Der Todschlaeger
dieser Mittagsstunde blieb der
»Totschläger« leer. Ein dicker vierzigjähriger
Mann, Vater Colombe, bediente in einer
Ärmelweste ein kleines Mädchen von etwa
zehn Jahren, das für vier Sous Schnaps in einer
Tasse von ihm verlangte. Eine breite Fläche
Sonnenschein kam durch die Tür und
erwärmte den vom Auswurf der Baucher stets
feuchten Parkettfußboden. Und vom
Schanktisch, von den Tonnen, von der ganzen
Gaststube stieg ein süßwürziger Geruch, ein
Alkoholdunst auf, der die umherfliegenden
Sonnenstäubchen zu verdichten und trunken
zu machen schien.
Unterdessen drehte sich Coupeau eine neue
Zigarette. Er war sehr sauber, hatte eine kurze
Jacke an und eine kleine blaue Leinenmütze
auf, lachte, zeigte seine weißen Zähne. Einen
vorspringenden Unterkiefer, eine leicht platt
gedrückte Nase hatte er und schöne
kastanienbraune Augen und das Gesicht eines
munteren und gutmütigen Hundes. Sein
dichtes, krauses Haar stand ganz aufrecht
empor. Er hatte mit seinen sechsundzwanzig
Jahren noch eine zarte Haut.
Ihm gegenüber aß Gervaise, in einem Mieder
aus schwarzem Orleans9 und mit bloßem
Kopf, ihre Pflaume auf, die sie mit den
Fingerspitzen am Stiel festhielt. Sie saßen
dicht an der Straße an dem ersten der vier
Tische, die längs der Tonnen vor dem
Schanktisch aufgestellt waren.
Als der Bauklempner seine Zigarette
angezündet hatte, stützte er die Ellbogen auf
den Tisch, schob das Gesicht vor und
betrachtete einen Augenblick, ohne zu
sprechen, die junge Frau, deren hübsches
Blondinengesicht an jenem Tage die milchige
Durchsichtigkeit feinen Porzellans hatte.
Dann fragte er, mit einer Anspielung auf eine
bereits erörterte Angelegenheit, die ihnen
allein bekannt war, lediglich mit halber
Stimme:
»Also nein? Sie sagen nein?«
»O gewiß, nein, Herr Coupeau«, antwortete
Gervaise ruhig und lächelnd. »Sie wollen doch
nicht etwa hier mit mir darüber reden. Sie
hatten mir doch versprochen, vernünftig zu
sein ... Wenn ich das gewußt hätte, würde ich
Ihre Einladung abgelehnt haben.«
Er fing nicht wieder an und betrachtete sie
weiterhin ganz aus der Nähe mit verwegener
und sich anbietender Zärtlichkeit, vor allem
begeistert von ihren Mundwinkeln, kleinen
Winkeln von blassem, ein wenig feuchtem
Rosa, die das lebhafte Rot des Mundes sehen
ließen, wenn sie lächelte.
Sie wich nicht zurück, blieb sanft und
freundlich. Nach einem Schweigen sagte sie
noch:
»Sie denken doch nicht wirklich daran? Ich
bin eine alte Frau, ich habe einen großen
Jungen von acht Jahren ... Was sollten wir
denn zusammen tun?«
»Bei Gott!« murmelte Coupeau
augenzwinkernd. »Was die anderen tun!«
Aber sie machte eine verdrossene
Handbewegung.
»Ach, wenn Sie glauben, daß das immer Spaß
macht ... Man sieht wirklich, daß Sie nie mit
jemand zusammen gelebt haben ... Nein, Herr
Coupeau, ich muß an ernste Dinge denken.
Vergnügen, das führt zu nichts, verstehen Sie!
Ich habe zwei Mäuler zu Hause zu stopfen, die
tüchtig was verputzen, das sage ich Ihnen! Wie
soll ich es schaffen, mein kleines Volk
großzuziehen, wenn ich mir die Zeit mit
Liebeleien vertreibe? – Und außerdem, hören
Sie mal, ist mir mein Mißgeschick eine
gehörige Lehre gewesen. Sie wissen ja,
Männer, das ist nun nichts mehr für mich. So
schnell erwischt es mich nicht wieder.« Das
legte sie ohne Zorn und mit großer
Besonnenheit dar, ganz kühl, als erörtere sie
eine mit der Arbeit zusammenhängende Frage,
wie etwa die Gründe, die sie davon abhielten,
ein Brusttuch zu stärken. Man sah, daß sie das
nach reiflicher Überlegung so beschlossen
hatte.
Gerührt sagte Coupeau immer wieder:
»Sie machen mir viel Kummer, viel
Kummer ...«
»Ja, das sehe ich«, entgegnete sie, »und das tut
mir leid für Sie, Herr Coupeau ... Das braucht
Sie nicht zu kränken. Wenn ich zum Spaßen
aufgelegt wäre, mein Gott, dann noch lieber
mit Ihnen als mit einem anderen. Sie sehen
gutmütig aus und sind nett. Man könnte sich
zusammentun, nicht wahr, und es würde
gehen, solange es geht. Ich spiele mich nicht
als Prinzessin auf, ich sage gar nicht, daß das
nicht hätte eintreffen können ... Bloß, wozu
denn, da ich nun mal keine Lust dazu habe?
Ich bin jetzt seit vierzehn Tagen bei Madame
Fauconnier. Die Kleinen gehen zur Schule. Ich
arbeite, ich bin zufrieden ... Nicht wahr, es ist
also das beste, alles bleibt so, wie es ist.« Sie
bückte sich, um ihren Korb
Weitere Kostenlose Bücher