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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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gesehen zu haben, wie sie im »Grand
    Salon de la Folie« in der Rue de la Chapelle
    einen Chahut aufs Parkett gelegt habe. Und da
    verfiel Gervaise darauf, die Tanzkneipen des
    Viertels zu besuchen. Sie ging an keiner Tür
    eines Tanzlokals mehr vorbei, ohne
    einzutreten. Coupeau begleitete sie. Zuerst
    machten sie bloß die Runde durch die Säle und
    faßten

    die

    sich

    tummelnden
    Herumtreiberinnen ins Auge. Dann setzten sie
    sich eines Abends, als sie Geld hatten, an
    einen Tisch und tranken eine Salatschüssel
    voll Glühwein, bloß um sich aufzumuntern
    und abzuwarten, ob Nana nicht käme. Nach
    einem Monat hatten sie Nana vergessen, sie
    leisteten sich die Tanzkneipe zu ihrem
    Vergnügen, weil sie gerne beim Tanzen
    zuschauten. Ohne etwas zueinander zu sagen,
    blieben sie stundenlang, die Ellbogen auf den
    Tisch gestützt, stumpfsinnig inmitten des
    Bebens des Fußbodens und hatten im Grunde
    zweifellos ihren Spaß daran, mit ihren blassen
    Augen den Vorstadtfosen in der Stickluft und
    der roten Helle des Saales nachzublicken.
    An einem Novemberabend waren sie gerade in
    den »Grand Salon de la Folie«
    hineingegangen, um sich aufzuwärmen.
    Draußen schnitt Kälte den Passanten ins
    Gesicht. Doch der Saal war proppenvoll.
    Drinnen herrschte ein höllisches Gewimmel,
    Leute an allen Tischen, Leute in der Mitte,
    Leute in der Luft, ein richtiger Haufen
    Schweinefleisch; ja, wer Kaidaunen auf
    normannische Art liebte, konnte sich gütlich
    tun. Als sie zweimal die Runde gemacht
    hatten, ohne einen Tisch zu finden, faßten sie
    den Entschluß, stehen zu bleiben und zu
    warten, bis sich eine Gesellschaft rausscherte.
    Coupeau mit schmutzigem Kittel und mit einer
    alten Tuchmütze ohne Schirm, die oben auf
    dem Schädel plattgedrückt war, wiegte sich
    auf den Füßen hin und her. Und wie er so den
    Durchgang versperrte, erblickte er einen
    kleinen, mageren jungen Mann, der den Ärmel
    seines Überziehers abwischte, nachdem er ihm
    einen Schubs mit dem Ellbogen versetzt hatte.
    »Hören Sie mal!« schrie er wütend und nahm
    seine Stummelpfeife aus dem schwarzen
    Mund. »Sie können wohl nicht um
    Entschuldigung bitten? – Und so was tut noch
    zimperlich, weil man einen Kittel anhat!« Der
    junge Mann hatte sich umgedreht und maß den
    Bauklempner mit den Augen, der fortfuhr:
    »Merk dir mal, du verdammter Lude, daß der
    Kittel die schönste Kleidung ist, jawohl, die
    Kleidung der Arbeit! – Ich wische dich gleich
    mit ein Paar Ohrfeigen ab, wenn du willst ...
    Hat man jemals so einen Schwulen gesehen,
    der einen Arbeiter beleidigt.«
    Gervaise bemühte sich vergebens, ihn zu
    beruhigen. Er protzte mit seinen Lumpen, er
    schlug sich auf den Kittel und brüllte:
    »Da steckt eine Mannesbrust drin!«
    Da verlor sich der junge Mann mitten in der
    Menge und murmelte:
    »So ein dreckiger Rowdy!«
    Coupeau wollte ihn einholen. Das fehlte
    gerade noch, daß er sich von einem Überzieher
    anecken ließ! Der war ja nicht mal bezahlt!
    Irgend so eine gebraucht gekaufte Kluft, um
    eine Frau aufzugabeln, ohne einen Centime
    herauszurücken. Wenn er ihn wiederfände,
    würde er ihn in die Knie stauchen und ihn
    dazu bringen, den Kittel zu grüßen. Aber es
    herrschte zu großes atembeklemmendes
    Gedränge, man konnte nicht von der Stelle
    kommen. Gervaise und er gingen langsam um
    das Getanze herum; in dreifacher Reihe
    erdrückten sich die Neugierigen mit feuerroten
    Gesichtern, wenn ein Mann der Länge nach
    hinfiel oder eine Dame beim Hochheben des
    Beines alles zeigte. Und da sie beide klein
    waren, reckten sie sich auf den Füßen hoch,
    um was zu sehen, um die hüpfenden
    Haarknoten und Hüte zu sehen. Die Kapelle
    spielte mit ihren unrein klingenden
    Blechinstrumenten rasend eine Quadrille,
    einen Sturm, von dem der Saal erzitterte,
    während die mit den Füßen aufstampfenden
    Tänzer einen Staub aufwirbelten, der das
    Flammen des Gaslichts schwerfällig machte.
    Es war eine Hitze zum Verrecken.
    »Sieh doch mal!« sagte Gervaise auf einmal.
    »Was denn?«
    »Der Samtdeckel dahinten.«
    Sie stellten sich auf die Zehen. Ein alter
    schwarzer Samthut links war das mit zwei
    wippenden zerfetzten Federn, ein richtiger
    Leichenwagenfederbusch. Sie erblickten aber
    immer nur diesen Hut, der Luftsprünge
    vollführte, herumwirbelte, untertauchte,
    emporschoß und einen Teufelschahut tanzte.
    Sie verloren ihn in dem rasenden
    Durcheinander der Köpfe, und sie fanden ihn
    wieder, wie er mit so drolliger Frechheit über
    den

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