Der Todschlaeger
Unrat fiel. Die
Lorilleux hielten sich nun ausdrücklich die
Nase zu, wenn sie an Gervaises Stube
vorbeigingen; ein wahres Giftstück, sagten sie.
Sie lebten verschlossen hinten im Flur, gingen
all diesem Elend aus dem Wege, das in diesem
Winkel des Hauses herumplärrte, und
schlossen sich ein, um keine
Zwanzigsousstücke verborgen zu müssen. Oh,
gutherzige Leute, hübsch gefällige Nachbarn!
Ja, hat sich was! Man brauchte nur
anzuklopfen und um Feuer, um eine Prise Salz
oder um eine Flasche Wasser zu bitten, und
man konnte sicher sein, sofort die Tür an die
Nase zu bekommen. Obendrein Lästerzungen.
Wenn es sich darum handelte, ihrem Nächsten
zu helfen, schrien sie, daß sie sich nie um
ändere kümmerten; doch sie kümmerten sich
von morgens bis abends um die anderen,
sobald es darauf ankam, auf die Leute tüchtig
einzuhacken. Bei vorgeschobenem Riegel und
einer vorgehängten Decke, um die Ritzen und
das Schlüsselloch abzudichten, taten sie sich
an Klatschereien gütlich, ohne ihre Golddrähte
eine Sekunde loszulassen. Vor allem ließ
Hinkebeins Herunterkommen sie den ganzen
Tag über schnurren wie Kater, die gestreichelt
werden. Wie saß sie doch in der Klemme, wie
sie einging, Freunde! Sie lauerten ihr auf,
wenn sie einholen ging und ulkten über das
winzige Stückchen Brot, das sie unter ihrer
Schürze mitbrachte. Sie rechneten die Tage
aus, an denen sie vor dem Speiseschrank
herumtanzte. Sie kannten die Dicke der
Staubschicht bei ihr, die Zahl der stehen und
liegengelassenen schmutzigen Teller, jede der
zunehmenden Vernachlässigungen durch
Elend und Faulheit. Und ihre Kleider erst,
widerliche Lappen, die nicht mal eine
Lumpensammlerin aufgelesen hätte! Du lieber
Gott, es regnete dieser schönen Blondine
ordentlich auf den Kram, dieser Trine, die
früher in ihrem schönen blauen Laden so mit
dem Hintern gewackelt hatte. Dahin führten
die Liebe zum Brutzeln, die Zechereien und
Fressereien.
Gervaise, die ahnte, auf welche Art und Weise
sie sie zurichteten, zog ihre Schuhe aus, legte
das Ohr an ihre Tür; aber die Decke
verhinderte, daß sie etwas hörte. Sie
überraschte sie nur eines Tages dabei, wie sie
sie gerade »Hängetitte« nannten, weil das
Vorderteil ihrer Unterjacke trotz der
schlechten Ernährung, die ihr die Haut
ausmergelte, zweifellos ein wenig stark war.
Im übrigen hatte sie sie gefressen; sie sprach
weiterhin mit ihnen, um Gerede zu vermeiden,
erwartete von diesen Lumpen nur
Beschimpfungen, hatte aber nicht einmal mehr
die Kraft, ihnen zu antworten und sie wie
einen Packen Dummheiten liegenzulassen.
Und außerdem – verflixt noch mal! – wollte
sie ihr Vergnügen, wollte gemütlich sitzen,
bleiben, die Daumen drehen, sich nur
bewegen, wenn es darum ging, sich einen
guten Tag zu machen, mehr nicht.
An einem Sonnabend hatte Coupeau ihr
versprochen, sie in den Zirkus zu führen. Zu
sehen, wie Damen auf Pferden galoppierten
und durch Papierreifen sprangen, das war doch
wenigstens die Mühe wert, sich vom Fleck zu
rühren. Coupeau hatte gerade einen
Vierzehntagelohn erhalten; er konnte vierzig
Sous lockermachen; und sie wollten sogar
beide auswärts essen, da Nana an diesem
Abend wegen eines Eilauftrags sehr lange bei
ihrem Chef zu arbeiten hatte. Aber um sieben
Uhr – kein Coupeau; um acht Uhr – immer
noch niemand; Gervaise war wütend. Ihr
Säufer verpraßte den Vierzehntagelohn sicher
mit den Kumpeln in den Weinschenken des
Viertels. Sie hatte eine Haube gewaschen und
plagte sich seit dem Morgen mit den Löchern
eines alten Kleides ab, weil sie anständig
aussehen wollte. Mit leerem Magen, blau vor
Zorn, beschloß sie schließlich gegen neun Uhr
hinunterzugehen, um Coupeau in der
Umgegend zu suchen.
»Suchen Sie Ihren Mann?« rief ihr Frau Boche
zu, als sie sie mit verstörtem Gesicht erblickte.
»Er ist bei Vater Colombe. Mein Mann hat
gerade Branntweinkirschen mit ihm verzehrt.«
Sie bedankte sich. Sie machte sich schleunigst
auf dem Bürgersteig davon und trug sich mit
dem Gedanken, Coupeau ins Gesicht zu
springen. Es fiel ein leichter feiner Regen, was
den Spaziergang noch weniger amüsant
machte. Doch als sie vor dem »Assommoir«,
vor dem »Totschläger«, angelangt war,
besänftigte die Angst, ihr würden selber die
Flötentöne beigebracht werden, wenn sie
ihrem Mann zusetzte, sie jäh und machte sie
vorsichtig. Der Laden flammte mit seinem
angezündeten Gaslicht, den
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