Der Todschlaeger
Werkstatt. Und sie suchte sich Arbeit,
sie richtete sich mit ihrem Werkzeug auf
einem Tisch ein und stand in den ersten Tagen
um fünf Uhr auf, um ihre Veilchenstengel zu
drehen. Aber als sie einige Gros abgeliefert
hatte, rekelte sie vor der Arbeit die Arme, hatte
von Krämpfen verrenkte Hände, weil sie mit
den Stengeln aus der Übung gekommen war,
und erstickte, so eingesperrt zu bleiben, sie,
die sich ein halbes Jahr lang so hübsch frische
Luft verschafft hatte. Nun trocknete der
Leimtopf ein, die Blütenblätter und das grüne
Papier bekamen Fettflecke, und der
Arbeitgeber kam selber dreimal, machte
Szenen und forderte sein verdorbenes Material
zurück. Nana schleppte sich dahin, steckte
immerzu Keile von ihrem Vater ein und zankte
sich morgens und abends mit ihrer Mutter
herum, Streitereien, bei denen sich die beiden
Frauen scheußliche Dinge an den Kopf
warfen. Das konnte nicht so weitergehen; am
zwölften Tage flitzte das Weibsbild und nahm
als einziges Gepäck ihr bescheidenes Kleid auf
dem Hintern und ihr Häubchen auf dem Ohr
mit. Die Lorilleux, die über die Rückkehr und
die Reue der Kleinen eingeschnappt waren,
hätten sich beinahe lang hingelegt und alle
viere von sich gestreckt, so platzten sie vor
Lachen. Zweite Vorstellung, Verduften
Nummer zwei, die Damen nach SaintLazare95
einsteigen! Nein, das war zu komisch. Nana
hatte den Bogen raus, sich aus dem Staube zu
machen! Tja, wenn die Coupeaus sie jetzt bei
sich behalten wollten, brauchten sie ihr nur
noch ihr Dings zuzunähen und sie in einen
Käfig zu stecken!
Vor den Leuten stellten sich die Coupeaus so,
als seien sie eine schöne Last los. Im Grunde
tobten sie. Doch das Toben währt immer nur
eine Weile. Bald erfuhren sie, ohne auch nur
mit der Wimper zu zucken, daß sich Nana im
Viertel herumtrieb. Gervaise, die sie
beschuldigte, sie tue dies, um ihnen Schande
zu machen, setzte sich über das Geklatsche
hinweg; sie könne ihr Früchtchen auf der
Straße treffen, sie würde sich nicht mal die
Hand beschmutzen, um ihr eine Schelle zu
verabfolgen; ja, es sei ganz aus, selbst wenn
sie sie mit nackter Haut auf dem Pflaster
finden sollte, im Begriff, auf der Erde zu
verrecken, sie würde vorübergehen, ohne zu
sagen, daß dieses Boulevardpferdchen aus
ihrem Schoß hervorgegangen sei.
Nana entflammte alle Tanzsäle in der
Umgegend. Man kannte sie von der
»ReineBlanche«96 bis zum »Grand Salon de
la Folie«. Wenn sie das »Elysée Montmartre«
betrat, so stieg man auf die Tische, um zu
sehen, wie sie bei der Pastourelle den
zurückschnäppernden Krebs machte. Da man
sie im »ChâteauRouge«97 zweimal
hinausgeschmissen hatte, streifte sie nur vor
der Tür herum und wartete auf Bekannte. Die
»BouleNoire« auf dem Boulevard und der
»GrandTurc«98 in der Rue des Poissonniers
waren feine Tanzsäle, wo sie hinging, wenn
sie Wäsche anhatte. Doch von allen
Tanzkneipen des Viertels gab sie immer noch
dem »Bal de l'Ermitage«99 auf einem feuchten
Hof und dem »Bai Robert« in der Impasse du
Cadran den Vorzug, zwei stinkenden, von
einem halben Dutzend Petroleumlampen
erhellten, gemütlich gehaltenen kleinen
Tanzsälen, wo alle zufrieden und
ungezwungen waren, so daß sich die Kavaliere
und ihre Damen im Hintergrund ungestört
küssen konnten. Und Nana lernte das Auf und
Ab kennen, wahre feenhafte Verwandlungen,
bald war sie wie eine elegante Dame
ausstaffiert, bald fegte sie den Dreck auf wie
ein Schmutzfink. Oh, sie führte ein schönes
Leben!
Mehrere Male glaubten die Coupeaus ihre
Tochter an verrufenen Orten zu bemerken. Sie
wandten den Rücken und zogen in einer
anderen Richtung ab, um nicht gezwungen zu
sein, sie zu erkennen. Sie waren nicht mehr
dazu aufgelegt, sich von einem ganzen Saal
aufziehen zu lassen, um ein solches Luder
nach Hause zurückzubringen. Aber als sie
eines Abends gegen zehn Uhr schlafen gingen,
schlug jemand mit der Faust gegen die Tür.
Das war Nana, die seelenruhig ankam und zu
schlafen verlangte; und in was für einem
Zustand, du lieber Gott! – Mit bloßem Kopf,
einem zerfetzten Kleid, schiefgetretenen
Halbstiefeln, einem Aufzug, um sich
aufgreifen und auf die Wache bringen zu
lassen. Selbstverständlich bekam sie eine
Abreibung; dann fiel sie gierig über ein Stück
hartes Brot her und schlief todmüde mit einem
letzten Bissen zwischen den Zähnen ein. Nun
ging der alte Trott weiter. Wenn die Kleine
fühlte, daß sie sich ein
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