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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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ein
    Jammergeschrei empor. In allen Stockwerken
    wurde geweint, eine Unglücksmusik schnarrte
    die Treppe und Korridore entlang. Hätte jeder
    einen Toten bei sich zu Hause gehabt, so hätte
    das keine so abscheuliche Orgelmelodie
    hervorgerufen. Ein wahrer Tag des Jüngsten
    Gerichts, das Ende aller Dinge, ein
    unerträgliches Leben, das Zermalmen der
    armen Leute. Die Frau aus dem dritten Stock
    stand acht Tage an der Ecke der Rue
    Belhomme herum. Ein Arbeiter, der Maurer
    aus dem fünften Stock, hatte bei seinem
    Meister gestohlen.
    Zweifellos mußten die Coupeaus sich allein
    die Schuld beimessen. Das Dasein mag noch
    so hart sein, man kommt immer durch, wenn
    man über Ordnung und Sparsamkeit verfügt,
    das bewiesen die Lorilleux, die ihre Mieten, in
    schmutzige Papierstücke gefaltet, regelmäßig
    entrichteten; aber die führten wahrhaftig ein
    Leben wie magere Spinnen, daß es einem die
    Arbeit verekeln mußte. Nana verdiente noch
    nichts bei den Blumen; sie verbrauchte sogar
    noch ziemlich viel für ihren Lebensunterhalt.
    Gervaise wurde bei Frau Fauconnier
    schließlich schlecht angesehen. Sie verlor
    immer mehr ihre geschickte Hand, sie
    schluderte die Arbeit dermaßen hin, daß die
    Meisterin sie auf vierzig Sous, den Lohn der
    Pfuscherinnen, herabgesetzt hatte. Dabei war
    sie sehr stolz, sehr empfindlich und rieb
    jedermann ihre frühere Stellung als
    selbständige Frau unter die Nase. Sie fehlte
    ganze Tage und verließ die Werkstatt, wenn es
    ihr nicht paßte; so war sie einmal so verärgert
    gewesen, weil Frau Fauconnier Frau Putois bei
    sich eingestellt hatte und sie auf diese Weise
    Ellbogen an Ellbogen mit ihrer früheren
    Angestellten arbeiten mußte, daß sie sich
    vierzehn Tage nicht hatte blicken lassen. Nach
    diesen Launen nahm man sie aus
    Barmherzigkeit wieder auf, was sie noch mehr
    verbitterte. Natürlich war der Lohn am Ende
    der Woche nicht fett; und schließlich würde
    sie noch der Meisterin eines Sonnabends etwas
    schuldig bleiben, wie sie bitter sagte. Was
    Coupeau anging, so arbeitete er vielleicht, aber
    dann schenkte er seine Arbeit bestimmt der
    Regierung; denn seit der Anstellung in
    Etampes hatte Gervaise keinen Schimmer
    mehr von seinem Geld gesehen. An den
    Zahltagen schaute sie nicht mehr auf seine
    Hände, wenn er heimkam. Er traf mit
    schlenkernden Armen, leeren Taschen ein, oft
    sogar ohne Taschentuch; mein Gott, ja, er
    hatte seine Rotzfahne verloren, oder aber
    irgendein Lump von einem Kumpel hatte sie
    ihm geklaut. Die ersten Male stellte er
    Rechnungen auf und ersann Lügen: zehn
    Francs für eine Vorauszahlung, zwanzig
    Francs, die durch ein Loch, das er vorzeigte,
    aus der Tasche gerutscht seien, fünfzig Francs,
    mit denen er vermeintliche Schulden abgezahlt
    habe. Dann hatte er sich keinen Zwang mehr
    angetan. Das Geld verduftete, jawohl! Er hatte
    es nicht mehr in der Tasche, er hatte es im
    Bauch, eine andere, gar nicht drollige Art, es
    seiner Alten mitzubringen. Auf Frau Boches
    Ratschläge hin lauerte die Wäscherin zwar
    manchmal ihrem Mann am Ausgang der
    Werkstatt auf, um den ganz frisch gelegten
    Schatz zu erwischen; aber das brachte sie nicht
    viel weiter, Kumpel warnten Coupeau, und das
    Geld flitzte in die Schuhe oder in ein noch
    weniger sauberes Portemonnaie. Frau Boche
    war auf diesem Gebiet sehr schlau, da Boche
    Zehnfrancsstücke beiseite brachte, verstecktes
    Geld, das dazu bestimmt war, den
    liebenswürdigen Damen aus seiner
    Bekanntschaft Kaninchenbraten zu spendieren;
    sie durchsuchte die kleinsten Zipfel seiner
    Kleidungsstücke, sie fand im allgemeinen das
    Stück, das beim Appell fehlte, im
    Mützenschirm zwischen Leder und Stoff
    eingenäht. Na, der Bauklempner wattierte
    seine Klamotten nicht mit Gold! Er steckte es
    sich unter die Haut. Gervaise konnte doch
    nicht ihre Schere nehmen und ihm die
    Bauchhaut auftrennen.
    Ja, es war die Schuld des Ehepaares, wenn es
    von einem Vierteljahr zum anderen mehr
    herunterkam. Aber das sind Dinge, die man
    einander niemals sagt, besonders wenn man im
    Dreck sitzt. Sie klagten das Mißgeschick an,
    sie behaupteten, Gott sei böse auf sie. In ihrem
    Zuhause war jetzt die Hölle los. Den ganzen
    Tag über gerieten sie aneinander. Doch sie
    schlugen sich noch nicht, kaum daß es einige
    Klapse setzte, die mitten im heftigsten Streit
    von ganz allein fielen. Das traurigste war, daß
    sie den Käfig der Freundschaft geöffnet hatten,
    die Gefühle waren davongeflogen wie
    Kanarienvögel. Die behagliche

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