Der Todschlaeger
nahm, die er gestikulierend
verdrückte. »Das ist ganz einfach ... Vor allein
würde ich Polen wiederherstellen, und ich
würde einen großen skandinavischen Staat
errichten, der den nordischen Riesen in Schach
hielte ... Danach würde ich aus allen kleinen
deutschen Königreichen eine Republik
bilden ... Was England betrifft, so ist es kaum
zu fürchten; sollte es sich rühren, so würde ich
hunderttausend Mann nach Indien entsenden ...
Dazu kommt noch, daß ich dem Großtürken
nach Mekka und dem Papst nach Jerusalem
mit Kolbenhieben ins Kreuz heimleuchten
würde ... Was? Da wäre Europa schnell
bereinigt. He, Badinguet! Sehen Sie doch mal
her ...« Er unterbrach sich, um fünf oder sechs
Stück Lakritzen auf einmal zu nehmen. »Na
schön, das würde nicht länger dauern, als das
hinterzuschlucken.« Und er warf die Stücke
eins nach dem anderen in seinen geöffneten
Mund.
»Der Kaiser hat einen anderen Plan«, sagte der
Polizist nach zwei reichlichen Minuten
Nachdenkens.
»Hören Sie auf!« entgegnete der Hutmacher
heftig. »Man kennt ihn, seinen Plan! Europa
macht sich gerade was aus uns ... Jeden Tag
lesen die Diener in den Tuilerien Ihren Chef
unter dem Tisch zwischen zwei Nutten aus der
vornehmen Gesellschaft auf.«
Poisson war aufgestanden. Er trat näher und
legte die Hand aufs Herz, während er sagte:
»Sie kränken mich, Auguste. Diskutieren Sie,
ohne persönlich zu werden.«
Da schaltete sich Virginie ein und bat sie, sie
möchten sie gefälligst in Ruhe lassen. Europa
hänge ihr zum Halse raus. Wie könnten sich
zwei Männer, die alles übrige teilten,
unaufhörlich wegen der Politik in die Haare
kriegen?
Einen Augenblick lang zerkauten sie dumpfe
Worte. Dann brachte der Polizist, um zu
zeigen, daß er keinen Groll hegte, den Deckel
seiner kleinen Schachtel an, den er soeben
fertiggestellt hatte; darauf war in bunt
eingelegten Buchstaben zu lesen: »Für
Auguste
zum
freundschaftlichen
Angedenken«. Sehr geschmeichelt, lehnte sich
Lantier zurück und machte sich breit, so daß er
fast auf Virginie lag. Und der Ehemann sah
dabei zu mit seinem Gesicht, das die Farbe
einer alten Mauer hatte und in dem seine
trüben Augen nichts verrieten; aber die roten
Haare seines Schnurrbarts bewegten sich
zuweilen von selber auf eine komische Weise,
was einen Mann, der seiner Sache weniger
sicher war als der Hutmacher, hätte
beunruhigen können.
Lantier, dieser grobe Kerl, verfügte über jene
gelassene Dreistigkeit, die den Damen gefällt.
Als Poisson den Rücken wandte, kam ihm der
spaßige Einfall, einen Kuß auf Frau Poissons
linkes Auge zu drücken. Gewöhnlich legte er
eine hinterhältige Vorsicht an den Tag; aber
wenn er sich wegen der Politik gestritten hatte,
riskierte er alles, bloß um sich Genugtuung an
der Frau zu verschaffen. Diese gierigen, frech
hinter dem Rücken des Polizisten stibitzten
Liebkosungen rächten ihn am Kaiserreich, das
aus Frankreich ein Hurenhaus machte. Bloß
hatte er diesmal Gervaises Anwesenheit
vergessen.
Sie hatte den Laden soeben ausgespült und
trockengewischt, sie stand am Ladentisch und
wartete, daß man ihr ihre dreißig Sous gab.
Der Kuß aufs Auge ließ sie ganz kalt wie
etwas Selbstverständliches, um das sie sich
nicht zu kümmern hatte. Virginie schien ein
wenig verärgert. Sie warf die dreißig Sous vor
Gervaise auf den Ladentisch. Diese rührte sich
nicht und schien immer noch zuwarten, noch
mitgenommen vom Scheuern, naß und häßlich
wie ein Hund, den man aus einem Gully
gezogen hat.
»Sie hat also nichts zu Ihnen gesagt?« fragte
sie schließlich den Hutmacher.
»Wer denn?« rief er. »Ach so, Nana! –
Bestimmt nicht, gar nichts weiter. Einen Mund
hat das Weibsbild! Ein Erdbeerschüsselchen!«
Und Gervaise ging mit ihren dreißig Sous in
der Hand davon. Ihre schiefgetretenen
Latschen spieen wie Pumpen das Wasser aus,
richtige Musikschuhe, die eine Melodie
spielten, während sie auf dem Bürgersteig die
nassen Abdrücke ihrer breiten Sohlen
hinterließen.
Im Viertel erzählten nun die Säuferinnen ihres
Schlages, sie trinke, um sich darüber
hinwegzutrösten, daß sich ihre Tochter
umlegen ließ. Sie selbst nahm, wenn sie am
Schanktisch ihr Glas Fusel hinterkippte, ein
tragisches Gebaren an und stürzte es sich
hinter die Binde, wobei sie wünschte, sie möge
daran verrecken. Und an den Tagen, da sie voll
wie eine Haubitze heimkam, lallte sie, der
Kummer sei
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