Der Todschlaeger
aufzunehmen. »Sie
bringen mich zum Plaudern, und bei der
Meisterin muß man auf mich warten ... Lassen
Sie es gut sein, Sie werden schon eine andere
finden, Herr Coupeau, die hübscher ist als ich
und die nicht zwei Rangen durchzuschleppen
hat.«
Er sah nach der vom Spiegel eingefaßten
Wanduhr. Er bewog sie, sich wieder
hinzusetzen, indem er rief:
»Warten Sie doch! Es ist erst fünf nach halb
zwölf ... Ich habe noch fünfundzwanzig
Minuten Zeit ... Sie befürchten doch nicht, daß
ich Dummheiten machender Tisch steht ja
zwischen uns ... Ich bin Ihnen also so zuwider,
daß Sie nicht mal einen kleinen Plausch mit
mir machen wollen?«
Sie setzte ihren Korb wieder ab, um nicht
ungefällig zu ihm zu sein, und sie redeten wie
gute Freunde miteinander. Sie hatte gegessen,
bevor sie ihre Wäsche austragen ging; er hatte
sich an diesem Tage beeilt, seine Suppe und
sein Rindfleisch hinunterzuschlingen, um sie
abzupassen. Während Gervaise freundlich
antwortete, schaute sie durch die Scheiben
zwischen den Gläsern mit in Branntwein
eingelegtem Obst auf das Treiben der Straße,
wo sich wegen der Mittagszeit eine
ungewöhnliche, erdrückende Menschenmenge
drängte.
Auf den beiden Bürgersteigen in der engen
Häuserschlucht gab es ein Hasten von
Schritten, schlenkernde Arme und ein endloses
Anrempeln mit den Ellbogen. Die Nachzügler,
bei der Arbeit aufgehaltene Arbeiter mit vor
Hunger mürrischen Mienen, überquerten in
langen Schritten den Fahrdamm und traten
gegenüber bei einem Bäcker ein; und wenn sie
mit einem Pfundbrot unter dem Arm wieder
auftauchten, gingen sie drei Türen weiter ins
»Veau à deux têtes« um ein Stammgericht zu
sechs Sous zu essen. Neben dem Bäcker war
auch eine ObstundGemüseHändlerin, die
Pommes frites und mit Petersilie gekochte
Miesmuscheln verkaufte; ununterbrochen
vorüberziehende Arbeiterinnen in langen
Schürzen trugen Tüten mit Kartoffeln und
Miesmuscheln in Tassen fort. Andere, hübsche
Mädchen mit bloßem Kopf und zartem
Aussehen, kauften Bündel Radieschen. Als
sich Gervaise vorbeugte, gewahrte sie noch
einen Schweinefleischladen, der voller Leute
war und aus dem Kinder herauskamen, die ein
paniertes Kotelett, ein Würstchen oder ein
Stück ganz warmer Blutwurst, in fettiges
Papier gewickelt, in der Hand hielten. Längs
des Fahrdamms, der selbst bei schönem Wetter
mit schwarzem Schmutz beschmiert war,
verließen indessen im Füßetrappeln der sich
vorwärstbewegenden Menge einige Arbeiter
bereits die Winkelkneipen, gingen truppweise
die Straße hinab, schlendernd und sich mit der
flachen Hand auf die Schenkel schlagend,
schwerfällig vom Essen, ruhig und langsam
inmitten des Gestoßes des Volksgewühls.
An der Tür des »Totschlägers« hatte sich eine
Gruppe gebildet.
»Hör mal, RöstfleischBibi, gibst du eine
Runde Sprit aus?« fragte eine heisere Stimme.
Fünf Arbeiter traten ein und blieben stehen.
»Oh, Vater Colombe, dieser Gauner!« fuhr die
Stimme fort.
»Wissen Sie, wir brauchen alten Schnaps, und
keine Nußschalen, sondern richtige Gläser!«
Friedlich bediente Vater Colombe. Eine
weitere Gesellschaft von drei Arbeitern traf
ein. Nach und nach stauten sich die Kittel an
der Ecke des Bürgersteigs, machten dort kurz
halt und drängten sich schließlich zwischen
den beiden vom Staub grauen
Oleanderbäumen hindurch in den Raum.
»Sie sind dumm! Sie denken nur an
Schweinereien!« sagte Gervaise zu Coupeau.
»Freilich habe ich ihn geliebt ... Bloß nachdem
er mich auf so widerwärtige Weise
sitzengelassen hat ...«
Sie sprachen von Lantier, Gervaise hatte ihn
nicht wiedergesehen, sie glaubte, er lebe mit
Virginies Schwester in La Glacière bei dem
Freund, der eine Hutfabrik einrichten wollte.
Übrigens denke sie kaum daran, ihm
nachzulaufen. Zuerst habe ihr das sehr weh
getan, sie habe sogar ins Wasser gehen wollen,
aber jetzt sei sie zur Vernunft gekommen, alles
stehe zum besten. Vielleicht hätte sie mit
Lantier die Kleinen nie großziehen können, so
viel Geld bringe er durch. Er könne kommen
und Claude und Etienne küssen, sie würde ihn
nicht hinausschmeißen. Nur, was sie angehe,
so könne man sie eher in Stücke hacken, als
daß sie sich auch nur mit den Fingerspitzen
anrühren lasse. Und sie sagte dies alles als eine
resolute Frau, deren Lebensplan genau
feststeht, während Coupeau, der sein
Verlangen, sie zu kriegen, nicht aufgab,
scherzte, alles in den Dreck zog
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