Der Todschlaeger
und so heiter,
mit so weißen Zähnen ganz unverhohlene
Fragen über Lantier an sie richtete, daß sie
nicht daran dachte, sich beleidigt zu fühlen.
»Sie haben sie doch geschlagen«, sagte er
schließlich. »Oh, Sie sind nicht gut! Sie
verprügeln ja die Leute.«
Sie unterbrach ihn mit einem langen Lachen.
Das stimmte allerdings, sie hatte dieses lange
Gerippe, die Virginie, verprügelt. An jenem
Tag hätte sie von Herzen gern irgend jemand
erwürgt. Und sie begann noch heftiger zu
lachen, weil Coupeau ihr erzählte, daß
Virginie gerade aus dem Viertel weggezogen
sei, ganz untröstlich darüber, alles gezeigt zu
haben. Ihr Gesicht wahrte jedoch kindliche
Sanftmut. Sie schob ihre molligen Hände vor
und sagte mehrmals, sie könne keiner Fliege
etwas zuleide tun; Schläge kenne sie nur, weil
sie in ihrem Leben schon gehörig welche
abbekommen habe. Alsdann kam sie auf ihre
Jugend in Plassans zu sprechen. Sie sei
durchaus keine Herumtreiberin, die Männer
fielen ihr auf die Nerven. Als Lantier sie mit
vierzehn Jahren genommen hatte, habe sie das
nett gefunden, weil er sich als ihr Mann
bezeichnete und weil sie Mann und Frau zu
spielen meinte. Ihr einziger Fehler sei,
versicherte sie, sehr gefühlvoll zu sein, alle
Welt zu lieben und sich für Leute zu
begeistern, die ihr dann tausend
Schwierigkeiten bereiteten. Daher denke sie
nicht an Dummheiten, wenn sie einen Mann
liebe, sie träume einzig und allein davon, stets
sehr glücklich zusammen zu leben. Und als
Coupeau grinste und von ihren beiden Kindern
sprach, die sie sicherlich nicht zum Ausbrüten
unter die Kopf rolle gelegt habe, gab sie ihm
einen Klaps auf die Finger, sie fügte hinzu,
klar, sie sei eine Frau wie jede andere auch,
nur habe man unrecht, wenn man glaube, die
Frauen seien immer ganz versessen darauf; die
Frauen dächten an ihren Haushalt, rackerten
sich zu Hause ab und legten sich am Abend zu
müde ins Bett, als daß sie nicht sofort
einschliefen. Übrigens gleiche sie ihrer Mutter,
einer tüchtigen Arbeiterin, die sich
totgeschuftet habe und die Vater Macquart
über zwanzig Jahre hindurch als Lasttier
gedient habe. Sie sei noch ganz schmächtig,
während ihre Mutter Schultern gehabt habe,
mit denen sie fast die Türen beim
Hindurchgehen einriß; aber demungeachtet
gleiche sie ihr durch ihre Sucht, sich den
Leuten anzuschließen. Wenn sie ein wenig
hinke, so habe sie sogar das von der armen
Frau, die Vater Macquart krumm und lahm
schlug. Hundertmal hatte diese ihr von den
Nächten erzählt, in denen der Vater besoffen
heimgekehrt war und dann ein so brutales
Schäkern an den Tag legte, daß er ihr die
Glieder zerbrach. Und sicherlich sei sie mit
ihrem verkümmerten Bein in einer jener
Nächte zustande gekommen.
»Oh, das ist fast gar nichts, das sieht man
nicht«, sagte Coupeau, um sich bei ihr beliebt
zu machen.
Sie machte nein mit dem Kinn. Sie wußte sehr
wohl, daß man das sah, mit vierzig Jahren
Würde sie ganz gebrechlich sein. Dann sagte
sie sanft mit einem leichten Lachen:
»Sie haben einen komischen Geschmack, eine
Hinkende zu lieben.«
Da schob er, die Ellbogen noch immer auf den
Tisch gestützt, das Gesicht noch weiter vor
und machte ihr Komplimente, wobei er
gewagte Worte gebrauchte, um sie gleichsam
zu benebeln.
Aber sie schüttelte immer noch verneinend den
Kopf, ohne sich in Versuchung bringen zu
lassen, obgleich diese schmeichlerische
Stimme sie liebkoste. Sie hörte zu, wobei sie
nach draußen schaute und sich von neuem für
die wachsende Menge zu interessieren schien.
Jetzt wurde in den leeren Läden kurz
ausgefegt. Die Obsthändlerin nahm ihre letzte
Pfanne mit Pommes frites herunter, während
der Fleischer die durcheinandergeratenen
Teller auf seinem Ladentisch wieder in
Ordnung brachte. Aus allen Winkelkneipen
kamen Scharen von Arbeitern heraus; bärtige
Kerle trieben sich mit einem Klaps an, spielten
mit dem Gepolter ihrer derben Nagelschuhe
wie Gassenjungen und zerschrammten beim
Schlittern das Pflaster. Andere, die beide
Hände tief in den Taschen hatten, rauchten mit
bedächtiger Miene und sahen blinzelnd zur
Sonne hoch. Ein Überfluten des Bürgersteigs,
des Fahrdamms und der Rinnsteine war das,
eine träge Woge, die aus den offenen Türen
floß, inmitten der Wagen zum Stillstand kam
und eine lange Schleppe aus Kitteln,
Arbeitsjacken und alten Überziehern bildete,
die in der weiten Fläche blonden Lichtes, das
die
Weitere Kostenlose Bücher