Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
dampfend mit der ununterbrochenen
    Arbeit ihrer stählernen Arme das Waschhaus
    noch heftiger in Erschütterung versetzte.
    Als Gervaise den langen Flur des Hotels
    Boncœur betrat, kamen ihr wieder die Tränen.
    Es war ein finsterer, enger Flur mit einem an
    der Wand entlanglaufenden Abfluß für das
    Schmutzwasser. Und dieser Gestank, den sie
    wiederfand, ließ sie an die vierzehn Tage
    denken, die sie hier mit Lantier verbracht
    hatte, vierzehn Tage des Elends und der
    Streitereien, an die sie sich jetzt mit
    brennendem Bedauern erinnerte. Ihr war, als
    begänne nun ihre gänzliche Verlassenheit.
    Das Zimmer oben war kahl, voller Sonne, das
    Fenster stand offen. Diese brennende Sonne,
    diese breite tanzende Fläche goldigen Staubs
    ließ die schwarze Decke und die Wände mit
    der losgerissenen Tapete kläglich erscheinen.
    An einem Nagel des Kamins hing nur noch ein
    kleines Frauenhalstuch, das wie eine Schnur
    zusammengedreht war. Das in die Mitte des
    Raumes gezogene Bett der Kinder gab die
    Kommode frei, deren offengelassene
    Schubladen ihr leeres Innere zeigten. Lantier
    hatte sich gewaschen und die Pomade
    aufgebraucht, für zwei Sous Pomade auf einer
    Spielkarte; das fettige Wasser seiner Hände
    füllte die Waschschüssel. Und er hatte nichts
    vergessen. Gervaise schien es, als bilde die
    Ecke, die bis dahin der Koffer eingenommen
    hatte, ein ungeheures Loch. Nicht einmal den
    am Fensterriegel aufgehängten kleinen, runden
    Spiegel fand sie wieder. Da überkam sie eine
    Ahnung, sie schaute auf den Kamin: Lantier
    hatte die Pfandscheine mitgenommen, das
    zartrosa Bündel lag nicht mehr zwischen den
    nicht zusammenpassenden Zinkleuchtern.
    Sie hängte ihre Wäsche über eine Stuhllene;
    sie blieb stehen, wandte sich um, musterte die
    Möbel und war mit einer solchen
    Benommenheit geschlagen, daß ihre Tränen
    nicht mehr flossen. Von den für das
    Waschhaus aufgehobenen vier Sous blieb ihr
    ein einziger. Als sie dann Etienne und Claude
    schon getröstet am Fenster lachen hörte, trat
    sie herzu, nahm ihre Köpfe unter die Arme
    und vergaß einen Augenblick lang die Zeit
    angesichts dieses grauen Fahrdamms, auf dem
    sie am Morgen gesehen hatte, wie das
    Arbeitervolk, die Riesenarbeit von Paris
    erwachte. Zu dieser Stunde entfachte das vom
    Schaffen des Tages erhitzte Pflaster einen
    glühenden Widerschein über der Stadt hinter
    der Zollmauer. Auf dieses Pflaster, in diese
    Backofenluft warf man sie ganz allein mit den
    Kleinen; und mit einem Blick überflog sie die
    äußeren Boulevards nach rechts und nach links
    und verweilte an den beiden Endpunkten, von
    dumpfem Entsetzen erfaßt, als solle sich ihr
    Leben von nun an dort abspielen zwischen
    einem Schlachthaus und einem Hospital.

    Kapitel II
    Drei Wochen später aßen Gervaise und
    Coupeau, der Bauklempner, an einem schönen
    sonnigen Tag gegen halb zwölf zusammen in
    Vater Colombes »Assommoir«, im
    »Totschläger«,

    Branntweinpflaumen.
    Coupeau, der gerade eine Zigarette auf dem
    Bürgersteig geraucht hatte, hatte sie genötigt,
    einzutreten, als sie, vom Wäscheaustragen
    zurückkommend, die Straße überquerte; und
    ihr großer viereckiger Wäscherinnenkorb stand
    neben ihr auf der Erde hinter dem kleinen mit
    Zink überzogenen Tisch.
    Vater Colombes »Assommoir«, der
    »Totschläger«, lag an der Ecke der Rue des
    Poissonniers und des Boulevard de
    Rochechouart. Auf dem Schild war in langen
    blauen Buchstaben von einem Ende zum
    anderen nur das Wort »Destillation«
    geschrieben. An der Tür standen in zwei
    halben Fässern verstaubte Oleanderbäume.
    Der riesige Schanktisch mit seinen
    Gläserreihen, seinem Wasserhahn und seinen
    Maßen aus Zinn erstreckte sich links vom
    Eingang, und der große Raum war ringsum mit
    dicken, hellgelb gestrichenen, vor Lack
    schillernden Tonnen geschmückt, deren
    kupferne Reifen und Hähne glänzten. Weiter
    oben auf Regalen verbargen Likörflaschen,
    Einmachgläser voller Obst und allerlei gut
    geordnete Fläschchen die Wände und ließen
    im Spiegel hinter dem Schanktisch ihre grellen
    Flecken sehen, apfelgrün, mattgold und zart
    lackfarben. Aber die Sehenswürdigkeit des
    Hauses war im Hinttergrund auf der anderen
    Seite einer Eichenbarriere auf einem
    glasüberdachten Hof der Destillierapparat, den
    die Gäste in Betrieb sahen: Destillationskolben
    mit langen Hälsen und Kühlschlangen, die
    unter die Erde hinabgingen, eine
    Teufelsküche, vor die die trunksüchtigen
    Arbeiter hintraten und träumten.
    Zu

Weitere Kostenlose Bücher