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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Stimmen
    wehten eine Verderbtheit über den Werktisch
    mitten unter den Glanz und die
    Zerbrechlichkeit der künstlichen Blumen.
    Nana schnüffelte und berauschte sich, wenn
    sie spürte, daß neben ihr ein Mädchen saß, die
    schon was hinter sich hatte. Lange Zeit hatte
    sie sich neben die lange Lisa gesetzt, von der
    man sagte, sie sei schwanger; und sie ließ
    leuchtende Blicke über ihre Nachbarin gleiten,
    als sei sie darauf gefaßt, sie anschwellen und
    mit einemmal platzen zu sehen. Was das
    Lernen von etwas Neuem betraf, so schien das
    schwierig zu sein. Das Luder wußte alles, hatte
    alles auf dem Pflaster der Rue de la Goutted'Or
    gelernt. In der Werkstatt sah sie bloß, wie es
    getan wurde, und in ihr wuchsen ganz
    allmählich die Lust und die Frechheit, es nun
    auch zu tun.
    »Man erstickt ja«, murmelte sie und trat an ein
    Fenster, als wolle sie die Jalousie noch weiter
    herunterlassen. Doch sie beugte sich hinaus
    und schaute wiederum nach rechts und nach
    links.
    Im selben Augenblick rief Léonie, die einen
    Mann erspähte, der auf dem
    gegenüberliegenden

    Bürgersteig
    stehengeblieben war:
    »Was macht der denn da, dieser Alte? Seit
    einer Viertelstunde spioniert er hier herum.«
    »Irgend so ein Kater«, sagte Frau Lerat.
    »Nana, willst du wohl herkommen und dich
    hinsetzen! Ich habe dir doch verboten, am
    Fenster zu bleiben.«
    Nana ergriff wieder die Veilchenstengel, die
    sie rollte, und die ganze Werkstatt beschäftigte
    sich mit dem Mann. Es war ein gutgekleideter
    Herr im Überzieher, in den Fünfzigern; er
    hatte ein bleiches, sehr ernstes und sehr
    würdevolles Gesicht mit einem tadellos
    gestutzten grauen Vollbart. Eine Stunde lang
    verweilte er vor dem Laden eines
    Kräuterhändlers und blickte zu den Jalousien
    der Werkstatt hoch. Die Blumenmacherinnen
    stießen ein leises Gelächter aus, das im
    Straßenlärm erstickte; und mit flüchtigen
    Blicken, um den Herrn nicht aus den Augen zu
    verlieren, beugten sie sich sehr geschäftig über
    die Arbeit.
    »Sieh doch«, bemerkte Léonie, »er hat einen
    Kneifer. Oh, es ist ein schicker Mann ... Er
    wartet bestimmt auf Augustine.«
    Aber Augustine, eine lange häßliche Blondine,
    erwiderte säuerlich, sie könne die Alten nicht
    leiden.
    Und Frau Lerat murmelte kopfschüttelnd mit
    ihrem verkniffenen Lächeln voller
    Hintergedanken:
    »Das ist nicht recht von Ihnen, meine Liebe;
    die Alten sind zärtlicher.«
    In diesem Augenblick flüsterte Léonies
    Nachbarin, eine kleine fette Person, dieser
    einen Satz ins Ohr; und Léonie lehnte sich jäh
    auf ihrem Stuhl hintüber, von einem tollen
    Lachanfall gepackt, sie kugelte sich, warf
    Blicke zu dem Herrn hin und lachte noch
    lauter. Sie stammelte:
    »Das stimmt, oh, das stimmt! – Ach, diese
    Sophie, ist die gemein!«
    »Was hat sie denn gesagt? Was hat sie denn
    gesagt?« fragte die ganze Werkstatt, die vor
    Neugierde brannte. Léonie wischte sich, ohne
    zu antworten, die Tränen aus den Augen. Als
    sie sich etwas beruhigt hatte, begann sie
    wieder zu gaufrieren und erklärte:
    »Das kann man nicht wiederholen.«
    Man drang in sie, sie weigerte sich
    kopfschüttelnd,

    erneut

    von
    Heiterkeitsausbrüchen gepackt. Da flehte
    Augustine, ihre Nachbarin zur Linken, sie an,
    es ihr ganz leise zu sagen. Und Léonie war
    schließlich einverstanden, es ihr zu sagen, die
    Lippen dicht am Ohr. Nun war Augustine an
    der Reihe, sich hintüber zu werfen, sich zu
    kugeln. Dann wiederholte sie selber den Satz,
    der so unter Ausrufen und ersticktem
    Gelächter von Ohr zu Ohr die Runde machte.
    Als alle Sophies Gemeinheit kannten, sahen
    sie sich an und platzten zusammen los, wenn
    auch ein bißchen rot und verwirrt. Allein Frau
    Lerat wußte nicht Bescheid. Sie war ganz
    verärgert.
    »Das ist recht unhöflich, was Sie da tun, meine
    Damen«, sagte sie. »Man spricht niemals leise
    miteinander, wenn jemand dabei ist ...
    Irgendeine Unanständigkeit, nicht wahr? Na,
    das ist ja allerhand!«
    Sie wagte jedoch trotz ihres rasenden Gelüsts,
    Sophies Gemeinheit kennenzulernen, nicht
    darum zu bitten, daß man sie ihr wiederhole.
    Aber eine Weile tat sie sich an der
    Unterhaltung der Arbeiterinnen gütlich,
    während sie die Nase gesenkt hielt und die
    Würdevolle spielte. Keine von ihnen konnte
    ein Wort, nicht einmal das unschuldigste Wort
    über ihre Arbeit zum Beispiel, fallen lassen,
    ohne daß die anderen nicht sofort Arges
    darunter verstanden; sie verdrehten den Sinn
    des Wortes, gaben ihm eine

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