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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Pflaster
    aufgewachsen. Doch sie wählten bereits unter
    ihnen. Pauline traf sich stets mit einem von
    Frau

    Gaudrons

    Söhnen,

    einem
    siebzehnjährigen Tischler, der ihr Äpfel
    spendierte. Nana bemerkte von dem einen
    Ende einer Avenue aus Victor Fauconnier am
    anderen, den Sohn der Wäscherin, mit dem sie
    sich in den dunklen Ecken küßte. Und weiter
    ging es nicht; die Mädchen waren zu
    durchtrieben, um unbewußt eine Dummheit zu
    machen. Man redete bloß drastisch.
    Ging dann die Sonne unter, war es das große
    Vergnügen dieser Frauenzimmer, bei den
    Gauklern stehenzubleiben. Es kamen
    Taschenspieler und Athleten, die einen vor
    Abnutzung zerfressenen Teppich auf der Erde
    der Avenue ausbreiteten. Dann liefen die
    Gaffer zusammen, es bildete sich ein Kreis,
    während der Marktschreier in der Mitte in
    seinem verschossenen Trikot die Muskeln
    spielen ließ. Nana und Pauline blieben
    stundenlang im dichtesten Gedränge stehen.
    Ihre schönen frischen Kleider wurden
    zwischen den Überziehern und den
    schmutzigen Arbeitskitteln zerdrückt. Ihre
    bloßen Arme, ihr bloßer Hals und ihr bloßer
    Kopf erhitzten sich unter den verpesteten
    Atemzügen, in einem Geruch nach Wein und
    Schweiß. Und sie lachten, hatten ohne Ekel
    ihren Spaß daran, waren rosiger und gleichsam
    auf ihrem natürlichen Dung. Rings um sie
    fielen derbe Worte, ganz gemeine Zoten,
    Bemerkungen besoffener Männer. Das war
    ihre Sprache, sie kannten alles; seelenruhig vor
    Schamlosigkeit, ohne die zarte Blässe ihrer
    Atlashaut zu verlieren, drehten sie sich mit
    einem Lächeln um.
    Ärgerlich war es lediglich für sie, ihren Vätern
    zu begegnen, besonders wenn diese getrunken
    hatten. Sie paßten auf und warnten sich
    gegenseitig.
    »Hör mal, Nana«, rief Pauline auf einmal, »da
    kommt Vater Coupeau!«
    »Na, wenn der nicht bekneipt ist, freß ich 'nen
    Besen«, sagte Nana ärgerlich. »Ich verdrücke
    mich, wißt ihr! Ich habe kein Verlangen
    danach, daß er mir das Fell versohlt ... Da! Er
    ist kopfüber hingeknallt! Herrgott noch mal,
    wenn er sich bloß die Schnauze einschlagen
    möchte!«
    Wenn Coupeau manchmal stracks auf sie
    zukam, ohne ihr Zeit zum Davonlaufen zu
    lassen, kauerte sie sich zusammen und
    flüsterte:
    »Versteckt mich doch, Menschenskinder! – Er
    sucht mich, er hat versprochen, mir in den
    Allerwertesten zu treten, wenn er mich noch
    mal heim Rumtreiben erwischt.«
    War der Trunkenbold dann an ihnen vorüber,
    richtete sie sich wieder auf, und alle folgten
    ihm prustend vor Lachen. Er findet sie, er
    findet sie nicht. Ein richtiges Versteckspiel
    war das. Eines Tages jedoch hatte Boche
    Pauline an beiden Ohren heimgeholt, und
    Coupeau hatte Nana mit Fußtritten in den
    Hintern nach Hause gebracht.
    Der Tag ging zur Neige, sie machten einen
    letzten Bummel und kehrten in der fahlen
    Dämmerung inmitten der todmüden Menge
    heim. Der Staub in der Luft hatte sich
    verdichtet und machte den schwülen Himmel
    bleich. Die Rue de la Goutted'Or hätte man für
    einen Provinzwinkel halten können mit den
    Klatschbasen an den Türen und den gellenden
    Stimmen, die die laue Stille des Viertels
    durchschnitten, wenn keine Wagen mehr
    fuhren. Sie blieben eine Weile auf dem Hof
    stehen, nahmen die Schläger wieder zur Hand
    und bemühten sich, den Eindruck zu
    erwecken, als hätten sie sich nicht von dort
    weggerührt. Und sie gingen in die Wohnungen
    hinauf, wobei sie sich eine Geschichte
    zurechtlegten, die sie oft gar nicht benutzten,
    wenn sie ihre Eltern allzu beschäftigt damit
    antrafen, sich wegen einer versalzenen oder
    nicht gargekochten Suppe Ohrfeigen zu
    verpassen.
    Nana war nun Arbeiterin, sie verdiente vierzig
    Sous bei Titreville, der Firma in der Rue du
    Caire, wo sie in die Lehre gegangen war. Die
    Coupeaus wollten sie nicht von dort
    wegnehmen, damit sie unter der Aufsicht von
    Frau Lerat blieb, die seit zehn Jahren
    Vorarbeiterin in der Werkstatt war. Während
    die Mutter morgens nachsah, wie spät es auf
    der Kuckucksuhr war, brach die Kleine allein
    auf, sah nett aus in ihrem zu engen und zu
    kurzen alten schwarzen Kleid, das ihr an den
    Schultern zu knapp war; und Frau Lerat war
    beauftragt, die Zeit ihrer Ankunft festzustellen,
    die sie dann Gervaise mitteilte. Man bewilligte
    ihr zwanzig Minuten, um von der Rue de la
    Goutted'Or nach der Rue du Caire zu gehen,
    was ausreichend war, denn diese quirligen
    Mädchen haben Beine wie ein Hirsch.
    Manchmal traf sie pünktlich ein, aber so rot, so
    atemlos,

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