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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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und so heiter,
    mit so weißen Zähnen ganz unverhohlene
    Fragen über Lantier an sie richtete, daß sie
    nicht daran dachte, sich beleidigt zu fühlen.
    »Sie haben sie doch geschlagen«, sagte er
    schließlich. »Oh, Sie sind nicht gut! Sie
    verprügeln ja die Leute.«
    Sie unterbrach ihn mit einem langen Lachen.
    Das stimmte allerdings, sie hatte dieses lange
    Gerippe, die Virginie, verprügelt. An jenem
    Tag hätte sie von Herzen gern irgend jemand
    erwürgt. Und sie begann noch heftiger zu
    lachen, weil Coupeau ihr erzählte, daß
    Virginie gerade aus dem Viertel weggezogen
    sei, ganz untröstlich darüber, alles gezeigt zu
    haben. Ihr Gesicht wahrte jedoch kindliche
    Sanftmut. Sie schob ihre molligen Hände vor
    und sagte mehrmals, sie könne keiner Fliege
    etwas zuleide tun; Schläge kenne sie nur, weil
    sie in ihrem Leben schon gehörig welche
    abbekommen habe. Alsdann kam sie auf ihre
    Jugend in Plassans zu sprechen. Sie sei
    durchaus keine Herumtreiberin, die Männer
    fielen ihr auf die Nerven. Als Lantier sie mit
    vierzehn Jahren genommen hatte, habe sie das
    nett gefunden, weil er sich als ihr Mann
    bezeichnete und weil sie Mann und Frau zu
    spielen meinte. Ihr einziger Fehler sei,
    versicherte sie, sehr gefühlvoll zu sein, alle
    Welt zu lieben und sich für Leute zu
    begeistern, die ihr dann tausend
    Schwierigkeiten bereiteten. Daher denke sie
    nicht an Dummheiten, wenn sie einen Mann
    liebe, sie träume einzig und allein davon, stets
    sehr glücklich zusammen zu leben. Und als
    Coupeau grinste und von ihren beiden Kindern
    sprach, die sie sicherlich nicht zum Ausbrüten
    unter die Kopf rolle gelegt habe, gab sie ihm
    einen Klaps auf die Finger, sie fügte hinzu,
    klar, sie sei eine Frau wie jede andere auch,
    nur habe man unrecht, wenn man glaube, die
    Frauen seien immer ganz versessen darauf; die
    Frauen dächten an ihren Haushalt, rackerten
    sich zu Hause ab und legten sich am Abend zu
    müde ins Bett, als daß sie nicht sofort
    einschliefen. Übrigens gleiche sie ihrer Mutter,
    einer tüchtigen Arbeiterin, die sich
    totgeschuftet habe und die Vater Macquart
    über zwanzig Jahre hindurch als Lasttier
    gedient habe. Sie sei noch ganz schmächtig,
    während ihre Mutter Schultern gehabt habe,
    mit denen sie fast die Türen beim
    Hindurchgehen einriß; aber demungeachtet
    gleiche sie ihr durch ihre Sucht, sich den
    Leuten anzuschließen. Wenn sie ein wenig
    hinke, so habe sie sogar das von der armen
    Frau, die Vater Macquart krumm und lahm
    schlug. Hundertmal hatte diese ihr von den
    Nächten erzählt, in denen der Vater besoffen
    heimgekehrt war und dann ein so brutales
    Schäkern an den Tag legte, daß er ihr die
    Glieder zerbrach. Und sicherlich sei sie mit
    ihrem verkümmerten Bein in einer jener
    Nächte zustande gekommen.
    »Oh, das ist fast gar nichts, das sieht man
    nicht«, sagte Coupeau, um sich bei ihr beliebt
    zu machen.
    Sie machte nein mit dem Kinn. Sie wußte sehr
    wohl, daß man das sah, mit vierzig Jahren
    Würde sie ganz gebrechlich sein. Dann sagte
    sie sanft mit einem leichten Lachen:
    »Sie haben einen komischen Geschmack, eine
    Hinkende zu lieben.«
    Da schob er, die Ellbogen noch immer auf den
    Tisch gestützt, das Gesicht noch weiter vor
    und machte ihr Komplimente, wobei er
    gewagte Worte gebrauchte, um sie gleichsam
    zu benebeln.
    Aber sie schüttelte immer noch verneinend den
    Kopf, ohne sich in Versuchung bringen zu
    lassen, obgleich diese schmeichlerische
    Stimme sie liebkoste. Sie hörte zu, wobei sie
    nach draußen schaute und sich von neuem für
    die wachsende Menge zu interessieren schien.
    Jetzt wurde in den leeren Läden kurz
    ausgefegt. Die Obsthändlerin nahm ihre letzte
    Pfanne mit Pommes frites herunter, während
    der Fleischer die durcheinandergeratenen
    Teller auf seinem Ladentisch wieder in
    Ordnung brachte. Aus allen Winkelkneipen
    kamen Scharen von Arbeitern heraus; bärtige
    Kerle trieben sich mit einem Klaps an, spielten
    mit dem Gepolter ihrer derben Nagelschuhe
    wie Gassenjungen und zerschrammten beim
    Schlittern das Pflaster. Andere, die beide
    Hände tief in den Taschen hatten, rauchten mit
    bedächtiger Miene und sahen blinzelnd zur
    Sonne hoch. Ein Überfluten des Bürgersteigs,
    des Fahrdamms und der Rinnsteine war das,
    eine träge Woge, die aus den offenen Türen
    floß, inmitten der Wagen zum Stillstand kam
    und eine lange Schleppe aus Kitteln,
    Arbeitsjacken und alten Überziehern bildete,
    die in der weiten Fläche blonden Lichtes, das
    die

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