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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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    doch, bloß um ihr zu zeigen, daß ich einen
    langen Arm habe.«
    Und er schleuderte einen letzten Peitschenhieb
    los, der Lalie ins Gesicht traf. Die Oberlippe
    wurde aufgeschlitzt, und Blut floß. Gervaise
    hatte einen Stuhl ergriffen, wollte über den
    Schlosser herfallen. Aber die Kleine streckte
    flehend die Hände zu ihr hin und sagte, es sei
    nichts weiter, es sei vorbei. Sie wischte das
    Blut mit ihrem Schürzenzipfel ab und brachte
    ihre Kinder zum Schweigen, die laut
    schluchzend weinten, als hätten sie die Tracht
    Peitschenhiebe abbekommen.
    Wenn Gervaise an Lalie dachte, wagte sie
    nicht mehr zu klagen. Sie hätte den Mut dieses
    achtjährigen Mädelchens haben mögen, das
    ganz allein soviel erduldete wie alle Frauen
    dieses Treppenaufgangs zusammengenommen.
    Sie hatte sie drei Monate lang bei trocken Brot
    gesehen, wie sie sich nicht einmal an Krusten
    satt aß, so mager und so entkräftet war, daß sie
    sich beim Gehen an den Wänden festhielt; und
    wenn sie ihr heimlich Fleischreste brachte, so
    fühlte sie, wie ihr das Herz brach, wenn sie sie
    unter großen stillen Tränen mit kleinen Bissen
    schlucken sah, weil ihr verengter Schlund die
    Nahrung nicht mehr hindurchließ. Trotzdem
    war sie stets sanft und ergeben; mit einer
    Vernunft, die über ihr Alter hinausging,
    erfüllte sie die Pflichten eines Mütterchens, bis
    sie an ihrer Mutterschaft sterben würde, weil
    sie zu früh aus ihrer zerbrechlichen Unschuld
    eines kleinen Mädchens erwacht war. So nahm
    sich Gervaise denn auch ein Beispiel an
    diesem lieben Geschöpf des Leidens und
    Vergebens und versuchte von ihr zu lernen,
    über ihr Martyrium zu schweigen. Lalie
    behielt lediglich ihren stummen Blick, ihre
    schicksalergebenen großen schwarzen Augen,
    auf deren Grund man nur eine Nacht des
    Todeskampfes und des Elends erriet. Nie ein
    Wort, nichts als ihre weitoffenen großen
    schwarzen Augen. Auch im Haushalt der
    Coupeaus begann der Sprit aus dem
    »Totschläger«

    seine

    Verheerungen
    anzurichten. Die Wäscherin sah die Stunde
    kommen, da ihr Mann wie Bijard eine Peitsche
    ergreifen würde, um den Tanz zu eröffnen.
    Und das Unglück, das sie bedrohte, machte sie
    natürlich noch empfänglicher für das Unglück
    der Kleinen. Ja, mit Coupeau sah es schlimm
    aus. Die Zeit war vorbei, da ihm der Schnaps
    eine gesunde Gesichtsfarbe verlieh. Er konnte
    sich nicht mehr auf den Wanst klopfen und
    prahlend sagen, der verdammte Fusel mache
    ihn dick und fett; denn sein häßliches gelbes
    Fett der ersten Jahre war dahingeschmolzen, er
    wurde dürr, er bekam ein bleifarbenes
    Aussehen mit grünen Tönungen wie eine
    Wasserleiche, die in einem Tümpel verfault.
    Der Appetit, der war auch futsch. Nach und
    nach hatte ihm kein Brot mehr geschmeckt, er
    war sogar dahin gelangt, daß ihm Braten
    gestohlen bleiben konnte. Man hätte ihm den
    am besten zubereiteten Fraß vorsetzen können,
    sein Magen sperrte sich, seine kraftlosen
    Zähne weigerten sich zu kauen. Um sich
    aufrechtzuerhalten, brauchte er seine halbe
    Flasche Branntwein täglich; das war seine
    Ration, sein Essen und sein Trinken, die
    einzige Nahrung, die er verdaute. Sobald er
    morgens aus dem Bett sprang, verweilte er
    eine

    gute

    Viertelstunde

    ganz
    zusammengekrümmt, hustete und klapperte
    mit den Knochen, hielt sich den Kopf und gab
    Schleim von sich, etwas Gallebitteres, das ihm
    die Kehle ausfegte. Das fehlte niemals, man
    konnte die Punschterrine im voraus
    bereitstellen. Erst nach dem ersten Glas
    Trostwasser fiel er wieder senkrecht auf seine
    Pfoten, eine wahre Medizin, deren Feuer ihm
    die Gedärme ausbeizte. Aber im Laufe des
    Tages kam er wieder zu Kräften. Zuerst hatte
    er ein Kitzeln, ein Prickeln auf der Haut, an
    den Füßen und an den Händen verspürt; er
    ulkte und erzählte, man mache mit der Zunge
    killekille bei ihm, seine Alte müsse Haare
    zwischen die Laken stecken, damit er sich
    jucke. Dann waren ihm die Beine schwer
    geworden, und das Gekitzel hatte sich
    schließlich in gräßliche Krämpfe verwandelt,
    die ihn wie in einem Schraubstock ins Fleisch
    zwickten. Du meine Güte, das kam ihm
    weniger drollig vor. Er lachte nicht mehr, ganz
    benommen blieb er unvermittelt auf dem
    Bürgersteig stehen, hatte Ohrensausen, seine
    Augen waren von Funken geblendet. Alles
    erschien ihm gelb, die Häuser tanzten umher,
    er torkelte drei Sekunden, voller Angst, der
    Länge nach hinzufallen. Manchmal überlief
    ihn, wenn er mit dem Rückgrat in der

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