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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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sie schien dieses Ende eines langen
    Verhältnisses, das sich langsam in
    gegenseitigem Überdruß dahingeschleppt und
    aufgelöst hatte, nicht gemerkt zu haben. Für
    sie war es eine Fron weniger. Sogar die
    Beziehungen zwischen Lantier und Virginie
    ließen sie völlig kalt, so große Gleichgültigkeit
    empfand sie für alle diese Dummheiten, über
    die sie früher so sehr getobt hatte. Sie hätte
    ihnen die Kerze gehalten, wenn sie es gewollt
    hätten. Jedermann wußte jetzt genau Bescheid
    über die Angelegenheit, der Hutmacher und
    die Süßwarenhändlerin führten einen schönen
    Lebenswandel. Es war aber auch zu bequem
    für sie; Poisson, dieser Hahnrei, hatte alle zwei
    Tage Nachtdienst, bei dem er auf den
    menschenleeren Bürgersteigen vor Kälte
    bibberte, während sich seine Frau und der
    Nachbar zu Hause die Füße warm hielten. Oh,
    sie beeilten sich nicht, sie hörten seine Stiefel
    langsam am Laden entlang auf der dunklen
    und leeren Straße hallen, ohne sich deshalb mit
    ihren Nasen aus der Bettdecke hervorzuwagen.
    Ein Polizist kennt nur seine Pflicht, nicht
    wahr? Und sie blieben seelenruhig bis zum
    Tagesanbruch liegen und beschädigten ihm
    sein Eigentum, während dieser strenge Mann
    über das Eigentum anderer wachte. Das ganze
    Viertel La Goutted'Or ulkte über diese schöne
    Posse. Man fand es drollig, daß der Obrigkeit
    Hörner aufgesetzt wurden. Im übrigen hatte
    Lantier diesen Winkel erobert. Der Laden und
    die Ladeninhaberin gehörten zusammen. Er
    hatte gerade eine Wäscherin verspeist; jetzt
    knabberte er an einer Süßwarenhändlerin; und
    wenn

    er

    sich

    nacheinander
    Kurzwarenhändlerinnen,
    Papierwarenhändlerinnen, Putzmacherinnen
    einrichten würde, seine Kinnladen waren breit
    genug, um sie zu verschlingen.
    Nein, niemals hat man einen Mann gesehen,
    der sich so im Zucker wälzte. Lantier hatte
    sich seine Sache hübsch ausgesucht, als er
    Virginie zu einem Handel mit Leckereien
    geraten hatte. Er war zu sehr Provenzale, als
    daß er nicht für Süßigkeiten schwärmte; das
    heißt, er hätte von Plätzchen, Gummikugeln,
    Zuckerzeug und Schokolade leben können.
    Vor allem das Zuckerzeug, das er »gezuckerte
    Mandeln« nannte, brachte ihm leichten
    Schaum auf die Lippen, so sehr kitzelte es ihm
    die Gurgel. Seit einem Jahr lebte er nur noch
    von Bonbons. Er zog die Schubladen auf und
    fraß sich voll, wenn Virginie ihn bat, auf den
    Laden aufzupassen. Oft nahm er plaudernd in
    Anwesenheit von fünf oder sechs Personen
    den Deckel eines Bonbonglases auf dem
    Ladentisch ab, steckte die Hand hinein,
    knabberte irgend etwas; das Glas blieb offen
    und wurde leer. Man beachtete das gar nicht
    mehr, eine Sucht, wie er sagte. Ferner hatte er
    sich eine ständige Erkältung ausgedacht, eine
    Reizung der Kehle, die er lindern mußte, wie
    er sagte. Er arbeitete noch immer nicht, hatte
    immer bedeutendere Geschäfte in Aussicht;
    zur Zeit knobelte er eine prächtige Erfindung
    aus, den Regenschirmhut, einen Hut, der sich
    bei den ersten Tropfen eines Platzregens auf
    dem Kopf in eine Musspritze verwandelte; und
    er versprach Poisson die Hälfte vom Gewinn,
    er borgte sich sogar Zwanzigfrancsstücke von
    ihm für die Versuche. Unterdessen zerschmolz
    der Laden auf seiner Zunge; alle Waren gingen
    drauf, sogar die Schokoladenzigarren und die
    Pfeifen aus rotem Karamelzucker. Wenn er
    vor Zuckerwerk platzte und sich, von
    Zärtlichkeit erfaßt, in einer Ecke eine letzte
    Schleckerei mit der Besitzerin leistete, fand
    diese ihn ganz zuckrig, seine Lippen wie
    Pralinen. Ein Mann, den zu küssen ungemein
    nett war! Er wurde tatsächlich ganz zu Honig.
    Die Boches sagte, es würde genügen, wenn er
    den Finger in seinen Kaifee tunkte, um einen
    wahren Sirup daraus zu machen.
    Gerührt durch diese ständigen Naschereien,
    zeigte sich Lantier väterlich zu Gervaise. Er
    gab ihr Ratschläge, schalt sie, daß sie die
    Arbeit nicht mehr liebe. Zum Teufel! Eine
    Frau in ihrem Alter müsse sich zu drehen und
    zu wenden verstehen! Und er beschuldigte sie,
    immer ein Leckermaul gewesen zu sein. Doch
    da man den Menschen hilfreich die Hand
    reichen müsse, selbst wenn sie es kaum
    verdienten, bemühte er sich, ihr kleine
    Arbeiten zu verschaffen. So hatte er Virginie
    bewogen, Gervaise einmal in der Woche
    kommen zu lassen, um den Laden und die
    Zimmer

    zu

    scheuern;

    mit
    Schmierseifenwasser, da kannte sie sich aus;
    und sie verdiente jedesmal dreißig Sous.
    Gervaise kam Sonnabend früh mit

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