Der Todschlaeger
die Leiche, hoben sie hoch,
zwei an den Füßen, zwei am Kopf. Schneller
kann man keinen Krapfen wenden. Die Leute,
die einen langen Hals machten, konnten
glauben, Mama Coupeau sei von allein in den
Kasten gesprungen. Sie war dort
hineingerutscht, als sei sie da zu Hause, oh,
ganz knapp, so knapp, daß man gehört hatte,
wie sie sich an dem neuen Holz scheuerte. Sie
stieß an allen Seiten an, ein richtiges Gemälde
in einem Rahmen. Aber schließlich paßte sie
rein, was die Anwesenden in Erstaunen setzte;
sie mußte sicherlich seit dem Vortage
abgenommen haben. Unterdessen hatten sich
die Leichenträger wieder aufgerichtet und
warteten; der kleine Schieläugige nahm den
Deckel, um die Familie aufzufordern, den
letzten Abschied zu nehmen, während sich
Bazouge Nägel in den Mund steckte und den
Hammer bereithielt. Da warfen sich Coupeau,
seine beiden Schwestern, Gervaise und noch
andere auf die Knie und küßten die scheidende
Mama unter großen Tränen, deren heiße
Tropfen herabfielen und über dieses steif
gewordene, eiskalte Gesicht rollten.
Anhaltendes Schluchzen war zu hören. Der
Deckel würde niedergelassen. Vater Bazouge
schlug seine Nägel mit dem Geschick eines
Packers ein, zwei Schläge für jeden Stift. Und
in diesem Radau, wie beim Ausbessern von
Möbeln, hörte sich niemand mehr weinen. Es
war vorbei. Man brach auf.
»Ist es denn die Möglichkeit, zu einem solchen
Zeitpunkt so dickezutun!« sagte Frau Lorilleux
zu ihrem Mann, als sie den Leichenwagen vor
der Tür erblickte.
Der Leichenwagen versetzte das Viertel in
Aufruhr. Die Kaldaunenhändlerin rief die
Verkäufer des Kolonialwarenhändlers, der
kleine Uhrmacher war auf den Bürgersteig
herausgetreten, die Nachbarn beugten sich aus
den Fenstern. Und alle diese Leute redeten
über den Behang mit weißen
Baumwollfransen. Ach, die Coupeaus hätten
besser daran getan, ihre Schulden zu bezahlen!
Aber wenn man hochmütig ist, so komme das
überall und um jeden Preis zum Vorschein,
wie die Lorilleux erklärten.
»Es ist eine Schande!« sagte Gervaise im
gleichen Augenblick mehrmals und meinte
damit den Kettenmacher und seine Frau.
»Wenn man bedenkt, daß diese Geizkragen
nicht einmal einen Veilchenstrauß für ihre
Mutter mitgebracht haben!«
Die Lorilleux waren tatsächlich mit leeren
Händen gekommen. Frau Lerat hatte einen
Kranz aus künstlichen Blumen gegeben. Und
man legte noch einen Immortellenkranz und
einen Strauß, beides von den Coupeaus
gekauft, auf den Sarg. Die Leichenträger
hatten sich einen tüchtigen Ruck geben
müssen, um die Leiche hochzuhieven und
aufzuladen. Langsam formierte sich der Zug.
Coupeau und Lorilleux führten, im Überrock,
den Hut in der Hand, das Trauergefolge an;
Coupeau stützte sich in seiner Rührung, die
zwei Glas Weißwein am Morgen
aufrechterhalten hatten, auf den Arm seines
Schwagers, weil ihm die Beine weich wurden
und er einen Kater hatte. Dahinter gingen die
Männer, Herr Madinier, der sehr ernst und
ganz in Schwarz war, MeineBotten mit einem
Überzieher über seinem Kittel, Boche, dessen
gelbe Hose Skandal erregte, Lantier, Gaudron,
Röstfleisch Bibi, Poisson und noch andere.
Darauf kamen die Damen, in der ersten Reihe
Frau Lorilleux, die den aufgebügelten Rock
der Toten nachschleppte, Frau Lerat, die ihre
improvisierte Trauerkleidung, ein mit
Fliederblüten bedrucktes Leibchen, unter
einem Schal verbarg, und hintereinander
Virginie, Frau Gaudron, Frau Fauconnier,
Fräulein Remanjou und der ganze übrige
Schwanz. Als sich der Leichenwagen in
Bewegung setzte und inmitten von Leuten, die
sich bekreuzigten und den Hut zogen, langsam
die Rue de la Goutted'Or hinabfuhr, setzten
sich die vier Leichenträger an die Spitze, zwei
vorn, die beiden anderen rechts und links.
Gervaise war zurückgeblieben, um den Laden
zu schließen. Sie vertraute Nana Frau Boche
an, und rennend holte sie den Zug ein,
während die Kleine, die von der Concierge in
der Einfahrt festgehalten wurde, mit zutiefst
interessiertem Blick zusah, wie ihre
Großmutter auf diesem schönen Wagen hinten
in der Straße verschwand.
Gerade in dem Augenblick, als die Wäscherin
atemlos den Schwanz erreichte, traf Goujet aus
seiner Richtung ein. Er schloß sich den
Männern an; er drehte sich aber um und grüßte
sie so sanft mit einem Kopfnicken, daß sie sich
auf einmal sehr unglücklich fühlte und wieder
von Tränen überwältigt wurde. Sie
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