Der Todschlaeger
Stimmen
wehten eine Verderbtheit über den Werktisch
mitten unter den Glanz und die
Zerbrechlichkeit der künstlichen Blumen.
Nana schnüffelte und berauschte sich, wenn
sie spürte, daß neben ihr ein Mädchen saß, die
schon was hinter sich hatte. Lange Zeit hatte
sie sich neben die lange Lisa gesetzt, von der
man sagte, sie sei schwanger; und sie ließ
leuchtende Blicke über ihre Nachbarin gleiten,
als sei sie darauf gefaßt, sie anschwellen und
mit einemmal platzen zu sehen. Was das
Lernen von etwas Neuem betraf, so schien das
schwierig zu sein. Das Luder wußte alles, hatte
alles auf dem Pflaster der Rue de la Goutted'Or
gelernt. In der Werkstatt sah sie bloß, wie es
getan wurde, und in ihr wuchsen ganz
allmählich die Lust und die Frechheit, es nun
auch zu tun.
»Man erstickt ja«, murmelte sie und trat an ein
Fenster, als wolle sie die Jalousie noch weiter
herunterlassen. Doch sie beugte sich hinaus
und schaute wiederum nach rechts und nach
links.
Im selben Augenblick rief Léonie, die einen
Mann erspähte, der auf dem
gegenüberliegenden
Bürgersteig
stehengeblieben war:
»Was macht der denn da, dieser Alte? Seit
einer Viertelstunde spioniert er hier herum.«
»Irgend so ein Kater«, sagte Frau Lerat.
»Nana, willst du wohl herkommen und dich
hinsetzen! Ich habe dir doch verboten, am
Fenster zu bleiben.«
Nana ergriff wieder die Veilchenstengel, die
sie rollte, und die ganze Werkstatt beschäftigte
sich mit dem Mann. Es war ein gutgekleideter
Herr im Überzieher, in den Fünfzigern; er
hatte ein bleiches, sehr ernstes und sehr
würdevolles Gesicht mit einem tadellos
gestutzten grauen Vollbart. Eine Stunde lang
verweilte er vor dem Laden eines
Kräuterhändlers und blickte zu den Jalousien
der Werkstatt hoch. Die Blumenmacherinnen
stießen ein leises Gelächter aus, das im
Straßenlärm erstickte; und mit flüchtigen
Blicken, um den Herrn nicht aus den Augen zu
verlieren, beugten sie sich sehr geschäftig über
die Arbeit.
»Sieh doch«, bemerkte Léonie, »er hat einen
Kneifer. Oh, es ist ein schicker Mann ... Er
wartet bestimmt auf Augustine.«
Aber Augustine, eine lange häßliche Blondine,
erwiderte säuerlich, sie könne die Alten nicht
leiden.
Und Frau Lerat murmelte kopfschüttelnd mit
ihrem verkniffenen Lächeln voller
Hintergedanken:
»Das ist nicht recht von Ihnen, meine Liebe;
die Alten sind zärtlicher.«
In diesem Augenblick flüsterte Léonies
Nachbarin, eine kleine fette Person, dieser
einen Satz ins Ohr; und Léonie lehnte sich jäh
auf ihrem Stuhl hintüber, von einem tollen
Lachanfall gepackt, sie kugelte sich, warf
Blicke zu dem Herrn hin und lachte noch
lauter. Sie stammelte:
»Das stimmt, oh, das stimmt! – Ach, diese
Sophie, ist die gemein!«
»Was hat sie denn gesagt? Was hat sie denn
gesagt?« fragte die ganze Werkstatt, die vor
Neugierde brannte. Léonie wischte sich, ohne
zu antworten, die Tränen aus den Augen. Als
sie sich etwas beruhigt hatte, begann sie
wieder zu gaufrieren und erklärte:
»Das kann man nicht wiederholen.«
Man drang in sie, sie weigerte sich
kopfschüttelnd,
erneut
von
Heiterkeitsausbrüchen gepackt. Da flehte
Augustine, ihre Nachbarin zur Linken, sie an,
es ihr ganz leise zu sagen. Und Léonie war
schließlich einverstanden, es ihr zu sagen, die
Lippen dicht am Ohr. Nun war Augustine an
der Reihe, sich hintüber zu werfen, sich zu
kugeln. Dann wiederholte sie selber den Satz,
der so unter Ausrufen und ersticktem
Gelächter von Ohr zu Ohr die Runde machte.
Als alle Sophies Gemeinheit kannten, sahen
sie sich an und platzten zusammen los, wenn
auch ein bißchen rot und verwirrt. Allein Frau
Lerat wußte nicht Bescheid. Sie war ganz
verärgert.
»Das ist recht unhöflich, was Sie da tun, meine
Damen«, sagte sie. »Man spricht niemals leise
miteinander, wenn jemand dabei ist ...
Irgendeine Unanständigkeit, nicht wahr? Na,
das ist ja allerhand!«
Sie wagte jedoch trotz ihres rasenden Gelüsts,
Sophies Gemeinheit kennenzulernen, nicht
darum zu bitten, daß man sie ihr wiederhole.
Aber eine Weile tat sie sich an der
Unterhaltung der Arbeiterinnen gütlich,
während sie die Nase gesenkt hielt und die
Würdevolle spielte. Keine von ihnen konnte
ein Wort, nicht einmal das unschuldigste Wort
über ihre Arbeit zum Beispiel, fallen lassen,
ohne daß die anderen nicht sofort Arges
darunter verstanden; sie verdrehten den Sinn
des Wortes, gaben ihm eine
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