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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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mitten ins Zimmer
    geworfen wurde und es mit dem Auspacken
    von Trauerkleidung erfüllte. Sie hörte ihn
    herumtrampeln, wurde unruhig bei der
    geringsten Bewegung von ihm, fuhr hoch,
    wenn er gegen ein Möbelstück stieß oder sein
    Geschirr herumschubste. Dieser verdammte
    Säufer beschäftigte sie ständig, mit dumpfer
    Angst, in die sich ein Gelüst, Bescheid zu
    wissen, mischte. Er, der fidel, alle Tage voll
    bis obenhin war, in dessen Kopf alles drunter
    und drüber ging, hustete, spuckte, sang ein
    lustiges Liedchen, ließ Unanständigkeiten vom
    Stapel und schlug sich mit den vier Wänden
    herum, bevor er sein Bett fand. Und ganz blaß,
    verharrte sie und fragte sich, was er da wohl
    anstellte; sie hatte gräßliche Vorstellungen, sie
    setzte es sich in den Kopf, daß er einen Töten
    mitgebracht haben mußte und ihn unter seinem
    Bett verstaute. Mein Gott, die Zeitungen
    erzählten doch eine Geschichte von einem
    Angestellten eines Bestattungsinstituts, der die
    Särge der kleinen Kinder bei sich zu Hause
    sammelte, bloß um sich Mühe zu ersparen und
    nur einen einzigen Gang zum Friedhof zu
    machen. Sicher, wenn Bazouge ankam, roch es
    durch die Bretterwand nach dem Toten. Man
    hätte meinen können, vor dem Friedhof
    PèreLachaise mitten im Reich der Maulwürfe
    zu wohnen. Er war schrecklich, dieser Kerl,
    wie er so ständig vor sich hin lachte, als
    stimme sein Beruf ihn heiter. Selbst wenn er
    mit seinem Hexensabbat fertig war und vor
    Schlaf umfiel, schnarchte er auf eine
    ungewöhnliche Weise, daß der Wäscherin der
    Atem aussetzte. Stundenlang spitzte sie die
    Ohren und glaubte, bei dem Nachbarn zögen
    Leichenbegängnisse vorüber.
    Ja, das schlimmste war, daß Gervaise in ihrem
    Schrecken so sehr angezogen wurde, daß sie
    ihr Ohr an die Wand preßte, um sich besser
    Klarheit zu verschaffen. Bazouge wirkte auf
    sie, wie schöne Männer auf ehrbare Frauen
    wirken: sie möchten sie befühlen, aber sie
    wagen es nicht; ihre gute Erziehung hält sie
    zurück. Nun ja, wenn die Angst Gervaise nicht
    zurückgehalten hätte, dann hätte Gervaise gern
    einmal den Tod befühlt, um zu sehen, wie er
    beschaffen war. Sie wurde zuweilen so
    wunderlich und wartete, den Atem anhaltend,
    aufmerksam auf die Lösung des Geheimnisses
    in einer Bewegung Bazouges, daß Coupeau sie
    grinsend fragte, ob sie in den Leichenträger
    von nebenan verschossen sei. Sie wurde
    ärgerlich, sprach davon, auszuziehen, so sehr
    sei ihr diese Nachbarschaft zuwider; und
    sobald der Alte mit seinem Friedhofsgeruch
    ankam, verfiel sie unwillkürlich wieder in ihre
    Überlegungen und sah entflammt und
    furchtsam aus wie eine Ehefrau, die davon
    träumt, Seitensprünge zu machen. Hatte er ihr
    nicht zweimal angeboten, sie einzupacken, sie
    irgendwohin mitzunehmen zu einem
    Heiabettchen, wo die Wonne des Schlafes so
    stark ist, daß man mit einem Schlage alles
    Elend vergißt? Vielleicht war das tatsächlich
    sehr gut. Nach und nach kam eine brennendere
    Versuchung über sie, davon zu kosten. Sie
    hätte es gern für vierzehn Tage, für einen
    Monat versucht! Oh, einen Monat schlafen,
    besonders im Winter, dem Monat der fälligen
    Vierteljahresmiete,

    wenn

    die
    Widerwärtigkeiten des Lebens sie verrecken
    ließen! Aber das war nicht möglich, man
    mußte immer weiterschlafen, wenn man eine
    Stunde zu schlafen begann; und dieser
    Gedanke ließ sie zu Eis erstarren, ihre
    Verschossenheit in den Tod verflog vor der
    ewigen und strengen Freundschaft, die die
    Erde verlangte.
    An einem Abend im Januar schlug sie
    allerdings mit beiden Fäusten gegen die
    Bretterwand. Von allen herumgestoßen, ohne
    einen Sou, mit ihrem Mut am Ende, hatte sie
    eine gräßliche Woche verbracht. An diesem
    Abend fühlte sie sich nicht wohl, sie
    schlotterte vor Fieber und sah Flammen
    umhertanzen. Da begann sie, statt sich aus
    dem Fenster zu stürzen, wozu sie einen
    Augenblick Lust gehabt hatte, zu klopfen und
    zu rufen:
    »Vater Bazouge! Vater Bazouge!«
    Der Leichenträger zog seine Schuhe aus und
    sang dabei: »Es waren drei schöne Mädchen.«
    Die Arbeit mußte sich am Tage ganz gut
    gemacht haben, denn er schien noch
    angeregter als gewöhnlich zu sein.
    »Vater Bazouge! Vater Bazouge!« schrie
    Gervaise mit lauterer Stimme. Hörte er sie
    denn nicht? Sie überließ sich ihm auf der
    Stelle, er konnte sie ruhig am Halse fassen und
    sie dort hinschaffen, wo er seine anderen
    Frauen hinschaffte, die armen und die reichen,
    die er tröstete. Sie litt unter

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