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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Eine
    Schwester erklärte ihr, man habe ihren Mann
    ins Asyl SainteAnne90 schaffen müssen, weil
    er am Vortage mit einemmal phantasiert habe.
    Oh, eine völlige geistige Umnachtung, die fixe
    Idee, sich den Kopf an der Wand einzurennen,
    ein Gebrüll, das die anderen Kranken am
    Schlafen hinderte. Das kam vom Suff, wie es
    schien. Der Suff, der in seinem Körper
    schwelte, hatte sich den Augenblick, da er mit
    Lungenentzündung kraftlos darniederlag,
    zunutze gemacht, um seine Nerven anzufallen
    und zu verdrehen. Verstört kehrte die
    Wäscherin heim. Nun war ihr Mann verrückt!
    Das Leben würde ja lustig werden, wenn man
    ihn herausließ. Nana schrie, man müsse ihn im
    Hospital lassen, weil er sie am Ende noch alle
    beide massakrieren würde.
    Erst am Sonntag konnte sich Gervaise ins Asyl
    SainteAnne begeben. Es war eine richtige
    Tagereise. Zum Glück fuhr der Omnibus vom
    Boulevard de Rochechouart nach La Glacière
    in der Nähe des Asyls vorbei. Sie stieg in der
    Rue de la Sante aus, sie kaufte zwei
    Apfelsinen, um nicht mit leeren Händen
    hereinzukommen. Abermals ein Bauwerk mit
    grauen Höfen, endlosen Korridoren, einem
    Geruch nach alten, ranzigen Arzneien, der
    nicht gerade Heiterkeit einflößte. Aber als man
    sie in eine Zelle hatte treten lassen, war sie
    ganz überrascht, Coupeau fast lustig zu sehen.
    Er saß gerade auf dem Thron, einem sehr
    sauberen Holzkasten, der nicht den geringsten
    Geruch verbreitete; und sie lachten darüber,
    daß sie ihn beim Geschäft antraf, mit dem
    Allerwertesten in der frischen Luft. Nicht
    wahr, man wisse doch, wie das so mit einem
    Kranken sei. Mit seinem Schandmaul von
    einst spreizte er sich dort oben wie ein Papst.
    Oh, es gehe ihm besser, da alles wieder seinen
    Gang nehme.
    »Und die Lungenentzündung?« fragte die
    Wäscherin.
    »Weg!« antwortete er. »Die haben sie mir mit
    der Hand rausgezogen. Ich huste noch ein
    bißchen, aber das ist das Ende von der
    Schornsteinfegerei.« In dem Augenblick, als er
    den Thron verließ, um sich wieder in sein Bett
    zu verkriechen, ulkte er dann von neuem. »Du
    hast eine gediegene Nase, du hast keine Angst,
    eine Prise abzukriegen.«
    Und sie wurden noch lustiger. Im Grunde
    freuten sie sich. Um einander, ohne Phrasen zu
    machen, ihre Zufriedenheit zu zeigen,
    scherzten sie so gemeinsam über das Kacken.
    Man muß Kranke gepflegt haben, um das
    Vergnügen zu kennen, das man empfindet,
    wenn man sie wieder nach jeder Richtung hin
    gut in Tätigkeit sieht.
    Als er im Bett lag, gab sie ihm die beiden
    Apfelsinen, was Rührung in ihm hervorrief. Er
    wurde wieder nett, seitdem er Kräutertee trank
    und sein Herz nicht mehr auf den
    Schanktischen der Kneipenwirte lassen
    konnte. Schließlich wagte sie mit ihm über
    seinen Dachschaden zu sprechen und war
    überrascht, ihn wie in der guten alten Zeit
    vernünftig reden zu hören.
    »Ach ja«, sagte er, sich selbst aufziehend, »ich
    habe ganz schon rumgequatscht ... Stell dir
    vor, ich habe Ratten gesehen, ich bin auf allen
    vieren rumgelaufen, um ihnen ein Körnchen
    Salz unter den Schwanz zu legen. Und du, du
    hast mich gerufen, dich wollten Männer
    rankriegen. Kurzum, allerlei Dummheiten,
    Gespenster am hellichten Tage ... Oh, ich
    erinnere mich sehr gut, der Bregen ist noch
    zuverlässig ... Jetzt ist das vorbei, ich träume
    zwar allerlei beim Einschlafen, ich habe
    Alpdrücken, aber Alpdrücken hat ja jeder.«
    Gervaise blieb bis zum Abend bei ihm. Als der
    Assistenzarzt zur Sechsuhrvisite kam, ließ er
    ihn die Hände ausstrecken; sie zitterten fast
    gar nicht mehr, kaum ein Schauer, der die
    Fingerspitzen bewegte. Als die Nacht
    hereinbrach, wurde Coupeau allerdings nach
    und nach von Unruhe befallen. Er setzte sich
    zweimal im Bett auf und sah auf die Erde in
    die dunklen Ecken des Zimmers. Plötzlich
    streckte er den Arm aus und schien ein Tier an
    der Wand zu zerquetschen.
    »Was ist denn?« fragte Gervaise erschrocken.
    »Die Ratten, die Ratten«, murmelte er. Nach
    einem Schweigen in den Schlaf
    hinübergleitend, zappelte er dann und ließ
    abgerissene Worte fallen: »Himmelsakrament!
    Sie durchlöchern mir die Kluft! – Oh, diese
    dreckigen Tiere! – Halte stand! Nimm deine
    Röcke zusammen! Nimm dich vor dem
    Dreckskerl hinter dir in acht! –
    Himmeldonnerwetter! Nun hat man sie
    umgelegt, und diese Flegel machen noch
    Witze! – Ihr Flegel! Ihr Strolche! Ihr Schufte!«
    Er teilte Schläge ins Leere aus, zog seine
    Bettdecke hoch und rollte

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