Der Todschlaeger
sehen Sie
doch, bloß um ihr zu zeigen, daß ich einen
langen Arm habe.«
Und er schleuderte einen letzten Peitschenhieb
los, der Lalie ins Gesicht traf. Die Oberlippe
wurde aufgeschlitzt, und Blut floß. Gervaise
hatte einen Stuhl ergriffen, wollte über den
Schlosser herfallen. Aber die Kleine streckte
flehend die Hände zu ihr hin und sagte, es sei
nichts weiter, es sei vorbei. Sie wischte das
Blut mit ihrem Schürzenzipfel ab und brachte
ihre Kinder zum Schweigen, die laut
schluchzend weinten, als hätten sie die Tracht
Peitschenhiebe abbekommen.
Wenn Gervaise an Lalie dachte, wagte sie
nicht mehr zu klagen. Sie hätte den Mut dieses
achtjährigen Mädelchens haben mögen, das
ganz allein soviel erduldete wie alle Frauen
dieses Treppenaufgangs zusammengenommen.
Sie hatte sie drei Monate lang bei trocken Brot
gesehen, wie sie sich nicht einmal an Krusten
satt aß, so mager und so entkräftet war, daß sie
sich beim Gehen an den Wänden festhielt; und
wenn sie ihr heimlich Fleischreste brachte, so
fühlte sie, wie ihr das Herz brach, wenn sie sie
unter großen stillen Tränen mit kleinen Bissen
schlucken sah, weil ihr verengter Schlund die
Nahrung nicht mehr hindurchließ. Trotzdem
war sie stets sanft und ergeben; mit einer
Vernunft, die über ihr Alter hinausging,
erfüllte sie die Pflichten eines Mütterchens, bis
sie an ihrer Mutterschaft sterben würde, weil
sie zu früh aus ihrer zerbrechlichen Unschuld
eines kleinen Mädchens erwacht war. So nahm
sich Gervaise denn auch ein Beispiel an
diesem lieben Geschöpf des Leidens und
Vergebens und versuchte von ihr zu lernen,
über ihr Martyrium zu schweigen. Lalie
behielt lediglich ihren stummen Blick, ihre
schicksalergebenen großen schwarzen Augen,
auf deren Grund man nur eine Nacht des
Todeskampfes und des Elends erriet. Nie ein
Wort, nichts als ihre weitoffenen großen
schwarzen Augen. Auch im Haushalt der
Coupeaus begann der Sprit aus dem
»Totschläger«
seine
Verheerungen
anzurichten. Die Wäscherin sah die Stunde
kommen, da ihr Mann wie Bijard eine Peitsche
ergreifen würde, um den Tanz zu eröffnen.
Und das Unglück, das sie bedrohte, machte sie
natürlich noch empfänglicher für das Unglück
der Kleinen. Ja, mit Coupeau sah es schlimm
aus. Die Zeit war vorbei, da ihm der Schnaps
eine gesunde Gesichtsfarbe verlieh. Er konnte
sich nicht mehr auf den Wanst klopfen und
prahlend sagen, der verdammte Fusel mache
ihn dick und fett; denn sein häßliches gelbes
Fett der ersten Jahre war dahingeschmolzen, er
wurde dürr, er bekam ein bleifarbenes
Aussehen mit grünen Tönungen wie eine
Wasserleiche, die in einem Tümpel verfault.
Der Appetit, der war auch futsch. Nach und
nach hatte ihm kein Brot mehr geschmeckt, er
war sogar dahin gelangt, daß ihm Braten
gestohlen bleiben konnte. Man hätte ihm den
am besten zubereiteten Fraß vorsetzen können,
sein Magen sperrte sich, seine kraftlosen
Zähne weigerten sich zu kauen. Um sich
aufrechtzuerhalten, brauchte er seine halbe
Flasche Branntwein täglich; das war seine
Ration, sein Essen und sein Trinken, die
einzige Nahrung, die er verdaute. Sobald er
morgens aus dem Bett sprang, verweilte er
eine
gute
Viertelstunde
ganz
zusammengekrümmt, hustete und klapperte
mit den Knochen, hielt sich den Kopf und gab
Schleim von sich, etwas Gallebitteres, das ihm
die Kehle ausfegte. Das fehlte niemals, man
konnte die Punschterrine im voraus
bereitstellen. Erst nach dem ersten Glas
Trostwasser fiel er wieder senkrecht auf seine
Pfoten, eine wahre Medizin, deren Feuer ihm
die Gedärme ausbeizte. Aber im Laufe des
Tages kam er wieder zu Kräften. Zuerst hatte
er ein Kitzeln, ein Prickeln auf der Haut, an
den Füßen und an den Händen verspürt; er
ulkte und erzählte, man mache mit der Zunge
killekille bei ihm, seine Alte müsse Haare
zwischen die Laken stecken, damit er sich
jucke. Dann waren ihm die Beine schwer
geworden, und das Gekitzel hatte sich
schließlich in gräßliche Krämpfe verwandelt,
die ihn wie in einem Schraubstock ins Fleisch
zwickten. Du meine Güte, das kam ihm
weniger drollig vor. Er lachte nicht mehr, ganz
benommen blieb er unvermittelt auf dem
Bürgersteig stehen, hatte Ohrensausen, seine
Augen waren von Funken geblendet. Alles
erschien ihm gelb, die Häuser tanzten umher,
er torkelte drei Sekunden, voller Angst, der
Länge nach hinzufallen. Manchmal überlief
ihn, wenn er mit dem Rückgrat in der
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