Der Todschlaeger
anständige Frauen unter den
Blumenmacherinnen, merken Sie sich das!«
rief sie. »Sie sind wie andere Frauen
beschaffen, natürlich hat ihre Haut auch ein
Loch. Bloß, sie halten sich eben und wählen
mit Geschmack, wenn sie einen Fehltritt zu
machen haben ... Ja, das kommt bei ihnen von
den Blumen. Mich hat das frisch erhalten ...«
»Mein Gott!« unterbrach Gervaise. »Ich bin
nicht abgeneigt gegen Blumen. Nana muß es
gefallen, weiter nichts; man soll den Kindern
beim Beruf nicht widersprechen .... Nun,
Nana, stell dich nicht dumm, antworte.
Blumenmachen, gefällt dir das?«
Über ihren Teller gebeugt, las die Kleine mit
dem angefeuchteten Finger Kuchenkrümel auf,
die sie sodann auflutschte. Sie beeilte sich
nicht. Sie ließ ihr lasterhaftes Lachen sehen.
»Gewiß doch, Mama, es gefällt mir«, erklärte
sie schließlich.
Da wurde die Angelegenheit sofort in Ordnung
gebracht. Coupeau war es recht, daß Frau
Lerat das Kind gleich am nächsten Tag in ihre
Werkstatt in der Rue du Caire mitnahm. Und
die Gesellschaft sprach ernst über die Pflichten
des Lebens. Boche sagte, Nana und Pauline
seien jetzt Frauen, wo sie zur Kommunion
gegangen seien. Poisson setzte hinzu, sie
müßten von nun an kochen. Strümpfe stopfen
und einen Haushalt führen können. Man
sprach mit ihnen sogar über ihre Heirat und
über die Kinder, die sie eines Tages kriegen
würden. Die Rangen lauschten und kicherten
insgeheim, rieben sich aneinander, mit
stolzgeschwelltem Herzen, Frauen zu sein,
waren rot und verlegen in ihren weißen
Kleidern. Aber am meisten kitzelte es sie, als
Lantier sie aufzog und sie fragte, ob sie nicht
schon kleine Männer hätten. Und man brachte
Nana mit Gewalt zu dem Geständnis, daß sie
Victor Fauconnier, den Sohn der Arbeitgeberin
ihrer Mutter, sehr gern habe.
»Na ja«, sagte Frau Lorilleux vor den Boches,
als man aufbrach, »sie ist unser Patenkind,
aber von dem Augenblick an, wo sie eine
Blumenmacherin aus ihr werden lassen,
wollen wir nichts mehr von ihr hören. Wieder
eine Hure für die Boulevards ... Sie wird ihnen
vor Ablauf von sechs Monaten den Hobel
blasen.«
Als die Coupeaus wieder nach oben gingen,
um sich schlafen zu legen, gaben sie zu, daß
alles gut gegangen war und daß die Poissons
keine bösen Menschen waren, Gervaise fand
den Laden sogar sauber zurechtgemacht. Sie
war darauf gefaßt gewesen, zu leiden, wenn
sie den Abend so in ihrer ehemaligen
Wohnung verbringen würde, in der andere
sich's jetzt bequem machten; und sie war
überrascht, daß sie sich nicht eine Sekunde
geärgert hatte. Nana, die sich auszog, fragte
ihre Mutter, ob das Kleid des Fräuleins aus
dem zweiten Stock, das im vergangenen
Monat getraut worden war, aus Musselin
gewesen sei wie ihres.
Aber dies war der letzte schöne Tag der
Familie. Es verflossen zwei Jahre, in denen sie
immer tiefer sanken. Vor allem der Winter
plünderte sie aus. Wenn sie in der schönen
Jahreszeit noch Brot aßen, so kam der
Heißhunger mit dem Regen und der Kälte, das
Herumtanzen vor dem Speiseschrank, das
unfreiwillige Fasten in dem kleinen Sibirien
ihrer Bude. Dieser lumpige Dezember drang
bei ihnen unter der Tür hindurch ein, und er
brachte ihnen alle Übel mit: die
Arbeitslosigkeit in den Werkstätten, die
dösenden Faulenzereien bei Frost, das
schwarze Elend des feuchten Wetters. Im
ersten Winter machten sie noch manchmal
Feuer, kauerten sich rings um den Ofen
zusammen, da sie lieber aufs Essen
verzichteten als auf eine warme Stube; im
zweiten Winter wurde der Ofen nicht einmal
in Gang gebracht; er sah unheilverkündend aus
wie ein gußeiserner Prellstein und ließ das
Zimmer zu Eis erstarren. Und was ihnen die
Beine brach, was sie ausrottete, das war vor
allem das Bezahlen ihrer Vierteljahresmiete.
Oh, die im Januar fällige Miete, wenn kein
roter Heller im Hause war und Vater Boche
die Quittung präsentierte! Das blies noch mehr
Kälte herein, einen Sturm aus dem Norden.
Am Sonnabend darauf kam Herr Marescot,
eingehüllt in einen guten Überzieher, seine
großen Pranken in wollene Handschuhe
gesteckt; und er führte immer noch das Wort
Exmittierung im Munde, während der Schnee
draußen fiel, als bereite er für sie auf dem
Bürgersteig ein Bett mit weißen Laken. Um
die Miete bezahlen zu können, hätten sie sogar
ein Stück von sich selbst verkauft. Die Miete,
die machte Speiseschrank und Ofen leer. Im
ganzen Haus stieg übrigens
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