Der Todschlaeger
zu
entsinnen. »Was ich noch sagen wollte, erzähl
mir doch, was sich die Damen ins Ohr
geflüstert haben; du weißt ja, die Gemeinheit
von Sophie.«
Und Nana machte keine Umstände. Sie faßte
Frau Lerat lediglich um den Hals, zwang sie,
zwei Stufen wieder herunterzusteigen, weil
man das wirklich nicht laut wiederholen
könne, nicht einmal auf einer Treppe. Und sie
hauchte das Wort. Es war so derb, daß sich die
Tante begnügte, den Kopf zu schütteln, wobei
sie große Augen machte und den Mund
verzog. Endlich wußte sie's, das juckte sie
nicht mehr.
Die Blumenmacherinnen aßen die
Mittagsmahlzeit von ihren Knien, um den
Werktisch nicht zu beschmutzen. Sie beeilten
sich mit dem Schlucken, weil das Essen sie
verdroß und sie die Stunde der Mahlzeit lieber
dazu verwendeten, die vorübergehenden Leute
zu betrachten oder sich in den Ecken
vertrauliche Geständnisse zu machen. An
diesem Tage bemühte man sich,
herauszubekommen, wo sich der Herr vom
Vormittag versteckte; aber er war sicher
verschwunden. Frau Lerat und Nana, die
reinen Mund hielten, warfen sich kurze Blicke
zu. Es war bereits zehn Minuten nach eins, und
die Arbeiterinnen schienen es nicht eilig zu
haben, wieder nach ihren Zangen zu greifen,
als Léonie mit einem Lippenschmatzen, mit
jenem »Prrrut!«, mit dem die Malergesellen
einander rufen, das Nahen der Chefin
verkündete. Sofort saßen alle auf ihren
Stühlen, die Nase über der Arbeit. Frau
Titreville trat ein und machte streng die
Runde.
Von diesem Tage an labte sich Frau Lerat an
der ersten Liebesgeschichte ihrer Nichte. Sie
ließ sie nicht mehr los, begleitete sie morgens
und abends, indem sie sich auf ihre
Verantwortung berief. Das verdroß Nana zwar
ein wenig, aber es ließ sie trotzdem vor Stolz
schwellen, so bewacht zu werden wie ein
Schatz; und die Gespräche, die sie beide auf
den Straßen führten und bei denen der
Knopffabrikant hinter ihnen ging, erhitzten sie
und machten ihr eher Lust, den Sprung zu
wagen. Oh, ihre Tante verstand das Gefühl;
der Knopffabrikant, dieser bereits bejahrte und
so wohlanständige Herr, rührte sie sogar, denn
schließlich hat das Gefühl bei reifen Leuten
stets tiefere Wurzeln. Aber sie paßte auf. Ja,
nur über ihre Leiche käme er an die Kleine
heran. Eines Abends trat sie an den Herrn
heran und versetzte ihm rundweg, was er da
tue, sei nicht recht. Er grüßte sie höflich, ohne
zu antworten, wie ein alter Geck, der die
barschen Abweisungen der Eltern gewohnt ist.
Sie konnte wirklich nicht böse sein, er hatte zu
gute Manieren. Und es hagelte geradezu
praktische Ratschläge über die Liebe,
Anspielungen auf diese Dreckskerle von
Männern, allerlei Geschichten von Flittchen,
die es sehr bereut hätten, mitgemacht zu
haben, Reden, bei denen Nana schmachtete
und in ihrem weißen Gesicht ruchlose Augen
bekam.
Doch eines Tages hatte es der Knopffabrikant
in der Rue du FaubourgPoissonnière gewagt,
seine Nase zwischen Nichte und Tante zu
stecken, um Dinge zu flüstern, die man nicht
sagen darf. Und die entsetzte Frau Lerat, die
immer wieder sagte, sie könne ihretwegen
nicht einmal mehr unbesorgt sein, verpfiff
alles an ihren Bruder. Nun wurden andere
Saiten aufgezogen. Es gab ein schönes Gekeife
bei den Coupeaus. Zunächst verabfolgte der
Bauklempner Nana eine Tracht Prügel. Was
berichte man ihm da? Dieses Weibsbild lasse
sich mit alten Männern ein? Na, sie solle sich
bloß dabei erwischen lassen, wie sie sich
draußen ablecken lasse, da könne sie auf eine
Abreibung gefaßt sein, er werde ihr, ohne zu
fackeln, den Hals abschneiden! Habe man
jemals so eine Rotznase gesehen, die darauf
aus sei, ihrer Familie Schande zu machen! Und
er verdrosch sie und sagte, sie solle ja auf dem
rechten Wege bleiben – Himmelsakrament! –,
denn in Zukunft werde er selber auf sie
aufpassen. Sobald sie heimkam, untersuchte er
sie und schaute ihr genau ins Gesicht, um
herauszubekommen, ob sie nicht ein
Mäuschen mitbringe, einen jener leichten
Küsse aufs Auge, die sich geräuschlos dort
verkriechen. Er beschnupperte sie, er drehte
sie hin und her. Eines Abends bekam sie
abermals eine Abreibung, weil er einen
dunklen Fleck bei ihr am Hals gefunden hatte.
Dieses Frauenzimmer wagte zu sagen, das sei
kein Knutschfleck! Ja, sie nannte es einen
blauen Fleck, ganz einfach einen blauen Fleck,
den Léonie ihr beim Spielen beigebracht hätte.
Er werde ihr blaue Flecke machen, er
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