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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Tisches
    aufgereiht, dessen oberes Ende Frau Lerat
    allein einnahm. Sie waren acht, und jede hatte
    ihren Leimtopf, ihre Zange, ihr Werkzeug und
    ihre Gaufrierkugel vor sich. Auf dem
    Werktisch lag ein Gewirr von Eisendrähten
    und Spulen herum, von Watte, von grünem
    und kastanienbraunem Papier, von Blättern
    und Blütenblättern, die aus Seide, Atlas oder
    Samt zugeschnitten waren. In der Mitte hatte
    eine Blumenarbeiterin in den Hals einer
    großen Karaffe ein kleines Sträußchen zu zwei
    Sous gesteckt, das seit dem Vortage an ihrem
    Mieder verwelkte.
    »Ach, wißt ihr was«, sagte Léonie, eine
    hübsche Brünette, und beugte sich über ihre
    Kugel, auf der sie Rosenblütenblätter
    gaufrierte, »na, die arme Caroline ist ja hübsch
    unglücklich mit diesem Burschen, der abends
    immer herkam und auf sie wartete.«
    Nana, die im Begriff war, schmale Streifen
    grünen Papiers auszuschneiden, rief aus:
    »Wahrhaftig! Ein Mann, der alle Tage eine
    andere fertigmacht!«
    Die Werkstatt wurde von versteckter
    Heiterkeit gepackt, und Frau Lerat mußte sich
    streng zeigen. Sie zog die Nase kraus und
    murmelte:
    »Du bist ja sauber, meine Tochter, du hast
    schöne Ausdrücke an dir! Das werde ich
    deinem Vater berichten, wir werden ja sehen,
    ob ihm das gefällt.«
    Nana blies die Backen auf, als unterdrücke sie
    ein heftiges Gelächter. Ach ja, ihr Vater! Der
    sagte noch ganz andere Sachen!
    Aber auf einmal flüsterte Léonie ganz leise
    und schnell:
    »He, aufgepaßt! Die Chefin!«
    Tatsächlich kam Frau Titreville herein, eine
    lange dürre Frau. Sie hielt sich gewöhnlich
    unten im Geschäft auf. Die Arbeiterinnen
    fürchteten sie sehr, weil sie niemals scherzte.
    Langsam machte sie die Runde um den
    Werktisch, über den jetzt still und emsig alle
    Nacken gebeugt waren. Sie schalt eine
    Arbeiterin eine Schlafmütze und nötigte sie,
    eine Margerite noch einmal von vorn
    anzufangen. Dann ging sie mit der steifen
    Miene davon, mit der sie gekommen war.
    »Holla, holla!« wiederholte Nana mehrmals
    inmitten allgemeinen Murrens.
    »Meine Damen, wirklich, meine Damen!«
    sagte Frau Lerat, die eine strenge Miene
    aufsetzen wollte. »Sie zwingen mich zu
    Maßnahmen ...«
    Aber man hörte nicht auf sie, man fürchtete sie
    nicht sehr. Sie zeigte sich zu nachsichtig, denn
    sie empfand einen Kitzel unter diesen jungen
    Dingern, denen der Jux aus den Augen sah, sie
    nahm sie beiseite, um ihnen über ihre
    Liebhaber geradezu die Würmer aus der Nase
    zu ziehen, und legte ihnen sogar die Karten,
    wenn eine Ecke des Werktisches frei war. Ihre
    rauhe Haut und ihr Dragonergerippe erbebten
    in der tanzenden Freude einer Klatschbase,
    sobald man beim Kapitel Liebelei war. Sie
    fühlte sich nur von derben Worten beleidigt;
    vorausgesetzt, daß man keine derben Worte
    gebrauchte, konnte man alles sagen.
    Wirklich, Nana vervollständigte in der
    Werkstatt eine schöne Ausbildung! Oh,
    sicherlich brachte sie schon gute Anlagen mit.
    Aber der Umgang mit einem Haufen
    Mädchen, die bereits von Elend und Laster arg
    mitgenommen waren, das gab ihr den letzten
    Schliff. Man hockte dort aufeinander, man
    verdarb sich gegenseitig; das war so ähnlich
    wie mit einem Korb voller Äpfel, wenn ein
    paar angefaulte darunter sind. Freilich, vor den
    anderen nahm man sich zusammen und
    vermied es, zu gemein an Charakter und zu
    abstoßend an Ausdrücken zu wirken. Kurzum,
    man spielte sich als anständiges Fräulein auf.
    Allein, in den Ecken ging es mit ins Ohr
    geflüsterten Schlüpfrigkeiten lustig weiter. Es
    konnten keine zwei zusammen stehen, ohne
    daß sie sich sofort bogen vor Lachen beim
    Erzählen von Schweinereien. Außerdem
    begleitete man einander abends; da gab es
    vertrauliche Mitteilungen, Geschichten, bei
    denen einem die Haare zu Berge standen und
    bei denen sich auf den Bürgersteigen die
    beiden Gören versäumten, die inmitten der
    Ellbogenstöße der Menge Feuer gefangen
    hatten. Und überdies herrschte für die noch
    sittsamen Mädchen wie Nana eine schlechte
    Luft in der Werkstatt, der Geruch nach
    Tanzkneipen und wenig moralischen Nächten,
    den die Herumtreiberinnen mitbrachten in
    ihren schlecht festgesteckten Haarknoten, in
    ihren Röcken, die so zerknittert waren, als
    hätten sie mit ihnen im Bett gelegen. Die
    schlaffe Trägheit an den Tagen nach Gelagen,
    die frechen Augen, diese Ränder um die
    Augen, die Frau Lerat schicklicherweise die
    Faustschläge der Liebe nannte, das Wackeln
    mit den Hüften und die heiseren

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