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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Unrat fiel. Die
    Lorilleux hielten sich nun ausdrücklich die
    Nase zu, wenn sie an Gervaises Stube
    vorbeigingen; ein wahres Giftstück, sagten sie.
    Sie lebten verschlossen hinten im Flur, gingen
    all diesem Elend aus dem Wege, das in diesem
    Winkel des Hauses herumplärrte, und
    schlossen sich ein, um keine
    Zwanzigsousstücke verborgen zu müssen. Oh,
    gutherzige Leute, hübsch gefällige Nachbarn!
    Ja, hat sich was! Man brauchte nur
    anzuklopfen und um Feuer, um eine Prise Salz
    oder um eine Flasche Wasser zu bitten, und
    man konnte sicher sein, sofort die Tür an die
    Nase zu bekommen. Obendrein Lästerzungen.
    Wenn es sich darum handelte, ihrem Nächsten
    zu helfen, schrien sie, daß sie sich nie um
    ändere kümmerten; doch sie kümmerten sich
    von morgens bis abends um die anderen,
    sobald es darauf ankam, auf die Leute tüchtig
    einzuhacken. Bei vorgeschobenem Riegel und
    einer vorgehängten Decke, um die Ritzen und
    das Schlüsselloch abzudichten, taten sie sich
    an Klatschereien gütlich, ohne ihre Golddrähte
    eine Sekunde loszulassen. Vor allem ließ
    Hinkebeins Herunterkommen sie den ganzen
    Tag über schnurren wie Kater, die gestreichelt
    werden. Wie saß sie doch in der Klemme, wie
    sie einging, Freunde! Sie lauerten ihr auf,
    wenn sie einholen ging und ulkten über das
    winzige Stückchen Brot, das sie unter ihrer
    Schürze mitbrachte. Sie rechneten die Tage
    aus, an denen sie vor dem Speiseschrank
    herumtanzte. Sie kannten die Dicke der
    Staubschicht bei ihr, die Zahl der stehen und
    liegengelassenen schmutzigen Teller, jede der
    zunehmenden Vernachlässigungen durch
    Elend und Faulheit. Und ihre Kleider erst,
    widerliche Lappen, die nicht mal eine
    Lumpensammlerin aufgelesen hätte! Du lieber
    Gott, es regnete dieser schönen Blondine
    ordentlich auf den Kram, dieser Trine, die
    früher in ihrem schönen blauen Laden so mit
    dem Hintern gewackelt hatte. Dahin führten
    die Liebe zum Brutzeln, die Zechereien und
    Fressereien.
    Gervaise, die ahnte, auf welche Art und Weise
    sie sie zurichteten, zog ihre Schuhe aus, legte
    das Ohr an ihre Tür; aber die Decke
    verhinderte, daß sie etwas hörte. Sie
    überraschte sie nur eines Tages dabei, wie sie
    sie gerade »Hängetitte« nannten, weil das
    Vorderteil ihrer Unterjacke trotz der
    schlechten Ernährung, die ihr die Haut
    ausmergelte, zweifellos ein wenig stark war.
    Im übrigen hatte sie sie gefressen; sie sprach
    weiterhin mit ihnen, um Gerede zu vermeiden,
    erwartete von diesen Lumpen nur
    Beschimpfungen, hatte aber nicht einmal mehr
    die Kraft, ihnen zu antworten und sie wie
    einen Packen Dummheiten liegenzulassen.
    Und außerdem – verflixt noch mal! – wollte
    sie ihr Vergnügen, wollte gemütlich sitzen,
    bleiben, die Daumen drehen, sich nur
    bewegen, wenn es darum ging, sich einen
    guten Tag zu machen, mehr nicht.
    An einem Sonnabend hatte Coupeau ihr
    versprochen, sie in den Zirkus zu führen. Zu
    sehen, wie Damen auf Pferden galoppierten
    und durch Papierreifen sprangen, das war doch
    wenigstens die Mühe wert, sich vom Fleck zu
    rühren. Coupeau hatte gerade einen
    Vierzehntagelohn erhalten; er konnte vierzig
    Sous lockermachen; und sie wollten sogar
    beide auswärts essen, da Nana an diesem
    Abend wegen eines Eilauftrags sehr lange bei
    ihrem Chef zu arbeiten hatte. Aber um sieben
    Uhr – kein Coupeau; um acht Uhr – immer
    noch niemand; Gervaise war wütend. Ihr
    Säufer verpraßte den Vierzehntagelohn sicher
    mit den Kumpeln in den Weinschenken des
    Viertels. Sie hatte eine Haube gewaschen und
    plagte sich seit dem Morgen mit den Löchern
    eines alten Kleides ab, weil sie anständig
    aussehen wollte. Mit leerem Magen, blau vor
    Zorn, beschloß sie schließlich gegen neun Uhr
    hinunterzugehen, um Coupeau in der
    Umgegend zu suchen.
    »Suchen Sie Ihren Mann?« rief ihr Frau Boche
    zu, als sie sie mit verstörtem Gesicht erblickte.
    »Er ist bei Vater Colombe. Mein Mann hat
    gerade Branntweinkirschen mit ihm verzehrt.«
    Sie bedankte sich. Sie machte sich schleunigst
    auf dem Bürgersteig davon und trug sich mit
    dem Gedanken, Coupeau ins Gesicht zu
    springen. Es fiel ein leichter feiner Regen, was
    den Spaziergang noch weniger amüsant
    machte. Doch als sie vor dem »Assommoir«,
    vor dem »Totschläger«, angelangt war,
    besänftigte die Angst, ihr würden selber die
    Flötentöne beigebracht werden, wenn sie
    ihrem Mann zusetzte, sie jäh und machte sie
    vorsichtig. Der Laden flammte mit seinem
    angezündeten Gaslicht, den

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