mit
    einer Falte in der Taille könnte er zu
    gebrauchen sein. Aber Frau Lorilleux wollte
    auch alte Wäsche, sprach vom Bett, vom
    Schrank, von den beiden Stühlen und blickte
    sich suchend nach dem Trödel um, den man
    teilen müsse. Beinahe hätte man sich
    überworfen. Frau Lerat stiftete Frieden; sie
    war gerechter: die Coupeaus hätten die Last
    mit der Mutter gehabt und hätten ihre paar
    Klamotten durchaus verdient. Und wiederum
    schlummerten sie alle drei bei eintönigem
    Geschwätz über dem Ofen ein. Die Nacht kam
    ihnen schrecklich lang vor. Ab und zu
    schüttelten sie sich, tranken Kaffee, streckten
    den Kopf in die Kammer vor, wo die Kerze,
    die man nicht putzen durfte, mit roter und
    trauriger Flamme brannte, die durch die
    verkohlten Schnuppen des Dochtes größer
    geworden war. Gegen Morgen bibberten sie
    trotz der starken Hitze des Ofens. Ihre Zungen
    waren trocken, ihre Augen krank, und eine
    Bangigkeit, eine Müdigkeit vom zu vielen
    Reden benahm ihnen den Atem. Frau Lerat
    warf sich auf Lantiers Bett und schnarchte wie
    ein Mann, während die anderen beiden, deren
    Kopf herabgesunken war und die Knie
    berührte, vor dem Feuer schliefen. Beim
    Tagesgrauen weckte sie ein Frösteln. Soeben
    war Mama Coupeaus Kerze abermals
    ausgegangen. Und da das dumpfe Geriesel in
    der Dunkelheit wieder einsetzte, gab Frau
    Lorilleux mit lauter Stimme die Erklärung, um
    sich selber zu beruhigen.
    »Sie entleert sich«, wiederholte sie und
    zündete eine andere Kerze an.
    Die Beerdigung war auf halb elf Uhr
    festgesetzt. Ein schöner Vormittag im
    Vergleich zur Nacht und dem
    vorhergegangenen Tag! Das heißt, Gervaise
    würde, obgleich sie keinen Sou besaß,
    demjenigen hundert Francs gegeben haben, der
    Mama Coupeau drei Stunden früher abgeholt
    hätte. Nein, man mag die Menschen noch so
    sehr lieben – wenn sie tot sind, sind sie zu
    beschwerlich; ja, je mehr man sie liebt, desto
    schneller möchte man sie loswerden.
    Der Vormittag einer Beerdigung ist zum Glück
    voller Ablenkungen. Man hat allerhand
    Vorbereitungen zu treffen. Zuerst wurde
    gefrühstückt. Dann kam ausgerechnet Vater
    Bazouge, der Leichenträger aus dem sechsten
    Stock, der den Sarg und den Sack mit Kleie
    brachte. Er wurde nicht nüchtern, dieser brave
    Mann. An diesem Tage war er um acht Uhr
    noch ganz fidel von einem Rausch, den er sich
    am Vortage angetrunken hatte.
    »So, es ist doch hier, nicht wahr?« fragte er.
    Und er stellte den Sarg hin, der dabei krachte
    wie ein neuer Kasten. Aber als er den Sack mit
    Kleie daneben warf, blieb er mit aufgerissenen
    Augen und offenem Munde stehen, weil er
    Gervaise vor sich erblickte. »Verzeihung,
    Entschuldigung, ich habe mich geirrt«,
    stotterte er. »Man hatte mir gesagt, es sei bei
    Ihnen.«
    Er hatte den Sack bereits wieder
    aufgenommen, und die Wäscherin mußte ihm
    zurufen:
    »Lassen Sie das doch sein, es ist ja hier.«
    »Na, Himmeldonnerwetter! Da muß man sich
    deutlich

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