Der Todschlaeger
Pflaster
aufgewachsen. Doch sie wählten bereits unter
ihnen. Pauline traf sich stets mit einem von
Frau
Gaudrons
Söhnen,
einem
siebzehnjährigen Tischler, der ihr Äpfel
spendierte. Nana bemerkte von dem einen
Ende einer Avenue aus Victor Fauconnier am
anderen, den Sohn der Wäscherin, mit dem sie
sich in den dunklen Ecken küßte. Und weiter
ging es nicht; die Mädchen waren zu
durchtrieben, um unbewußt eine Dummheit zu
machen. Man redete bloß drastisch.
Ging dann die Sonne unter, war es das große
Vergnügen dieser Frauenzimmer, bei den
Gauklern stehenzubleiben. Es kamen
Taschenspieler und Athleten, die einen vor
Abnutzung zerfressenen Teppich auf der Erde
der Avenue ausbreiteten. Dann liefen die
Gaffer zusammen, es bildete sich ein Kreis,
während der Marktschreier in der Mitte in
seinem verschossenen Trikot die Muskeln
spielen ließ. Nana und Pauline blieben
stundenlang im dichtesten Gedränge stehen.
Ihre schönen frischen Kleider wurden
zwischen den Überziehern und den
schmutzigen Arbeitskitteln zerdrückt. Ihre
bloßen Arme, ihr bloßer Hals und ihr bloßer
Kopf erhitzten sich unter den verpesteten
Atemzügen, in einem Geruch nach Wein und
Schweiß. Und sie lachten, hatten ohne Ekel
ihren Spaß daran, waren rosiger und gleichsam
auf ihrem natürlichen Dung. Rings um sie
fielen derbe Worte, ganz gemeine Zoten,
Bemerkungen besoffener Männer. Das war
ihre Sprache, sie kannten alles; seelenruhig vor
Schamlosigkeit, ohne die zarte Blässe ihrer
Atlashaut zu verlieren, drehten sie sich mit
einem Lächeln um.
Ärgerlich war es lediglich für sie, ihren Vätern
zu begegnen, besonders wenn diese getrunken
hatten. Sie paßten auf und warnten sich
gegenseitig.
»Hör mal, Nana«, rief Pauline auf einmal, »da
kommt Vater Coupeau!«
»Na, wenn der nicht bekneipt ist, freß ich 'nen
Besen«, sagte Nana ärgerlich. »Ich verdrücke
mich, wißt ihr! Ich habe kein Verlangen
danach, daß er mir das Fell versohlt ... Da! Er
ist kopfüber hingeknallt! Herrgott noch mal,
wenn er sich bloß die Schnauze einschlagen
möchte!«
Wenn Coupeau manchmal stracks auf sie
zukam, ohne ihr Zeit zum Davonlaufen zu
lassen, kauerte sie sich zusammen und
flüsterte:
»Versteckt mich doch, Menschenskinder! – Er
sucht mich, er hat versprochen, mir in den
Allerwertesten zu treten, wenn er mich noch
mal heim Rumtreiben erwischt.«
War der Trunkenbold dann an ihnen vorüber,
richtete sie sich wieder auf, und alle folgten
ihm prustend vor Lachen. Er findet sie, er
findet sie nicht. Ein richtiges Versteckspiel
war das. Eines Tages jedoch hatte Boche
Pauline an beiden Ohren heimgeholt, und
Coupeau hatte Nana mit Fußtritten in den
Hintern nach Hause gebracht.
Der Tag ging zur Neige, sie machten einen
letzten Bummel und kehrten in der fahlen
Dämmerung inmitten der todmüden Menge
heim. Der Staub in der Luft hatte sich
verdichtet und machte den schwülen Himmel
bleich. Die Rue de la Goutted'Or hätte man für
einen Provinzwinkel halten können mit den
Klatschbasen an den Türen und den gellenden
Stimmen, die die laue Stille des Viertels
durchschnitten, wenn keine Wagen mehr
fuhren. Sie blieben eine Weile auf dem Hof
stehen, nahmen die Schläger wieder zur Hand
und bemühten sich, den Eindruck zu
erwecken, als hätten sie sich nicht von dort
weggerührt. Und sie gingen in die Wohnungen
hinauf, wobei sie sich eine Geschichte
zurechtlegten, die sie oft gar nicht benutzten,
wenn sie ihre Eltern allzu beschäftigt damit
antrafen, sich wegen einer versalzenen oder
nicht gargekochten Suppe Ohrfeigen zu
verpassen.
Nana war nun Arbeiterin, sie verdiente vierzig
Sous bei Titreville, der Firma in der Rue du
Caire, wo sie in die Lehre gegangen war. Die
Coupeaus wollten sie nicht von dort
wegnehmen, damit sie unter der Aufsicht von
Frau Lerat blieb, die seit zehn Jahren
Vorarbeiterin in der Werkstatt war. Während
die Mutter morgens nachsah, wie spät es auf
der Kuckucksuhr war, brach die Kleine allein
auf, sah nett aus in ihrem zu engen und zu
kurzen alten schwarzen Kleid, das ihr an den
Schultern zu knapp war; und Frau Lerat war
beauftragt, die Zeit ihrer Ankunft festzustellen,
die sie dann Gervaise mitteilte. Man bewilligte
ihr zwanzig Minuten, um von der Rue de la
Goutted'Or nach der Rue du Caire zu gehen,
was ausreichend war, denn diese quirligen
Mädchen haben Beine wie ein Hirsch.
Manchmal traf sie pünktlich ein, aber so rot, so
atemlos,
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