Der Todschlaeger
prallen
Sonne stand, ein Schauer wie eisiges Wasser,
das ihm von den Schultern bis zum Hintern
hinabrann. Was ihn am meisten auf die Palme
brachte, war ein leises Zittern seiner beiden
Hände; vor allem die rechte Hand mußte was
Schlimmes begangen haben, solches
Alpdrücken hatte sie. Himmelsakrament! Er
war wohl kein Mann mehr, er wurde zu einem
alten Weib! Wütend spannte er seine Muskeln,
packte sein Glas, wettete, es unbeweglich wie
an einer Marmorhand halten zu können; aber
trotz seiner Anstrengung tanzte das Glas einen
Chahut, hüpfte nach rechts, hüpfte nach links
mit einem eiligen und regelmäßigen leisen
Zittern. Da goß er es sich wütend hinter die
Binde und brüllte, er brauche Dutzende, dann
nehme er es auf sich, ein Faß zu tragen, ohne
mit einem Finger zu wackeln. Gervaise sagte
ihm hingegen, er solle nicht mehr trinken,
wenn er aufhören wolle zu zittern. Er pfiff auf
sie, er trank ganze Liter, um das Experiment
von vorn zu beginnen, und wurde rasend,
beschuldigte die vorüberfahrenden Omnibusse,
ihm sein Getränk umzurempeln.
Im März kehrte Coupeau eines Abends bis auf
die Knochen durchgeweicht heim; er kam mit
MeineBotten aus Montrouge zurück, wo sie
sich den Bauch mit Aalsuppe vollgeschlagen
hatten; und von der Barrière des Fourneaux bis
zur Barrière Poissonnière, ein gewaltiges, sich
lang dahinziehendes Ende, hatte er einen
Platzregen abbekommen. In der Nacht befiel
ihn ein verdammter Husten; er war ganz rot,
wurde von heftigem Fieber geritten, flatterte
mit den Flanken wie ein geplatzter Blasebalg.
Als Boches Arzt ihn am Morgen untersucht
und ihm den Rücken abgehorcht hatte,
schüttelte er den Kopf und nahm Gervaise
beiseite, um ihr zu raten, ihren Mann sofort ins
Hospital bringen zu lassen. Coupeau hatte eine
Lungenentzündung.
Und Gervaise war bestimmt nicht böse. Früher
hätte sie sich lieber in Stücke hacken lassen,
als ihren Mann den Karbolfritzen
anzuvertrauen. Zur Zeit des Unfalls in der Rue
de la Nation hatte sie das Geld, das beide auf
die hohe Kante gelegt hatten, aufgebraucht,
um ihn zu verhätscheln. Aber diese schönen
Gefühle währen nicht lange, wenn die Männer
auf ein liederliches Leben verfallen. Nein,
nein, sie hatte nicht mehr die Absicht, sich
solch Kopfzerbrechen zu machen. Man mochte
ihn ihr ruhig wegnehmen und niemals
zurückbringen, sie würde Dankeschön sagen.
Als jedoch die Tragbahre kam und man
Coupeau wie ein Möbelstück auflud, wurde sie
ganz blaß, verkniff die Lippen; und wenn sie
auch brummte und immer noch fand, daß es
ihm recht geschehe, so war ihr Herz nicht
mehr dabei, sie hätte gern bloß zehn Francs in
der Kommode gehabt, um ihn nicht
fortzulassen. Sie begleitete ihn zum Hospital
Lariboisière, sah zu, wie die Krankenwärter
ihn ins Bett legten am Ende eines großen
Saales, in dem die in einer Reihe
hintereinander liegenden Kranken, die wie
Verstorbene aussahen, sich aufrichteten und
dem Kumpel nachblickten, den man anbrachte.
Ein hübsches Verrecken da drin, ein
Fiebergeruch zum Ersticken und eine
Schwindsuchtsmusik, um einen die Lumpen
ausspucken zu lassen, abgesehen davon, daß
der Saal aussah wie ein kleiner Friedhof
PèreLachaise, umsäumt von ganz weißen
Betten, eine wahre Allee von Gräbern. Als er
dann flach hingestreckt auf seinem Kopfkissen
liegenblieb, verdrückte sie sich, weil ihr kein
Wort einfiel und sie leider nichts in der Tasche
hatte, um ihm Erleichterung zu verschaffen.
Draußen wandte sie sich gegenüber vom
Hospital um und warf einen kurzen Blick auf
das Gebäude. Und sie dachte an die Tage von
einst, als Coupeau dort oben, am Rande der
Dachrinnen hockend, seine Zinkplatten
anbrachte und dabei im Sonnenschein sang.
Damals trank er nicht und hatte eine Haut wie
ein Mädchen. Von ihrem Fenster im Hotel
Boncœur suchte sie ihn, erblickte ihn mitten
am Himmel; und alle beide schwenkten
Taschentücher und sandten sich telegraphisch
ein fröhliches Lachen zu. Ja, dort oben hatte
Coupeau gearbeitet, wobei er kaum ahnte, daß
er dabei für sich arbeitete. Jetzt saß er nicht
mehr auf den Dächern gleich einem fidelen
und herumstreunenden Spatzen; er war unten,
er hatte sein Nest im Hospital gebaut, und er
kam mit rauher Schwarte dorthin, um zu
verrecken. Mein Gott, wie fern schien heute
die Zeit der Liebe!
Als sich Gervaise am übernächsten Tag
einstellte, um sich nach seinem Befinden zu
erkundigen, fand sie das Bett leer.
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