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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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beweinte
    nicht mehr allein Mama Coupeau, sie beweinte
    irgend etwas Abscheuliches, das sie nicht hätte
    nennen können und an dem sie erstickte.
    Während des ganzen Weges hielt sie ihr
    Taschentuch an die Augen gedrückt. Frau
    Lorilleux, deren Wangen trocken und gerötet
    waren, betrachtete sie von der Seite und sah
    dabei aus, als werfe sie ihr Getue vor.
    Die Zeremonie in der Kirche wurde schnell
    abgemacht. Die Messe zog sich jedoch ein
    wenig hin, weil der Priester sehr alt war.
    MeineBotten und RöstfleischBibi hatten es
    vorgezogen, wegen der Kollekte draußen zu
    bleiben. Herr Madinier studierte die ganze Zeit
    über die Pfarrer und teilte Lantier seine
    Beobachtungen mit: diese Hanswurste da
    wüßten, wenn sie ihr Latein spuckten, nicht
    einmal, was sie quatschten; sie beerdigten
    jemand, wie sie ihn getauft oder verheiratet
    hätten, ohne das geringste Gefühl im Herzen
    zu haben. Dann tadelte Herr Madinier diesen
    Haufen Zeremonien, diese Lichter, diese
    traurigen Stimmen, dieses Protzen vor den
    Familien. Wirklich, man verliere seine
    Angehörigen zweimal, zu Hause und in der
    Kirche. Und alle Männer gaben ihm recht,
    denn es gab noch einen peinlichen
    Augenblick, als nach Ende der Messe Gebete
    geschnattert wurden und die Anwesenden,
    Weihwasser sprengend, an der Leiche
    vorbeiziehen mußten. Zum Glück war der
    Friedhof nicht weit, der kleine Friedhof von La
    Chapelle, ein Stückchen Garten, dessen
    Eingang zur Rue Marcadet zu lag. Der Zug
    kam in heillosem Durcheinander, mit den
    Füßen stampfend, dort an, und jeder redete
    von seinen Angelegenheiten. Die harte Erde
    hallte, man hätte sich gern die Füße warm
    getrampelt. Das gähnende Loch, neben das
    man den Sarg gestellt hatte, war schon ganz
    gefroren, bleifahl und steinig wie ein
    Gipsbruch; und die Anwesenden, die sich um
    die Schutthügelchen aufgestellt hatten, fanden
    es nicht spaßig, bei einer solchen Kälte zu
    warten, waren verärgert, daß sie das Loch
    anschauen mußten. Endlich kam ein Priester
    im Chorhemd aus einem Häuschen; er
    bibberte, bei jedem »de profundis«87, das er
    ausstieß, sah man seinen Atem dampfen. Beim
    letzten Kreuzeszeichen entfloh er und hatte
    keine Lust, noch einmal anzufangen. Der
    Totengräber nahm seine Schaufel; doch wegen
    des Frostes brach er nur dicke Klumpen los,
    die dort unten in der Tiefe eine schöne Musik
    trommelten, ein wahres Bombardement auf
    den Sarg, ein Bestreichen mit
    Kanonenschüssen, daß man meinte, das Holz
    würde spalten. Man mag noch so egoistisch
    sein, diese Musik da dreht einem den Magen
    um. Die Tränen begannen wieder zu fließen.
    Man ging weg, man war schon draußen, als
    man die Detonationen immer noch hörte.
    MeineBotten, der sich in die Finger blies,
    machte

    laut

    eine

    Bemerkung:
    Himmeldonnerwetter, nein! Warm würde der
    armen Mama Coupeau ja nicht sein!
    »Meine Damen und alle Anwesenden«, sagte
    der Bauklempner zu den wenigen Freunden,
    die mit der Familie auf der Straße
    zurückgeblieben waren, »wenn Sie uns
    freundlichst erlauben wollen, Ihnen etwas
    anzubieten ...« Und er betrat als erster eine
    Weinschenke in der Rue Marcadet, »A la
    Descente du cimetière«88.
    Gervaise, die auf dem Bürgersteig geblieben
    war, rief Gouiet, der sich entfernte, nachdem
    er sie mit einem abermaligen Kopfnicken
    gegrüßt hatte. Warum nehme er nicht ein Glas
    Wein an? Aber er hatte es eilig, er ging in die
    Werkstatt zurück. Da schauten sie sich einen
    Augenblick an, ohne etwas zu sagen.
    »Ich bitte Sie um Verzeihung wegen der
    sechzig Francs«, murmelte die Wäscherin
    schließlich. »Ich war wie eine Irre, ich habe an
    Sie gedacht ...«
    »Oh, keine Ursache, Ihnen ist verziehen«,
    unterbrach der Schmied. »Und Sie wissen ja,
    ich stehe Ihnen ganz zu Diensten, wenn Ihnen
    ein Unglück zustoßen sollte ... Aber sagen Sie
    Mama nichts davon, weil sie so ihre Ansichten
    hat und ich ihr keinen Ärger machen will.«
    Sie schaute ihn immer noch an; und als sie ihn
    so gut, so traurig mit seinem schönen gelben
    Bart sah, war sie nahe daran, auf seinen
    früheren Vorschlag einzugehen, mit ihm
    fortzugehen, um irgendwo miteinander
    glücklich zu sein. Dann kam ihr ein anderer
    schlechter Gedanke, nämlich die Miete für die
    beiden Quartale von ihm zu borgen, ganz
    gleich um welchen Preis. Sie zitterte und
    meinte mit einschmeichelnder Stimme:
    »Wir sind doch nicht böse miteinander, nicht
    wahr?«
    Er schüttelte den Kopf und erwiderte:
    »Nein, bestimmt nicht, wir

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