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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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zu
    entsinnen. »Was ich noch sagen wollte, erzähl
    mir doch, was sich die Damen ins Ohr
    geflüstert haben; du weißt ja, die Gemeinheit
    von Sophie.«
    Und Nana machte keine Umstände. Sie faßte
    Frau Lerat lediglich um den Hals, zwang sie,
    zwei Stufen wieder herunterzusteigen, weil
    man das wirklich nicht laut wiederholen
    könne, nicht einmal auf einer Treppe. Und sie
    hauchte das Wort. Es war so derb, daß sich die
    Tante begnügte, den Kopf zu schütteln, wobei
    sie große Augen machte und den Mund
    verzog. Endlich wußte sie's, das juckte sie
    nicht mehr.
    Die Blumenmacherinnen aßen die
    Mittagsmahlzeit von ihren Knien, um den
    Werktisch nicht zu beschmutzen. Sie beeilten
    sich mit dem Schlucken, weil das Essen sie
    verdroß und sie die Stunde der Mahlzeit lieber
    dazu verwendeten, die vorübergehenden Leute
    zu betrachten oder sich in den Ecken
    vertrauliche Geständnisse zu machen. An
    diesem Tage bemühte man sich,
    herauszubekommen, wo sich der Herr vom
    Vormittag versteckte; aber er war sicher
    verschwunden. Frau Lerat und Nana, die
    reinen Mund hielten, warfen sich kurze Blicke
    zu. Es war bereits zehn Minuten nach eins, und
    die Arbeiterinnen schienen es nicht eilig zu
    haben, wieder nach ihren Zangen zu greifen,
    als Léonie mit einem Lippenschmatzen, mit
    jenem »Prrrut!«, mit dem die Malergesellen
    einander rufen, das Nahen der Chefin
    verkündete. Sofort saßen alle auf ihren
    Stühlen, die Nase über der Arbeit. Frau
    Titreville trat ein und machte streng die
    Runde.
    Von diesem Tage an labte sich Frau Lerat an
    der ersten Liebesgeschichte ihrer Nichte. Sie
    ließ sie nicht mehr los, begleitete sie morgens
    und abends, indem sie sich auf ihre
    Verantwortung berief. Das verdroß Nana zwar
    ein wenig, aber es ließ sie trotzdem vor Stolz
    schwellen, so bewacht zu werden wie ein
    Schatz; und die Gespräche, die sie beide auf
    den Straßen führten und bei denen der
    Knopffabrikant hinter ihnen ging, erhitzten sie
    und machten ihr eher Lust, den Sprung zu
    wagen. Oh, ihre Tante verstand das Gefühl;
    der Knopffabrikant, dieser bereits bejahrte und
    so wohlanständige Herr, rührte sie sogar, denn
    schließlich hat das Gefühl bei reifen Leuten
    stets tiefere Wurzeln. Aber sie paßte auf. Ja,
    nur über ihre Leiche käme er an die Kleine
    heran. Eines Abends trat sie an den Herrn
    heran und versetzte ihm rundweg, was er da
    tue, sei nicht recht. Er grüßte sie höflich, ohne
    zu antworten, wie ein alter Geck, der die
    barschen Abweisungen der Eltern gewohnt ist.
    Sie konnte wirklich nicht böse sein, er hatte zu
    gute Manieren. Und es hagelte geradezu
    praktische Ratschläge über die Liebe,
    Anspielungen auf diese Dreckskerle von
    Männern, allerlei Geschichten von Flittchen,
    die es sehr bereut hätten, mitgemacht zu
    haben, Reden, bei denen Nana schmachtete
    und in ihrem weißen Gesicht ruchlose Augen
    bekam.
    Doch eines Tages hatte es der Knopffabrikant
    in der Rue du FaubourgPoissonnière gewagt,
    seine Nase zwischen Nichte und Tante zu
    stecken, um Dinge zu flüstern, die man nicht
    sagen darf. Und die entsetzte Frau Lerat, die
    immer wieder sagte, sie könne ihretwegen
    nicht einmal mehr unbesorgt sein, verpfiff
    alles an ihren Bruder. Nun wurden andere
    Saiten aufgezogen. Es gab ein schönes Gekeife
    bei den Coupeaus. Zunächst verabfolgte der
    Bauklempner Nana eine Tracht Prügel. Was
    berichte man ihm da? Dieses Weibsbild lasse
    sich mit alten Männern ein? Na, sie solle sich
    bloß dabei erwischen lassen, wie sie sich
    draußen ablecken lasse, da könne sie auf eine
    Abreibung gefaßt sein, er werde ihr, ohne zu
    fackeln, den Hals abschneiden! Habe man
    jemals so eine Rotznase gesehen, die darauf
    aus sei, ihrer Familie Schande zu machen! Und
    er verdrosch sie und sagte, sie solle ja auf dem
    rechten Wege bleiben – Himmelsakrament! –,
    denn in Zukunft werde er selber auf sie
    aufpassen. Sobald sie heimkam, untersuchte er
    sie und schaute ihr genau ins Gesicht, um
    herauszubekommen, ob sie nicht ein
    Mäuschen mitbringe, einen jener leichten
    Küsse aufs Auge, die sich geräuschlos dort
    verkriechen. Er beschnupperte sie, er drehte
    sie hin und her. Eines Abends bekam sie
    abermals eine Abreibung, weil er einen
    dunklen Fleck bei ihr am Hals gefunden hatte.
    Dieses Frauenzimmer wagte zu sagen, das sei
    kein Knutschfleck! Ja, sie nannte es einen
    blauen Fleck, ganz einfach einen blauen Fleck,
    den Léonie ihr beim Spielen beigebracht hätte.
    Er werde ihr blaue Flecke machen, er

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