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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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bis zum Kinn
    hochgezogen und sehr blaß. Sie im Bett, na so
    was! – Sie war also sehr krank!
    »Was hast du denn?« fragte Gervaise
    mehrmals besorgt. Lalie jammerte nicht mehr.
    Sie schlug langsam ihre weißen Augenlider
    auf und wollte lächeln mit ihren Lippen, die
    ein Schauer verkrampfte.
    »Ich habe nichts«, hauchte sie ganz leise, »oh,
    ganz bestimmt, gar nichts.« Nachdem sie die
    Augen wieder geschlossen hatte, sagte sie
    dann mühsam: »Ich war zu müde an all diesen
    Tagen, da hab ich's mal mit der Faulheit, ich
    verhätschle mich, wie Sie sehen.«
    Aber ihr mit fahlen Flecken marmorgleich
    geädertes Kleinmädchengesicht nahm einen
    solchen Ausdruck höchsten Schmerzes an, daß
    Gervaise, ihre eigene Todesangst vergessend,
    die Hände faltete und neben ihr auf die Knie
    sank. Seit einem Monat sah sie, wie sich Lalie,
    um laufen zu können, an den Wänden festhielt,
    ganz zusammengekrümmt von einem Husten,
    der ganz schön nach Sarg klang. Die Kleine
    konnte nun nicht einmal mehr husten. Sie
    bekam einen Schluckauf, und dünne Blutfäden
    rannen ihr die Mundwinkel hinab.
    »Es ist nicht meine Schuld, ich fühle mich
    nicht gerade kräftig«, murmelte sie gleichsam
    erleichtert. »Ich bin herumgekrochen und habe
    ein bißchen Ordnung gemacht ... Es ist doch
    ganz sauber, nicht wahr? – Ich wollte die
    Fenster putzen, aber die Beine haben mir
    versagt. Ist das dumm! Kurz und gut, wenn
    man fertig ist, dann legt man sich eben hin.«
    Sie unterbrach sich, um zu sagen: »Sehen Sie
    doch nach, ob meine Kinder sich nicht mit
    ihrer Schere schneiden.« Und sie schwieg
    zitternd, weil sie auf einen schweren Schritt
    horchte, der die Treppen heraufkam.
    Brutal stieß Vater Bijard die Tür auf. Er hatte
    wie gewöhnlich tief in die Flasche geguckt,
    und seine Augen flammten vom wütenden
    Wahnsinn des Sprits. Als er Lalie im Bett
    liegen sah, schlug er sich grinsend auf die
    Schenkel, er nahm die große Peitsche vom
    Haken und brummte dabei:
    »Ah, Himmelsakrament! Das ist doch
    allerhand! Gleich werden wir lachen! – Jetzt
    legen sich die Kühe schon am hellen Mittag
    aufs Stroh! – Machst du dich etwa über die
    Leute lustig, verdammte Faulenzerin? – Los,
    hopp! Scher dich da raus!« Schon ließ er die
    Peitsche über dem Bett knallen.
    Aber das Kind wiederholte immer wieder
    flehend:
    »Nein, Papa, ich bitte dich, schlag nicht zu ...
    Ich schwöre dir, du würdest dich grämen ...
    Schlag nicht zu.«
    »Willst du wohl springen!« brüllte er noch
    lauter. »Oder ich kitzele dir die Rippen! –
    Willst du wohl springen, du verdammtes
    Rindvieh!«
    Da sagte sie leise:
    »Ich kann nicht, verstehst du? – Ich werde
    sterben.«
    Gervaise hatte sich auf Bijard gestürzt und
    entriß ihm die Peitsche.
    Stumpfsinnig blieb er vor dem Gurtbett stehen.
    Was schwatzte sie da, diese Rotznase? Stirbt
    man etwa so jung, wenn man nicht krank
    gewesen ist? Irgend so eine Ausrede, um sich
    Zucker geben zu lassen! Na, er wollte sich
    überzeugen, und wenn sie log ...!
    »Du wirst sehen, es ist die Wahrheit«, fuhr sie
    fort. »Solange ich konnte, habe ich euch
    Kummer erspart ... Sei jetzt nett und nimm
    Abschied von mir, Papa.«
    Bijard drehte an seiner Nase herum aus Angst,
    bemogelt zu werden. Es stimmte jedoch, daß
    sie ein komisches Gesicht hatte, ein längliches
    und ernstes Gesicht wie eine Erwachsene. Der
    Hauch des Todes, der durch die Stube strich,
    machte ihn nüchtern. Er ließ den Blick
    umherschweifen und schaute dabei aus wie
    jemand, der aus einem langen Schlaf gerissen
    worden ist, sah den Haushalt in Ordnung, die
    beiden Kinder gewaschen und beim Spielen
    und Lachen. Er sank auf einen Stuhl nieder
    und stammelte:
    »Unser Mütterchen, unser Mütterchen ...«
    Ihm fiel nur das ein, und dies war schon recht
    zärtlich für Lalie, die niemals so sehr verwöhnt
    worden war. Sie tröstete ihren Vater.
    Besonders verdrießlich war es für sie, so
    davongehen zu müssen, bevor sie ihre Kinder
    völlig großgezogen hatte. Er werde sich um sie
    kümmern, nicht wahr? Mit ihrer ersterbenden
    Stimme teilte sie ihm Näheres über die Art und
    Weise mit, wie er sie zurechtmachen und
    sauberhalten sollte. Vertiert, wieder von den
    Dünsten des Rausches erfaßt, rollte er den
    Kopf hin und her und sah zu, wie sie mit ihren
    großen Augen hinüberging. Dies wühlte in
    ihm alles mögliche auf; aber ihm fiel nichts
    mehr ein, er hatte eine zu abgebrühte
    Schwarte, um weinen zu können.
    »Höre noch«, fing Lalie nach

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