Der Todschlaeger
verspäteten sich etwas, weil sie
sich ihre Betrachtungen über Hinkebein
mitteilten: eine Verschwenderin, deren
Tochter nie zur Kommunion gegangen wäre,
wenn die Verwandten ihr nicht alles geschenkt
hätten, ja, alles, sogar ein neues Hemd, aus
Ehrfurcht vor dem Tisch des Herrn. Frau
Lorilleux befaßte sich vor allem mit dem
Kleid, ihrem eigenen Geschenk, donnerte
Nana zusammen und nannte sie einen großen
Schmutzfink, sooft das Kind mit dem Rock
den Staub auflas, wenn es den Geschäften zu
nahe kam.
In der Kirche weinte Coupeau die ganze Zeit
über. Das war dumm, aber er konnte nicht an
sich halten. Es ergriff ihn, wenn der Pfarrer die
Arme ausbreitete und die engelgleichen
kleinen Mädchen mit gefalteten Händen
vorüberzogen; die Orgelmusik wühlte ihm den
Bauch um, und der Wohlgeruch des
Weihrauchs nötigte ihn zum Schnaufen, als
habe man ihm einen Blumenstrauß ins Gesicht
gestoßen. Kurz, er sah alles nur noch
verschwommen, es schnitt ihm ins Herz. Da
war besonders ein Choral, etwas Liebliches,
während die Gören den Heiland
hinunterschluckten, das ihm in den Hals zu
fließen schien, wobei ihm ein Schauer das
ganze Rückgrat entlanglief. Rings um ihn
durchnäßten die empfindsamen Leute übrigens
auch ihr Taschentuch. Wirklich, es war ein
schöner Tag, der schönste Tag des Lebens. Als
er allerdings beim Verlassen der Kirche ein
Glas Wein mit Lorilleux trinken ging, dessen
Augen trocken geblieben waren und der ihn
aufzog, wurde er ärgerlich und beschuldigte
die Schwarzröcke, Teufelskräuter bei sich zu
verbrennen, um die Menschen weich zu
machen. Außerdem mache er schließlich kein
Hehl daraus, ihm seien die Augen zerflossen,
das beweise lediglich, daß er keinen
Pflasterstein in der Brust habe. Und er bestellte
eine neue Lage.
Der Einzugsschmaus am Abend bei den
Poissons wurde sehr lustig. Vom Anfang bis
zum Ende der Mahlzeit herrschte ungetrübte
Freundschaft. Wenn die schlechten Tage
kommen, dann stößt man so auf angenehme
Abende, auf Stunden, in denen man sich unter
Leuten liebt, die sich nicht ausstehen können.
Lantier, der zu seiner Linken Gervaise und zu
seiner Rechten Virginie sitzen hatte, zeigte
sich zu beiden liebenswürdig, verschwendete
Zärtlichkeiten an sie wie ein Hahn, der Frieden
in seinem Hühnerstall haben will. Gegenüber
wahrte Poisson seine ruhige und strenge
Polizistenverträumtheit, seine Gewohnheit,
während seines langen Wachestehens auf den
Bürgersteigen mit verschleierten Augen an
nichts zu denken. Doch die Königinnen des
Festes waren die beiden Kleinen, Nana und
Pauline, denen man erlaubt hatte, ihre Kleider
anzubehalten. Sie saßen steif da, aus Furcht,
ihre weißen Kleider zu beflecken, und man rief
ihnen bei jedem Bissen zu, sie sollten das Kinn
hochheben, um anständig zu schlucken.
Verdrossen plemperte Nana schließlich ihren
ganzen Wein über ihr Mieder; das gab
Aufregung, man zog sie aus und wusch das
Mieder unverzüglich in einem Glas Wasser.
Beim Nachtisch sprach man dann ernsthaft
über die Zukunft der Kinder. Frau Boche hatte
ihre Wahl getroffen, Pauline würde in einer
Werkstatt für Stanzarbeiten in Gold und Silber
anfangen; da drin verdiente man fünf bis sechs
Francs.
Gervaise wußte noch nicht, Nana zeigte
keinerlei Neigung. Oh, sie galoppiere umher,
diese Neigung zeige sie; aber was das übrige
angehe, so habe sie ungeschickte Hände.
»Ich an Ihrer Stelle«, sagte Frau Lerat, »würde
eine Blumenmacherin aus ihr werden lassen.
Das ist ein sauberes und nettes Gewerbe.«
»Blumenmacherinnen«, murmelte Lorilleux,
»alles solche Marielegdichlang.«
»Na, und ich!« erwiderte die große Witwe mit
verkniffenen Lippen. »Sie sind ja galant.
Wissen Sie, ich bin keine Hündin, ich strecke
nicht die Pfoten in die Luft, wenn einer
pfeift!« Aber die ganze Gesellschaft hieß sie
schweigen.
»Madame Lerat, oh, Madame Lerat!«
Und man deutete verstohlen auf die beiden
Erstkommunikantinnen, die die Nase in ihre
Gläser steckten, um nicht loszulachen. Selbst
die Männer hatten bis dahin anstandshalber
feine Worte gewählt.
Aber Frau Lerat ließ sich den Verweis nicht
gefallen. Was sie soeben gesagt habe, habe sie
in der besten Gesellschaft gehört. Im übrigen
schmeichle sie sich, ihre Zunge zu kennen;
man mache ihr oft ein Kompliment wegen
ihrer Art, mit der sie über alles spreche, selbst
vor Kindern, ohne jemals die Schicklichkeit zu
verletzen.
»Es gibt sehr
Weitere Kostenlose Bücher