Der Todschlaeger
Eine
Schwester erklärte ihr, man habe ihren Mann
ins Asyl SainteAnne90 schaffen müssen, weil
er am Vortage mit einemmal phantasiert habe.
Oh, eine völlige geistige Umnachtung, die fixe
Idee, sich den Kopf an der Wand einzurennen,
ein Gebrüll, das die anderen Kranken am
Schlafen hinderte. Das kam vom Suff, wie es
schien. Der Suff, der in seinem Körper
schwelte, hatte sich den Augenblick, da er mit
Lungenentzündung kraftlos darniederlag,
zunutze gemacht, um seine Nerven anzufallen
und zu verdrehen. Verstört kehrte die
Wäscherin heim. Nun war ihr Mann verrückt!
Das Leben würde ja lustig werden, wenn man
ihn herausließ. Nana schrie, man müsse ihn im
Hospital lassen, weil er sie am Ende noch alle
beide massakrieren würde.
Erst am Sonntag konnte sich Gervaise ins Asyl
SainteAnne begeben. Es war eine richtige
Tagereise. Zum Glück fuhr der Omnibus vom
Boulevard de Rochechouart nach La Glacière
in der Nähe des Asyls vorbei. Sie stieg in der
Rue de la Sante aus, sie kaufte zwei
Apfelsinen, um nicht mit leeren Händen
hereinzukommen. Abermals ein Bauwerk mit
grauen Höfen, endlosen Korridoren, einem
Geruch nach alten, ranzigen Arzneien, der
nicht gerade Heiterkeit einflößte. Aber als man
sie in eine Zelle hatte treten lassen, war sie
ganz überrascht, Coupeau fast lustig zu sehen.
Er saß gerade auf dem Thron, einem sehr
sauberen Holzkasten, der nicht den geringsten
Geruch verbreitete; und sie lachten darüber,
daß sie ihn beim Geschäft antraf, mit dem
Allerwertesten in der frischen Luft. Nicht
wahr, man wisse doch, wie das so mit einem
Kranken sei. Mit seinem Schandmaul von
einst spreizte er sich dort oben wie ein Papst.
Oh, es gehe ihm besser, da alles wieder seinen
Gang nehme.
»Und die Lungenentzündung?« fragte die
Wäscherin.
»Weg!« antwortete er. »Die haben sie mir mit
der Hand rausgezogen. Ich huste noch ein
bißchen, aber das ist das Ende von der
Schornsteinfegerei.« In dem Augenblick, als er
den Thron verließ, um sich wieder in sein Bett
zu verkriechen, ulkte er dann von neuem. »Du
hast eine gediegene Nase, du hast keine Angst,
eine Prise abzukriegen.«
Und sie wurden noch lustiger. Im Grunde
freuten sie sich. Um einander, ohne Phrasen zu
machen, ihre Zufriedenheit zu zeigen,
scherzten sie so gemeinsam über das Kacken.
Man muß Kranke gepflegt haben, um das
Vergnügen zu kennen, das man empfindet,
wenn man sie wieder nach jeder Richtung hin
gut in Tätigkeit sieht.
Als er im Bett lag, gab sie ihm die beiden
Apfelsinen, was Rührung in ihm hervorrief. Er
wurde wieder nett, seitdem er Kräutertee trank
und sein Herz nicht mehr auf den
Schanktischen der Kneipenwirte lassen
konnte. Schließlich wagte sie mit ihm über
seinen Dachschaden zu sprechen und war
überrascht, ihn wie in der guten alten Zeit
vernünftig reden zu hören.
»Ach ja«, sagte er, sich selbst aufziehend, »ich
habe ganz schon rumgequatscht ... Stell dir
vor, ich habe Ratten gesehen, ich bin auf allen
vieren rumgelaufen, um ihnen ein Körnchen
Salz unter den Schwanz zu legen. Und du, du
hast mich gerufen, dich wollten Männer
rankriegen. Kurzum, allerlei Dummheiten,
Gespenster am hellichten Tage ... Oh, ich
erinnere mich sehr gut, der Bregen ist noch
zuverlässig ... Jetzt ist das vorbei, ich träume
zwar allerlei beim Einschlafen, ich habe
Alpdrücken, aber Alpdrücken hat ja jeder.«
Gervaise blieb bis zum Abend bei ihm. Als der
Assistenzarzt zur Sechsuhrvisite kam, ließ er
ihn die Hände ausstrecken; sie zitterten fast
gar nicht mehr, kaum ein Schauer, der die
Fingerspitzen bewegte. Als die Nacht
hereinbrach, wurde Coupeau allerdings nach
und nach von Unruhe befallen. Er setzte sich
zweimal im Bett auf und sah auf die Erde in
die dunklen Ecken des Zimmers. Plötzlich
streckte er den Arm aus und schien ein Tier an
der Wand zu zerquetschen.
»Was ist denn?« fragte Gervaise erschrocken.
»Die Ratten, die Ratten«, murmelte er. Nach
einem Schweigen in den Schlaf
hinübergleitend, zappelte er dann und ließ
abgerissene Worte fallen: »Himmelsakrament!
Sie durchlöchern mir die Kluft! – Oh, diese
dreckigen Tiere! – Halte stand! Nimm deine
Röcke zusammen! Nimm dich vor dem
Dreckskerl hinter dir in acht! –
Himmeldonnerwetter! Nun hat man sie
umgelegt, und diese Flegel machen noch
Witze! – Ihr Flegel! Ihr Strolche! Ihr Schufte!«
Er teilte Schläge ins Leere aus, zog seine
Bettdecke hoch und rollte
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