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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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verspäteten sich etwas, weil sie
    sich ihre Betrachtungen über Hinkebein
    mitteilten: eine Verschwenderin, deren
    Tochter nie zur Kommunion gegangen wäre,
    wenn die Verwandten ihr nicht alles geschenkt
    hätten, ja, alles, sogar ein neues Hemd, aus
    Ehrfurcht vor dem Tisch des Herrn. Frau
    Lorilleux befaßte sich vor allem mit dem
    Kleid, ihrem eigenen Geschenk, donnerte
    Nana zusammen und nannte sie einen großen
    Schmutzfink, sooft das Kind mit dem Rock
    den Staub auflas, wenn es den Geschäften zu
    nahe kam.
    In der Kirche weinte Coupeau die ganze Zeit
    über. Das war dumm, aber er konnte nicht an
    sich halten. Es ergriff ihn, wenn der Pfarrer die
    Arme ausbreitete und die engelgleichen
    kleinen Mädchen mit gefalteten Händen
    vorüberzogen; die Orgelmusik wühlte ihm den
    Bauch um, und der Wohlgeruch des
    Weihrauchs nötigte ihn zum Schnaufen, als
    habe man ihm einen Blumenstrauß ins Gesicht
    gestoßen. Kurz, er sah alles nur noch
    verschwommen, es schnitt ihm ins Herz. Da
    war besonders ein Choral, etwas Liebliches,
    während die Gören den Heiland
    hinunterschluckten, das ihm in den Hals zu
    fließen schien, wobei ihm ein Schauer das
    ganze Rückgrat entlanglief. Rings um ihn
    durchnäßten die empfindsamen Leute übrigens
    auch ihr Taschentuch. Wirklich, es war ein
    schöner Tag, der schönste Tag des Lebens. Als
    er allerdings beim Verlassen der Kirche ein
    Glas Wein mit Lorilleux trinken ging, dessen
    Augen trocken geblieben waren und der ihn
    aufzog, wurde er ärgerlich und beschuldigte
    die Schwarzröcke, Teufelskräuter bei sich zu
    verbrennen, um die Menschen weich zu
    machen. Außerdem mache er schließlich kein
    Hehl daraus, ihm seien die Augen zerflossen,
    das beweise lediglich, daß er keinen
    Pflasterstein in der Brust habe. Und er bestellte
    eine neue Lage.
    Der Einzugsschmaus am Abend bei den
    Poissons wurde sehr lustig. Vom Anfang bis
    zum Ende der Mahlzeit herrschte ungetrübte
    Freundschaft. Wenn die schlechten Tage
    kommen, dann stößt man so auf angenehme
    Abende, auf Stunden, in denen man sich unter
    Leuten liebt, die sich nicht ausstehen können.
    Lantier, der zu seiner Linken Gervaise und zu
    seiner Rechten Virginie sitzen hatte, zeigte
    sich zu beiden liebenswürdig, verschwendete
    Zärtlichkeiten an sie wie ein Hahn, der Frieden
    in seinem Hühnerstall haben will. Gegenüber
    wahrte Poisson seine ruhige und strenge
    Polizistenverträumtheit, seine Gewohnheit,
    während seines langen Wachestehens auf den
    Bürgersteigen mit verschleierten Augen an
    nichts zu denken. Doch die Königinnen des
    Festes waren die beiden Kleinen, Nana und
    Pauline, denen man erlaubt hatte, ihre Kleider
    anzubehalten. Sie saßen steif da, aus Furcht,
    ihre weißen Kleider zu beflecken, und man rief
    ihnen bei jedem Bissen zu, sie sollten das Kinn
    hochheben, um anständig zu schlucken.
    Verdrossen plemperte Nana schließlich ihren
    ganzen Wein über ihr Mieder; das gab
    Aufregung, man zog sie aus und wusch das
    Mieder unverzüglich in einem Glas Wasser.
    Beim Nachtisch sprach man dann ernsthaft
    über die Zukunft der Kinder. Frau Boche hatte
    ihre Wahl getroffen, Pauline würde in einer
    Werkstatt für Stanzarbeiten in Gold und Silber
    anfangen; da drin verdiente man fünf bis sechs
    Francs.
    Gervaise wußte noch nicht, Nana zeigte
    keinerlei Neigung. Oh, sie galoppiere umher,
    diese Neigung zeige sie; aber was das übrige
    angehe, so habe sie ungeschickte Hände.
    »Ich an Ihrer Stelle«, sagte Frau Lerat, »würde
    eine Blumenmacherin aus ihr werden lassen.
    Das ist ein sauberes und nettes Gewerbe.«
    »Blumenmacherinnen«, murmelte Lorilleux,
    »alles solche Marielegdichlang.«
    »Na, und ich!« erwiderte die große Witwe mit
    verkniffenen Lippen. »Sie sind ja galant.
    Wissen Sie, ich bin keine Hündin, ich strecke
    nicht die Pfoten in die Luft, wenn einer
    pfeift!« Aber die ganze Gesellschaft hieß sie
    schweigen.
    »Madame Lerat, oh, Madame Lerat!«
    Und man deutete verstohlen auf die beiden
    Erstkommunikantinnen, die die Nase in ihre
    Gläser steckten, um nicht loszulachen. Selbst
    die Männer hatten bis dahin anstandshalber
    feine Worte gewählt.
    Aber Frau Lerat ließ sich den Verweis nicht
    gefallen. Was sie soeben gesagt habe, habe sie
    in der besten Gesellschaft gehört. Im übrigen
    schmeichle sie sich, ihre Zunge zu kennen;
    man mache ihr oft ein Kompliment wegen
    ihrer Art, mit der sie über alles spreche, selbst
    vor Kindern, ohne jemals die Schicklichkeit zu
    verletzen.
    »Es gibt sehr

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