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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Werkstatt. Und sie suchte sich Arbeit,
    sie richtete sich mit ihrem Werkzeug auf
    einem Tisch ein und stand in den ersten Tagen
    um fünf Uhr auf, um ihre Veilchenstengel zu
    drehen. Aber als sie einige Gros abgeliefert
    hatte, rekelte sie vor der Arbeit die Arme, hatte
    von Krämpfen verrenkte Hände, weil sie mit
    den Stengeln aus der Übung gekommen war,
    und erstickte, so eingesperrt zu bleiben, sie,
    die sich ein halbes Jahr lang so hübsch frische
    Luft verschafft hatte. Nun trocknete der
    Leimtopf ein, die Blütenblätter und das grüne
    Papier bekamen Fettflecke, und der
    Arbeitgeber kam selber dreimal, machte
    Szenen und forderte sein verdorbenes Material
    zurück. Nana schleppte sich dahin, steckte
    immerzu Keile von ihrem Vater ein und zankte
    sich morgens und abends mit ihrer Mutter
    herum, Streitereien, bei denen sich die beiden
    Frauen scheußliche Dinge an den Kopf
    warfen. Das konnte nicht so weitergehen; am
    zwölften Tage flitzte das Weibsbild und nahm
    als einziges Gepäck ihr bescheidenes Kleid auf
    dem Hintern und ihr Häubchen auf dem Ohr
    mit. Die Lorilleux, die über die Rückkehr und
    die Reue der Kleinen eingeschnappt waren,
    hätten sich beinahe lang hingelegt und alle
    viere von sich gestreckt, so platzten sie vor
    Lachen. Zweite Vorstellung, Verduften
    Nummer zwei, die Damen nach SaintLazare95
    einsteigen! Nein, das war zu komisch. Nana
    hatte den Bogen raus, sich aus dem Staube zu
    machen! Tja, wenn die Coupeaus sie jetzt bei
    sich behalten wollten, brauchten sie ihr nur
    noch ihr Dings zuzunähen und sie in einen
    Käfig zu stecken!
    Vor den Leuten stellten sich die Coupeaus so,
    als seien sie eine schöne Last los. Im Grunde
    tobten sie. Doch das Toben währt immer nur
    eine Weile. Bald erfuhren sie, ohne auch nur
    mit der Wimper zu zucken, daß sich Nana im
    Viertel herumtrieb. Gervaise, die sie
    beschuldigte, sie tue dies, um ihnen Schande
    zu machen, setzte sich über das Geklatsche
    hinweg; sie könne ihr Früchtchen auf der
    Straße treffen, sie würde sich nicht mal die
    Hand beschmutzen, um ihr eine Schelle zu
    verabfolgen; ja, es sei ganz aus, selbst wenn
    sie sie mit nackter Haut auf dem Pflaster
    finden sollte, im Begriff, auf der Erde zu
    verrecken, sie würde vorübergehen, ohne zu
    sagen, daß dieses Boulevardpferdchen aus
    ihrem Schoß hervorgegangen sei.
    Nana entflammte alle Tanzsäle in der
    Umgegend. Man kannte sie von der
    »ReineBlanche«96 bis zum »Grand Salon de
    la Folie«. Wenn sie das »Elysée Montmartre«
    betrat, so stieg man auf die Tische, um zu
    sehen, wie sie bei der Pastourelle den
    zurückschnäppernden Krebs machte. Da man
    sie im »ChâteauRouge«97 zweimal
    hinausgeschmissen hatte, streifte sie nur vor
    der Tür herum und wartete auf Bekannte. Die
    »BouleNoire« auf dem Boulevard und der
    »GrandTurc«98 in der Rue des Poissonniers
    waren feine Tanzsäle, wo sie hinging, wenn
    sie Wäsche anhatte. Doch von allen
    Tanzkneipen des Viertels gab sie immer noch
    dem »Bal de l'Ermitage«99 auf einem feuchten
    Hof und dem »Bai Robert« in der Impasse du
    Cadran den Vorzug, zwei stinkenden, von
    einem halben Dutzend Petroleumlampen
    erhellten, gemütlich gehaltenen kleinen
    Tanzsälen, wo alle zufrieden und
    ungezwungen waren, so daß sich die Kavaliere
    und ihre Damen im Hintergrund ungestört
    küssen konnten. Und Nana lernte das Auf und
    Ab kennen, wahre feenhafte Verwandlungen,
    bald war sie wie eine elegante Dame
    ausstaffiert, bald fegte sie den Dreck auf wie
    ein Schmutzfink. Oh, sie führte ein schönes
    Leben!
    Mehrere Male glaubten die Coupeaus ihre
    Tochter an verrufenen Orten zu bemerken. Sie
    wandten den Rücken und zogen in einer
    anderen Richtung ab, um nicht gezwungen zu
    sein, sie zu erkennen. Sie waren nicht mehr
    dazu aufgelegt, sich von einem ganzen Saal
    aufziehen zu lassen, um ein solches Luder
    nach Hause zurückzubringen. Aber als sie
    eines Abends gegen zehn Uhr schlafen gingen,
    schlug jemand mit der Faust gegen die Tür.
    Das war Nana, die seelenruhig ankam und zu
    schlafen verlangte; und in was für einem
    Zustand, du lieber Gott! – Mit bloßem Kopf,
    einem zerfetzten Kleid, schiefgetretenen
    Halbstiefeln, einem Aufzug, um sich
    aufgreifen und auf die Wache bringen zu
    lassen. Selbstverständlich bekam sie eine
    Abreibung; dann fiel sie gierig über ein Stück
    hartes Brot her und schlief todmüde mit einem
    letzten Bissen zwischen den Zähnen ein. Nun
    ging der alte Trott weiter. Wenn die Kleine
    fühlte, daß sie sich ein

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