Der Todschlaeger
gesehen zu haben, wie sie im »Grand
Salon de la Folie« in der Rue de la Chapelle
einen Chahut aufs Parkett gelegt habe. Und da
verfiel Gervaise darauf, die Tanzkneipen des
Viertels zu besuchen. Sie ging an keiner Tür
eines Tanzlokals mehr vorbei, ohne
einzutreten. Coupeau begleitete sie. Zuerst
machten sie bloß die Runde durch die Säle und
faßten
die
sich
tummelnden
Herumtreiberinnen ins Auge. Dann setzten sie
sich eines Abends, als sie Geld hatten, an
einen Tisch und tranken eine Salatschüssel
voll Glühwein, bloß um sich aufzumuntern
und abzuwarten, ob Nana nicht käme. Nach
einem Monat hatten sie Nana vergessen, sie
leisteten sich die Tanzkneipe zu ihrem
Vergnügen, weil sie gerne beim Tanzen
zuschauten. Ohne etwas zueinander zu sagen,
blieben sie stundenlang, die Ellbogen auf den
Tisch gestützt, stumpfsinnig inmitten des
Bebens des Fußbodens und hatten im Grunde
zweifellos ihren Spaß daran, mit ihren blassen
Augen den Vorstadtfosen in der Stickluft und
der roten Helle des Saales nachzublicken.
An einem Novemberabend waren sie gerade in
den »Grand Salon de la Folie«
hineingegangen, um sich aufzuwärmen.
Draußen schnitt Kälte den Passanten ins
Gesicht. Doch der Saal war proppenvoll.
Drinnen herrschte ein höllisches Gewimmel,
Leute an allen Tischen, Leute in der Mitte,
Leute in der Luft, ein richtiger Haufen
Schweinefleisch; ja, wer Kaidaunen auf
normannische Art liebte, konnte sich gütlich
tun. Als sie zweimal die Runde gemacht
hatten, ohne einen Tisch zu finden, faßten sie
den Entschluß, stehen zu bleiben und zu
warten, bis sich eine Gesellschaft rausscherte.
Coupeau mit schmutzigem Kittel und mit einer
alten Tuchmütze ohne Schirm, die oben auf
dem Schädel plattgedrückt war, wiegte sich
auf den Füßen hin und her. Und wie er so den
Durchgang versperrte, erblickte er einen
kleinen, mageren jungen Mann, der den Ärmel
seines Überziehers abwischte, nachdem er ihm
einen Schubs mit dem Ellbogen versetzt hatte.
»Hören Sie mal!« schrie er wütend und nahm
seine Stummelpfeife aus dem schwarzen
Mund. »Sie können wohl nicht um
Entschuldigung bitten? – Und so was tut noch
zimperlich, weil man einen Kittel anhat!« Der
junge Mann hatte sich umgedreht und maß den
Bauklempner mit den Augen, der fortfuhr:
»Merk dir mal, du verdammter Lude, daß der
Kittel die schönste Kleidung ist, jawohl, die
Kleidung der Arbeit! – Ich wische dich gleich
mit ein Paar Ohrfeigen ab, wenn du willst ...
Hat man jemals so einen Schwulen gesehen,
der einen Arbeiter beleidigt.«
Gervaise bemühte sich vergebens, ihn zu
beruhigen. Er protzte mit seinen Lumpen, er
schlug sich auf den Kittel und brüllte:
»Da steckt eine Mannesbrust drin!«
Da verlor sich der junge Mann mitten in der
Menge und murmelte:
»So ein dreckiger Rowdy!«
Coupeau wollte ihn einholen. Das fehlte
gerade noch, daß er sich von einem Überzieher
anecken ließ! Der war ja nicht mal bezahlt!
Irgend so eine gebraucht gekaufte Kluft, um
eine Frau aufzugabeln, ohne einen Centime
herauszurücken. Wenn er ihn wiederfände,
würde er ihn in die Knie stauchen und ihn
dazu bringen, den Kittel zu grüßen. Aber es
herrschte zu großes atembeklemmendes
Gedränge, man konnte nicht von der Stelle
kommen. Gervaise und er gingen langsam um
das Getanze herum; in dreifacher Reihe
erdrückten sich die Neugierigen mit feuerroten
Gesichtern, wenn ein Mann der Länge nach
hinfiel oder eine Dame beim Hochheben des
Beines alles zeigte. Und da sie beide klein
waren, reckten sie sich auf den Füßen hoch,
um was zu sehen, um die hüpfenden
Haarknoten und Hüte zu sehen. Die Kapelle
spielte mit ihren unrein klingenden
Blechinstrumenten rasend eine Quadrille,
einen Sturm, von dem der Saal erzitterte,
während die mit den Füßen aufstampfenden
Tänzer einen Staub aufwirbelten, der das
Flammen des Gaslichts schwerfällig machte.
Es war eine Hitze zum Verrecken.
»Sieh doch mal!« sagte Gervaise auf einmal.
»Was denn?«
»Der Samtdeckel dahinten.«
Sie stellten sich auf die Zehen. Ein alter
schwarzer Samthut links war das mit zwei
wippenden zerfetzten Federn, ein richtiger
Leichenwagenfederbusch. Sie erblickten aber
immer nur diesen Hut, der Luftsprünge
vollführte, herumwirbelte, untertauchte,
emporschoß und einen Teufelschahut tanzte.
Sie verloren ihn in dem rasenden
Durcheinander der Köpfe, und sie fanden ihn
wieder, wie er mit so drolliger Frechheit über
den
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