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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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anständige Frauen unter den
    Blumenmacherinnen, merken Sie sich das!«
    rief sie. »Sie sind wie andere Frauen
    beschaffen, natürlich hat ihre Haut auch ein
    Loch. Bloß, sie halten sich eben und wählen
    mit Geschmack, wenn sie einen Fehltritt zu
    machen haben ... Ja, das kommt bei ihnen von
    den Blumen. Mich hat das frisch erhalten ...«
    »Mein Gott!« unterbrach Gervaise. »Ich bin
    nicht abgeneigt gegen Blumen. Nana muß es
    gefallen, weiter nichts; man soll den Kindern
    beim Beruf nicht widersprechen .... Nun,
    Nana, stell dich nicht dumm, antworte.
    Blumenmachen, gefällt dir das?«
    Über ihren Teller gebeugt, las die Kleine mit
    dem angefeuchteten Finger Kuchenkrümel auf,
    die sie sodann auflutschte. Sie beeilte sich
    nicht. Sie ließ ihr lasterhaftes Lachen sehen.
    »Gewiß doch, Mama, es gefällt mir«, erklärte
    sie schließlich.
    Da wurde die Angelegenheit sofort in Ordnung
    gebracht. Coupeau war es recht, daß Frau
    Lerat das Kind gleich am nächsten Tag in ihre
    Werkstatt in der Rue du Caire mitnahm. Und
    die Gesellschaft sprach ernst über die Pflichten
    des Lebens. Boche sagte, Nana und Pauline
    seien jetzt Frauen, wo sie zur Kommunion
    gegangen seien. Poisson setzte hinzu, sie
    müßten von nun an kochen. Strümpfe stopfen
    und einen Haushalt führen können. Man
    sprach mit ihnen sogar über ihre Heirat und
    über die Kinder, die sie eines Tages kriegen
    würden. Die Rangen lauschten und kicherten
    insgeheim, rieben sich aneinander, mit
    stolzgeschwelltem Herzen, Frauen zu sein,
    waren rot und verlegen in ihren weißen
    Kleidern. Aber am meisten kitzelte es sie, als
    Lantier sie aufzog und sie fragte, ob sie nicht
    schon kleine Männer hätten. Und man brachte
    Nana mit Gewalt zu dem Geständnis, daß sie
    Victor Fauconnier, den Sohn der Arbeitgeberin
    ihrer Mutter, sehr gern habe.
    »Na ja«, sagte Frau Lorilleux vor den Boches,
    als man aufbrach, »sie ist unser Patenkind,
    aber von dem Augenblick an, wo sie eine
    Blumenmacherin aus ihr werden lassen,
    wollen wir nichts mehr von ihr hören. Wieder
    eine Hure für die Boulevards ... Sie wird ihnen
    vor Ablauf von sechs Monaten den Hobel
    blasen.«
    Als die Coupeaus wieder nach oben gingen,
    um sich schlafen zu legen, gaben sie zu, daß
    alles gut gegangen war und daß die Poissons
    keine bösen Menschen waren, Gervaise fand
    den Laden sogar sauber zurechtgemacht. Sie
    war darauf gefaßt gewesen, zu leiden, wenn
    sie den Abend so in ihrer ehemaligen
    Wohnung verbringen würde, in der andere
    sich's jetzt bequem machten; und sie war
    überrascht, daß sie sich nicht eine Sekunde
    geärgert hatte. Nana, die sich auszog, fragte
    ihre Mutter, ob das Kleid des Fräuleins aus
    dem zweiten Stock, das im vergangenen
    Monat getraut worden war, aus Musselin
    gewesen sei wie ihres.
    Aber dies war der letzte schöne Tag der
    Familie. Es verflossen zwei Jahre, in denen sie
    immer tiefer sanken. Vor allem der Winter
    plünderte sie aus. Wenn sie in der schönen
    Jahreszeit noch Brot aßen, so kam der
    Heißhunger mit dem Regen und der Kälte, das
    Herumtanzen vor dem Speiseschrank, das
    unfreiwillige Fasten in dem kleinen Sibirien
    ihrer Bude. Dieser lumpige Dezember drang
    bei ihnen unter der Tür hindurch ein, und er
    brachte ihnen alle Übel mit: die
    Arbeitslosigkeit in den Werkstätten, die
    dösenden Faulenzereien bei Frost, das
    schwarze Elend des feuchten Wetters. Im
    ersten Winter machten sie noch manchmal
    Feuer, kauerten sich rings um den Ofen
    zusammen, da sie lieber aufs Essen
    verzichteten als auf eine warme Stube; im
    zweiten Winter wurde der Ofen nicht einmal
    in Gang gebracht; er sah unheilverkündend aus
    wie ein gußeiserner Prellstein und ließ das
    Zimmer zu Eis erstarren. Und was ihnen die
    Beine brach, was sie ausrottete, das war vor
    allem das Bezahlen ihrer Vierteljahresmiete.
    Oh, die im Januar fällige Miete, wenn kein
    roter Heller im Hause war und Vater Boche
    die Quittung präsentierte! Das blies noch mehr
    Kälte herein, einen Sturm aus dem Norden.
    Am Sonnabend darauf kam Herr Marescot,
    eingehüllt in einen guten Überzieher, seine
    großen Pranken in wollene Handschuhe
    gesteckt; und er führte immer noch das Wort
    Exmittierung im Munde, während der Schnee
    draußen fiel, als bereite er für sie auf dem
    Bürgersteig ein Bett mit weißen Laken. Um
    die Miete bezahlen zu können, hätten sie sogar
    ein Stück von sich selbst verkauft. Die Miete,
    die machte Speiseschrank und Ofen leer. Im
    ganzen Haus stieg übrigens

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