Der Todschlaeger
denen sie im
dichten Gewühl auf den Bürgersteigen
angerempelt wurde. Und gerade in diesen
Augenblicken flüsterte ihr Alter ihr Anträge
ins Ohr; das blieb niemals aus. Ach, wie gern
hätte sie in seine Hand eingeschlagen, wenn
sie nicht Angst vor ihm gehabt hätte, ein
inneres Aufbegehren, das sie in ihren
Weigerungen starr werden ließ, weil sie trotz
ihrer ganzen Lasterhaftigkeit wütend und
angeekelt war vom Unbekannten des Mannes.
Aber als der Winter kam, wurde das Dasein
bei den Coupeaus unerträglich. Jeden Abend
bekam Nana ihre Keile. War ihr Vater es
müde, sie zu schlagen, verabreichte ihr die
Mutter Backpfeifen, um ihr beizubringen, sich
gut aufzuführen. Und oft waren es allgemeine
tolle Tänze; sobald der eine drauflosschlug,
verteidigte der andere sie, so daß sich
schließlich alle drei inmitten des
zerschlagenen Geschirrs auf dem
Fliesenfußboden wälzten. Dazu aß man sich
überhaupt nicht mehr satt und verreckte vor
Kälte. Wenn die Kleine sich irgend etwas
Nettes kaufte, eine Schleife oder
Manschettenknöpfe, beschlagnahmten die
Eltern es ihr und gingen es verkloppen. Sie
besaß nichts weiter als ihre regelmäßigen
Einkünfte an Maulschellen, bevor sie sich
zwischen die zerfetzten Laken verkroch, wo
sie unter ihrem kleinen schwarzen Unterrock
bibberte, den sie statt einer Decke ausbreitete.
Nein, dieses verfluchte Leben konnte nicht
weitergehen, sie wollte keinesfalls ihre Haut
dabei lassen. Ihr Vater zählte seit langem nicht
mehr; wenn ein Vater sich besäuft, wie ihrer
sich besoff, so ist das kein Vater, sondern ein
schmutziges Tier, das man gern los sein
möchte. Und nun war die Mutter an der Reihe,
in Nanas Zuneigung immer tiefer zu sinken.
Auch sie trank. Sie trat zu ihrem Vergnügen
bei Vater Colombe ein und holte ihren Mann
ab, bloß um sich etwas zu trinken anbieten zu
lassen; und sie setzte sich sehr gern an den
Tisch, ohne ein angeekeltes Gehabe zur Schau
zu tragen wie beim erstenmal, kippte die
Gläser mit einem Zug hinter, lümmelte sich
stundenlang auf den Ellbogen hin, und wenn
sie von dort wegging, traten ihr die Augen aus
dem Kopf. Erblickte Nana, wenn sie am
»Totschläger« vorüberging, im Hintergrund
ihre Mutter, mit der Nase im Schnäpschen,
schlapp inmitten des Gegröles der Männer, so
packte sie rasender Zorn, weil die Jugend, der
der Schnabel nach einer anderen Leckerei
steht, den Suff nicht begreift. An diesen
Abenden bot sich ihr ein schönes Bild: der
Papa beduselt, die Mama beduselt, eine
gottverdammte Bude, in der kein Brot
vorhanden war und die der Alkohol vergiftete.
Kurzum, da wäre keine Heilige dringebliehen.
Kein Wunder, wenn sie nächstens ausrücken
würde; ihre Eltern mochten ruhig ihr »Mea
culpa«94 sprechen und sagen, daß sie sie
selber hinausgetrieben hatten.
An einem Sonnabend fand Nana beim
Nachhausekommen ihren Vater und ihre
Mutter in einem scheußlichen Zustand vor.
Coupeau, der querüber das Bett gesunken war,
schnarchte Gervaise, die auf einem Stuhl
zusammengesackt war, rollte den Kopf hin
und her mit verschwommenen und
besorgniserregend ins Leere blickenden
Augen. Sie hatte vergessen, das Abendessen,
einen Rest Ragout, warm zu machen. Eine
Kerze, die sie nicht zu putzen pflegte,
beleuchtete das schändliche Elend des
Drecklochs.
»Bist du es, du Kröte?« lallte Gervaise. »Na,
dein Vater wird dir aber Bescheid stoßen!«
Nana antwortete nicht, wurde ganz weiß,
betrachtete den kalten Ofen, den Tisch ohne
Teller, den schauerlichen Raum, in den dieses
Säuferpaar das bleiche Grauen seines
Stumpfsinns hineinbrachte. Sie nahm ihren
Hut nicht ab und ging durch die Stube; die
Zähne zusammenbeißend, öffnete sie dann
wieder die Tür, sie ging davon.
»Gehst du wieder runter?« fragte ihre Mutter,
ohne den Kopf drehen zu können.
»Ja, ich habe etwas vergessen. Ich komme
gleich wieder rauf ... Guten Abend.«
Und sie kam nicht wieder.
Am nächsten Morgen prügelten sich die
nüchtern gewordenen Coupeaus und rieben es
sich gegenseitig unter die Nase, daß Nana
davongeflogen war. Ach, die war weit weg,
wenn sie immer noch rannte! Wie man den
Kindern empfiehlt, den Spatzen Salz auf den
Schwanz zu streuen, so konnten die Eltern ja
losgehen und ihr ein Körnchen Salz auf den
Hintern streuen, vielleicht würden sie sie
wieder einfangen. Ein schwerer Schlag war
das, der Gervaise abermals zerschmetterte;
denn trotz ihrer Schlappheit fühlte sie
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