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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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prallen
    Sonne stand, ein Schauer wie eisiges Wasser,
    das ihm von den Schultern bis zum Hintern
    hinabrann. Was ihn am meisten auf die Palme
    brachte, war ein leises Zittern seiner beiden
    Hände; vor allem die rechte Hand mußte was
    Schlimmes begangen haben, solches
    Alpdrücken hatte sie. Himmelsakrament! Er
    war wohl kein Mann mehr, er wurde zu einem
    alten Weib! Wütend spannte er seine Muskeln,
    packte sein Glas, wettete, es unbeweglich wie
    an einer Marmorhand halten zu können; aber
    trotz seiner Anstrengung tanzte das Glas einen
    Chahut, hüpfte nach rechts, hüpfte nach links
    mit einem eiligen und regelmäßigen leisen
    Zittern. Da goß er es sich wütend hinter die
    Binde und brüllte, er brauche Dutzende, dann
    nehme er es auf sich, ein Faß zu tragen, ohne
    mit einem Finger zu wackeln. Gervaise sagte
    ihm hingegen, er solle nicht mehr trinken,
    wenn er aufhören wolle zu zittern. Er pfiff auf
    sie, er trank ganze Liter, um das Experiment
    von vorn zu beginnen, und wurde rasend,
    beschuldigte die vorüberfahrenden Omnibusse,
    ihm sein Getränk umzurempeln.
    Im März kehrte Coupeau eines Abends bis auf
    die Knochen durchgeweicht heim; er kam mit
    MeineBotten aus Montrouge zurück, wo sie
    sich den Bauch mit Aalsuppe vollgeschlagen
    hatten; und von der Barrière des Fourneaux bis
    zur Barrière Poissonnière, ein gewaltiges, sich
    lang dahinziehendes Ende, hatte er einen
    Platzregen abbekommen. In der Nacht befiel
    ihn ein verdammter Husten; er war ganz rot,
    wurde von heftigem Fieber geritten, flatterte
    mit den Flanken wie ein geplatzter Blasebalg.
    Als Boches Arzt ihn am Morgen untersucht
    und ihm den Rücken abgehorcht hatte,
    schüttelte er den Kopf und nahm Gervaise
    beiseite, um ihr zu raten, ihren Mann sofort ins
    Hospital bringen zu lassen. Coupeau hatte eine
    Lungenentzündung.
    Und Gervaise war bestimmt nicht böse. Früher
    hätte sie sich lieber in Stücke hacken lassen,
    als ihren Mann den Karbolfritzen
    anzuvertrauen. Zur Zeit des Unfalls in der Rue
    de la Nation hatte sie das Geld, das beide auf
    die hohe Kante gelegt hatten, aufgebraucht,
    um ihn zu verhätscheln. Aber diese schönen
    Gefühle währen nicht lange, wenn die Männer
    auf ein liederliches Leben verfallen. Nein,
    nein, sie hatte nicht mehr die Absicht, sich
    solch Kopfzerbrechen zu machen. Man mochte
    ihn ihr ruhig wegnehmen und niemals
    zurückbringen, sie würde Dankeschön sagen.
    Als jedoch die Tragbahre kam und man
    Coupeau wie ein Möbelstück auflud, wurde sie
    ganz blaß, verkniff die Lippen; und wenn sie
    auch brummte und immer noch fand, daß es
    ihm recht geschehe, so war ihr Herz nicht
    mehr dabei, sie hätte gern bloß zehn Francs in
    der Kommode gehabt, um ihn nicht
    fortzulassen. Sie begleitete ihn zum Hospital
    Lariboisière, sah zu, wie die Krankenwärter
    ihn ins Bett legten am Ende eines großen
    Saales, in dem die in einer Reihe
    hintereinander liegenden Kranken, die wie
    Verstorbene aussahen, sich aufrichteten und
    dem Kumpel nachblickten, den man anbrachte.
    Ein hübsches Verrecken da drin, ein
    Fiebergeruch zum Ersticken und eine
    Schwindsuchtsmusik, um einen die Lumpen
    ausspucken zu lassen, abgesehen davon, daß
    der Saal aussah wie ein kleiner Friedhof
    PèreLachaise, umsäumt von ganz weißen
    Betten, eine wahre Allee von Gräbern. Als er
    dann flach hingestreckt auf seinem Kopfkissen
    liegenblieb, verdrückte sie sich, weil ihr kein
    Wort einfiel und sie leider nichts in der Tasche
    hatte, um ihm Erleichterung zu verschaffen.
    Draußen wandte sie sich gegenüber vom
    Hospital um und warf einen kurzen Blick auf
    das Gebäude. Und sie dachte an die Tage von
    einst, als Coupeau dort oben, am Rande der
    Dachrinnen hockend, seine Zinkplatten
    anbrachte und dabei im Sonnenschein sang.
    Damals trank er nicht und hatte eine Haut wie
    ein Mädchen. Von ihrem Fenster im Hotel
    Boncœur suchte sie ihn, erblickte ihn mitten
    am Himmel; und alle beide schwenkten
    Taschentücher und sandten sich telegraphisch
    ein fröhliches Lachen zu. Ja, dort oben hatte
    Coupeau gearbeitet, wobei er kaum ahnte, daß
    er dabei für sich arbeitete. Jetzt saß er nicht
    mehr auf den Dächern gleich einem fidelen
    und herumstreunenden Spatzen; er war unten,
    er hatte sein Nest im Hospital gebaut, und er
    kam mit rauher Schwarte dorthin, um zu
    verrecken. Mein Gott, wie fern schien heute
    die Zeit der Liebe!
    Als sich Gervaise am übernächsten Tag
    einstellte, um sich nach seinem Befinden zu
    erkundigen, fand sie das Bett leer.

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