Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
Wärme von
    Vater, Mutter und Kindern, wenn sich diese
    kleine Welt auf einen Haufen eng
    aneinanderdrängt, floh vor ihnen und ließ sie
    schlotternd zurück, jeden in seiner Ecke. Alle
    drei, Coupeau, Gervaise und Nana, waren
    überaus reizbar und fraßen einander wegen
    eines Wortes mit haßerfüllten Augen; und es
    war, als sei irgend etwas zerbrochen, die große
    Triebfeder der Familie, der Mechanismus, der
    bei glücklichen Menschen die Herzen
    zusammen schlagen läßt. Ach, Gervaise regte
    sich bestimmt nicht mehr so auf wie früher,
    wenn sie Coupeau zwölf bis fünfzehn Meter
    über dem Bürgersteig am Rande der
    Dachrinnen sah. Sie selber hätte ihn nicht
    hinabgestoßen; aber wenn er auf natürliche
    Weise abgestürzt wäre, du meine Güte, dann
    wäre die Oberfläche der Erde einen
    Taugenichts los gewesen. An den Tagen, da es
    Krach im Hause gab, schrie sie, warum man
    ihn ihr denn nie auf einer Tragbahre
    zurückbringe. Sie wartete darauf, da würde
    man ihr ihr Glück zurückbringen. Wozu sei er
    nütze, dieser Säufer? Um sie zum Weinen zu
    bringen, um ihr alles aufzufressen, um sie zum
    Bösen zu treiben. Na ja, Männer, die sowenig
    brauchbar sind, die werfe man so schnell wie
    möglich in die Grube, man tanze auf ihnen die
    Erlösungspolka. Und wenn die Mutter »Töte!«
    sagte, so erwiderte die Tochter: »Schlag tot!«
    Nana las die Unfälle in der Zeitung mit den
    Überlegungen einer entarteten Tochter. Ihr
    Vater hatte ein derartiges Glück, daß ihn ein
    Pferdeomnibus umgefahren hatte, ohne ihn
    auch nur nüchtern zu machen. Wann würde er
    bloß verrecken, dieser Saukerl?
    Bei diesem vor Elend tollwütigen Dasein litt
    Gervaise noch unter dem Hunger, den sie rings
    um sich röcheln hörte. Dieser Winkel des
    Hauses war der Winkel der armen Schlucker,
    wo sich drei oder vier Familien verabredet zu
    haben schienen, nicht alle Tage Brot zu haben.
    Die Türen mochten sich noch so weit öffnen,
    sie ließen nicht gerade oft Küchengerüche
    herausdringen. Längs des Korridors herrschte
    ein Schweigen des Verreckens, und die Wände
    klangen hohl wie leere Bäuche. Mitunter gab
    es wahre Tänze, Frauentränen, Gejammer
    hungriger Knirpse, Familien, die sich
    auffraßen, um ihren Magen zu täuschen. Ihnen
    allen saß der Krampf in der Kehle, er gähnte
    aus ihrem Munde, den sie gierig vorreckten;
    und die Brust wurde beim bloßen Einatmen
    dieser Luft hohl, in der selbst die Mücken aus
    Mangel an Nahrung nicht hätten leben können.
    Großes Mitleid aber hatte Gervaise vor allem
    mit Vater Bru in seinem Loch unter der
    kleinen Treppe. Dorthin zog er sich wie ein
    Murmeltier zurück und rollte sich zu einer
    Kugel zusammen, um weniger zu frieren; er
    blieb tagelang auf einer Strohschütte liegen,
    ohne sich zu rühren. Nicht einmal der Hunger
    brachte ihn mehr dazu, herauszukommen,
    denn es war recht zwecklos, sich draußen
    Appetit zu holen, wenn ihn niemand zum
    Essen eingeladen hatte. Wenn er sich drei oder
    vier Tage nicht sehen ließ, stießen die
    Nachbarn seine Tür auf und sahen nach, ob es
    nicht mit ihm zu Ende gegangen war. Nein, er
    lebte dennoch, nicht sehr, aber ein bißchen,
    mit einem Auge bloß – sogar der Tod vergaß
    ihn! Sobald Gervaise Brot hatte, warf sie ihm
    Krusten hin. Wenn sie auch wegen ihres
    Mannes schlecht wurde und die Menschen
    verabscheute, so bedauerte sie stets ganz
    aufrichtig die Tiere; und Vater Bru, dieser
    arme Alte, den man verrecken ließ, weil er
    kein Werkzeug mehr halten konnte, wat für sie
    wie ein Hund, ein ausgedientes Tier, dessen
    Fell und Fett nicht einmal die Abdecker
    kaufen wollten. Es lag ihr wie eine Last auf
    dem Herzen, ihn ständig dort auf der anderen
    Seite des Korridors zu wissen, von Gott und
    den Menschen verlassen, sich einzig und allein
    von sich selber nährend, zur Größe eines
    Kindes zurückkehrend, runzlig und
    ausgetrocknet wie eine Apfelsine, die auf dem
    Kamin zusammenschrumpft.
    Die Wäscherin litt ebenfalls sehr unter
    Bazouges, des Leichenträgers, Nachbarschaft.
    Eine einfache, sehr dünne Bretterwand trennte
    die beiden Stuben. Er konnte sich keinen
    Finger in den Mund stecken, ohne daß sie es
    hörte. Sobald er abends heimkam, verfolgte sie
    unwillkürlich seinen kleinen Haushalt: wie der
    schwarze Lederhut, dumpf hallend wie eine
    Schaufel voll Erde, auf der Kommode
    aufschlug, wie der schwarze Mantel
    aufgehängt wurde und die Wand mit dem
    Flügelrauschen eines Nachtvogels streifte, wie
    der ganze schwarze Plunder

Weitere Kostenlose Bücher