Der Todschlaeger
auszufüllen schien. Ihr Leben
war gestört. Im ersten Augenblick traten sie
von einem Fuß auf den anderen, ohne die
Gegenstände zu finden, sie waren wie
gerädert, wie am Tage nach einem Gelage.
Lantier wandte sich sofort wieder zur Tür, um
zum Bestattungsinstitut zurückzukehren; er
nahm die dreißig Francs von Frau Lerat mit
und sechzig Francs, die sich Gervaise von
Goujet geborgt hatte, zu dem sie mit bloßem
Kopf, einer Irren gleich, gegangen war.
Am Nachmittag kamen einige Besuche, von
Neugier gebissene Nachbarinnen, die sich
seufzend, die verweinten Augen rollend,
einfanden; sie traten in die Kammer und
musterten die Tote, wobei sie sich
bekreuzigten und den von Weihwasser
triefenden Buchsbaumsproß ausschüttelten;
dann setzten sie sich in den Laden, wo sie
endlos von der lieben Frau sprachen, ohne zu
ermüden, stundenlang denselben Satz
wiederholten. Fräulein Remanjou war es
aufgefallen, daß Mama Coupeaus rechtes
Auge offengeblieben war; Frau Gaudron war
nicht davon abzubringen, daß Mama Coupeau
für ihr Alter eine gute Hautfarbe habe, und
Frau Fauconnier war bestürzt, weil sie drei
Tage zuvor noch gesehen hatte, wie Mama
Coupeau ihren Kaffee schluckte. Wirklich,
man kratze schnell ab, jeder könne seine
Stiefel schmieren.
Gegen Abend begann es den Coupeaus zuviel
zu werden. Es war doch ein zu großes
Herzeleid für eine Familie, eine Leiche so
lange bei sich zu behalten. Die Regierung hätte
wirklich ein anderes Gesetz darüber erlassen
sollen. Noch einen ganzen Abend, eine ganze
Nacht und einen ganzen Vormittag – nein, das
würde ja nie enden. Wenn man nicht mehr
weint, schlägt der Kummer in Gereiztheit um,
nicht wahr, und am Ende würde man sich noch
schlecht aufführen. Mama Coupeau, die
stumm und steif hinten in der schmalen
Kammer lag, breitete sich immer mehr in der
Wohnung aus, wurde zu einer Last, die die
Menschen erdrückte. Und die Familie verfiel
unwillkürlich wieder in ihren alltäglichen Trott
und verlor etwas von ihrer Ehrfurcht.
»Sie essen doch einen Bissen mit uns«, sagte
Gervaise zu Frau Lerat und Frau Lorilleux, als
sie wieder erschienen. »Wir sind zu traurig,
wir werden nicht auseinandergehen.«
Es wurde auf dem Werktisch gedeckt. Beim
Anblick der Teller dachte jeder an die
Fressereien, die man hier veranstaltet hatte.
Lantier war zurückgekehrt. Lorilleux kam
herunter. Ein Konditor hatte soeben eine
große, mit Fleisch gefüllte Pastete gebracht,
denn der Wäscherin stand der Kopf nicht
danach, sich mit Kochen abzugeben. Als man
sich setzte, trat Boche ein und sagte, Herr
Marescot bitte, hereinkommen zu dürfen, und
der Hausbesitzer kam sehr ernst herein, mit
seinem breiten Band der Ehrenlegion am
Überrock. Er grüßte schweigend und ging
geradeswegs in die Kammer, wo er
niederkniete. Er war sehr fromm; er betete mit
der andächtigen Miene eines Pfarrers, schlug
dann ein Kreuz in der Luft und besprengte
dabei den Leichnam mit dem
Buchsbaumzweig. Die ganze Familie, die den
Tisch verlassen hatte, stand stark beeindruckt
da. Nachdem Herr Marescot seine Andacht
verrichtet hatte, ging er in den Laden hinüber
und sagte zu den Coupeaus:
»Ich bin wegen der beiden rückständigen
Mieten gekommen. Sind Sie imstande?«
»Nein, mein Herr, nicht ganz«, stotterte
Gervaise, die sehr verärgert war, daß vor den
Lorilleux darüber gesprochen wurde. »Sie
verstehen, bei dem Unglück, das uns trifft ...«
»Allerdings, aber jeder hat seine Sorgen«,
entgegnete der Hausbesitzer und spreizte seine
riesigen Finger, die Finger eines ehemaligen
Arbeiters. »Es tut mir sehr leid, ich kann nicht
länger warten ... Wenn ich bis übermorgen
früh nicht das Geld erhalte, bin ich
gezwungen, zu einer Exmittierung Zuflucht zu
nehmen.«
Mit Tränen in den Augen faltete Gervaise
stumm die Hände und flehte ihn an.
Mit einem energischen Schütteln seines
dicken, knochigen Kopfes gab er ihr zu
verstehen, daß Bitten zwecklos seien. Im
übrigen verbiete die Ehrfurcht, die man den
Toten schulde, jede Diskussion. Rückwärts
gehend, zog er sich taktvoll zurück.
»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, daß ich
Sie gestört habe«, murmelte er. »Übermorgen
früh, vergessen Sie nicht.« Und als er beim
Hinausgehen wiederum an der Kammer
vorbeikam, grüßte er den Leichnam ein letztes
Mal durch die weit offene Tür mit einem
frommen Beugen der Knie.
Zuerst aß man schnell, damit es nicht so
aussah, als
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