Der Todschlaeger
einem
Schweigen wieder an. »Wir schulden dem
Bäcker vier Francs sieben Sous; das muß
bezahlt werden ... Madame Gaudron hat ein
Bügeleisen von uns, das du von ihr
zurückverlangen wirst ... Heute abend habe ich
keine Suppe kochen können, aber es ist noch
Brot übrig, und du kannst dir die Kartoffeln
warm machen ...«
Bis zu ihrem letzten Röcheln blieb dieses arme
Ding das Mütterchen ihrer ganzen Familie.
Das war jemand, den man bestimmt nicht
würde ersetzen können! Sie starb, weil sie in
ihrem Alter die Vernunft einer wahren Mutter
gehabt hatte und ihre Brust noch zu zart und
zu eng war, um eine so umfangreiche
Mutterschaft fassen zu können. Und nur ihr
Vater, dieses wilde Tier, war daran schuld,
wenn er diesen Schatz verlor. Hatte er nun
nicht auch noch die Tochter hingemetzelt,
nachdem er die Mama mit einem Fußtritt
umgebracht hatte? Die beiden guten Engel
würden im Grabe liegen, und ihm würde nichts
weiter übrigbleiben, als an der Ecke eines
Prellsteins wie ein Hund zu verrecken.
Gervaise nahm sich jedoch zusammen, um
nicht in Schluchzen auszubrechen. Sie streckte
die Hände aus in dem Verlangen, dem Kind
Erleichterung zu verschaffen; und da das
zerfetzte Laken herabglitt, wollte sie es
glattstreichen und das Bett in Ordnung
bringen. Da kam der arme kleine Körper der
Sterbenden zum Vorschein. Ach, Herrgott,
welch ein Elend und welch ein Jammer! Die
Steine hätten geweint. Lalie war nackt, mit
dem Überrest einer Unterjacke statt eines
Hemdes auf den Schultern; ja, nackt, und zwar
mit der blutenden und schmerzensreichen
Nacktheit einer Märtyrerin. Sie hatte kein
Fleisch mehr, und die Knochen durchbohrten
die Haut. Auf den Rippen liefen schmale,
violette, zebraartige Streifen bis zu den
Schenkeln hinunter, die Striemen der Peitsche,
die dort scharf eingeprägt waren. Ein
bleifarbener Fleck lag wie ein Reif um den
linken Arm, als habe die Backe eines
Schraubstocks dieses so zarte Glied zermalmt,
das nicht dicker als ein Streichholz war. Das
rechte Bein wies einen schlecht zugeheilten
Riß auf, irgendein schlimmer Hieb, der jeden
Morgen wieder aufbrach, wenn sie
umhertrabte, um den Haushalt zu besorgen.
Von Kopf bis Fuß war sie ein einziger blauer
Fleck. Oh, dieses Hinmetzeln der Kindheit,
diese schweren Männerpranken, die dieses
allerliebste Vögelchen zerschmetterten, dieser
Greuel an so viel Schwachheit, die unter einem
derartigen Kreuz röchelte! In den Kirchen
betet man gegeißelte heilige Frauen an, deren
Nacktheit weniger rein ist.
Gervaise hatte sich erneut niedergehockt und
dachte nicht mehr daran, die Decke
hochzuziehen, war umgeworfen vom Anblick
dieses erbarmungswürdigen Nichts, das flach
hingestreckt auf dem Boden des Bettes lag;
und ihre bebenden Lippen suchten nach
Gebeten.
»Madame Coupeau«, flüsterte die Kleine, »ich
bitte Sie ...« Mit ihren zu kurzen Armen suchte
sie das Laken glattzustreichen, war ganz
keusch, schämte sich für ihren Vater.
Stumpfsinnig, die Augen auf diesen Kadaver
gerichtet, den er geschaffen hatte, rollte Bijard
noch immer den Kopf hin und her mit der
langsamer gewordenen Bewegung eines
Tieres, das gereizt wird.
Und als Gervaise Lalie wieder zugedeckt
hatte, konnte sie nicht länger dableiben. Die
Sterbende wurde immer schwächer, sie sprach
nicht mehr und hatte nur noch ihren Blick,
ihren früheren dunklen Blick eines
schicksalergebenen und nachdenklichen
kleinen Mädchens, den sie auf ihre beiden
Kinder heftete, die dabei waren, ihre Bilder
auszuschneiden. Die Stube füllte sich mit
Schatten; Bijard schlief seine Kneiptour im
Stumpfsinn dieses Todesringens aus. Nein,
nein, das Leben war doch zu erbärmlich! Ach,
was für eine dreckige Sache, ach, was für eine
dreckige Sache! Und Gervaise ging fort, stieg
die Treppe hinunter, ohne es zu wissen,
kopflos, fühlte sich so angekotzt, daß sie sich
gern unter die Räder eines Omnibusses
hingestreckt hätte, um dem ein Ende zu
machen.
Während sie noch lief und gegen das
verdammte Schicksal murrte, sah sie sich vor
der Tür des Meisters, bei dem Coupeau
angeblich arbeitete. Ihre Beine hatten sie dort
hingeführt, ihr Magen stimmte sein Lied
wieder an, das Klagelied des Hungers in
neunzig Strophen, ein Klagelied, das sie
auswendig kannte. Wenn sie Coupeau beim
Herauskommen erwischte, würde sie auf diese
Weise das Geld an sich nehmen und
Lebensmittel kaufen. Eine knappe Stunde
Wartezeit höchstens, das
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