Der Todschlaeger
ein
Jammergeschrei empor. In allen Stockwerken
wurde geweint, eine Unglücksmusik schnarrte
die Treppe und Korridore entlang. Hätte jeder
einen Toten bei sich zu Hause gehabt, so hätte
das keine so abscheuliche Orgelmelodie
hervorgerufen. Ein wahrer Tag des Jüngsten
Gerichts, das Ende aller Dinge, ein
unerträgliches Leben, das Zermalmen der
armen Leute. Die Frau aus dem dritten Stock
stand acht Tage an der Ecke der Rue
Belhomme herum. Ein Arbeiter, der Maurer
aus dem fünften Stock, hatte bei seinem
Meister gestohlen.
Zweifellos mußten die Coupeaus sich allein
die Schuld beimessen. Das Dasein mag noch
so hart sein, man kommt immer durch, wenn
man über Ordnung und Sparsamkeit verfügt,
das bewiesen die Lorilleux, die ihre Mieten, in
schmutzige Papierstücke gefaltet, regelmäßig
entrichteten; aber die führten wahrhaftig ein
Leben wie magere Spinnen, daß es einem die
Arbeit verekeln mußte. Nana verdiente noch
nichts bei den Blumen; sie verbrauchte sogar
noch ziemlich viel für ihren Lebensunterhalt.
Gervaise wurde bei Frau Fauconnier
schließlich schlecht angesehen. Sie verlor
immer mehr ihre geschickte Hand, sie
schluderte die Arbeit dermaßen hin, daß die
Meisterin sie auf vierzig Sous, den Lohn der
Pfuscherinnen, herabgesetzt hatte. Dabei war
sie sehr stolz, sehr empfindlich und rieb
jedermann ihre frühere Stellung als
selbständige Frau unter die Nase. Sie fehlte
ganze Tage und verließ die Werkstatt, wenn es
ihr nicht paßte; so war sie einmal so verärgert
gewesen, weil Frau Fauconnier Frau Putois bei
sich eingestellt hatte und sie auf diese Weise
Ellbogen an Ellbogen mit ihrer früheren
Angestellten arbeiten mußte, daß sie sich
vierzehn Tage nicht hatte blicken lassen. Nach
diesen Launen nahm man sie aus
Barmherzigkeit wieder auf, was sie noch mehr
verbitterte. Natürlich war der Lohn am Ende
der Woche nicht fett; und schließlich würde
sie noch der Meisterin eines Sonnabends etwas
schuldig bleiben, wie sie bitter sagte. Was
Coupeau anging, so arbeitete er vielleicht, aber
dann schenkte er seine Arbeit bestimmt der
Regierung; denn seit der Anstellung in
Etampes hatte Gervaise keinen Schimmer
mehr von seinem Geld gesehen. An den
Zahltagen schaute sie nicht mehr auf seine
Hände, wenn er heimkam. Er traf mit
schlenkernden Armen, leeren Taschen ein, oft
sogar ohne Taschentuch; mein Gott, ja, er
hatte seine Rotzfahne verloren, oder aber
irgendein Lump von einem Kumpel hatte sie
ihm geklaut. Die ersten Male stellte er
Rechnungen auf und ersann Lügen: zehn
Francs für eine Vorauszahlung, zwanzig
Francs, die durch ein Loch, das er vorzeigte,
aus der Tasche gerutscht seien, fünfzig Francs,
mit denen er vermeintliche Schulden abgezahlt
habe. Dann hatte er sich keinen Zwang mehr
angetan. Das Geld verduftete, jawohl! Er hatte
es nicht mehr in der Tasche, er hatte es im
Bauch, eine andere, gar nicht drollige Art, es
seiner Alten mitzubringen. Auf Frau Boches
Ratschläge hin lauerte die Wäscherin zwar
manchmal ihrem Mann am Ausgang der
Werkstatt auf, um den ganz frisch gelegten
Schatz zu erwischen; aber das brachte sie nicht
viel weiter, Kumpel warnten Coupeau, und das
Geld flitzte in die Schuhe oder in ein noch
weniger sauberes Portemonnaie. Frau Boche
war auf diesem Gebiet sehr schlau, da Boche
Zehnfrancsstücke beiseite brachte, verstecktes
Geld, das dazu bestimmt war, den
liebenswürdigen Damen aus seiner
Bekanntschaft Kaninchenbraten zu spendieren;
sie durchsuchte die kleinsten Zipfel seiner
Kleidungsstücke, sie fand im allgemeinen das
Stück, das beim Appell fehlte, im
Mützenschirm zwischen Leder und Stoff
eingenäht. Na, der Bauklempner wattierte
seine Klamotten nicht mit Gold! Er steckte es
sich unter die Haut. Gervaise konnte doch
nicht ihre Schere nehmen und ihm die
Bauchhaut auftrennen.
Ja, es war die Schuld des Ehepaares, wenn es
von einem Vierteljahr zum anderen mehr
herunterkam. Aber das sind Dinge, die man
einander niemals sagt, besonders wenn man im
Dreck sitzt. Sie klagten das Mißgeschick an,
sie behaupteten, Gott sei böse auf sie. In ihrem
Zuhause war jetzt die Hölle los. Den ganzen
Tag über gerieten sie aneinander. Doch sie
schlugen sich noch nicht, kaum daß es einige
Klapse setzte, die mitten im heftigsten Streit
von ganz allein fielen. Das traurigste war, daß
sie den Käfig der Freundschaft geöffnet hatten,
die Gefühle waren davongeflogen wie
Kanarienvögel. Die behagliche
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