Der Todschlaeger
bis zum Kinn
hochgezogen und sehr blaß. Sie im Bett, na so
was! – Sie war also sehr krank!
»Was hast du denn?« fragte Gervaise
mehrmals besorgt. Lalie jammerte nicht mehr.
Sie schlug langsam ihre weißen Augenlider
auf und wollte lächeln mit ihren Lippen, die
ein Schauer verkrampfte.
»Ich habe nichts«, hauchte sie ganz leise, »oh,
ganz bestimmt, gar nichts.« Nachdem sie die
Augen wieder geschlossen hatte, sagte sie
dann mühsam: »Ich war zu müde an all diesen
Tagen, da hab ich's mal mit der Faulheit, ich
verhätschle mich, wie Sie sehen.«
Aber ihr mit fahlen Flecken marmorgleich
geädertes Kleinmädchengesicht nahm einen
solchen Ausdruck höchsten Schmerzes an, daß
Gervaise, ihre eigene Todesangst vergessend,
die Hände faltete und neben ihr auf die Knie
sank. Seit einem Monat sah sie, wie sich Lalie,
um laufen zu können, an den Wänden festhielt,
ganz zusammengekrümmt von einem Husten,
der ganz schön nach Sarg klang. Die Kleine
konnte nun nicht einmal mehr husten. Sie
bekam einen Schluckauf, und dünne Blutfäden
rannen ihr die Mundwinkel hinab.
»Es ist nicht meine Schuld, ich fühle mich
nicht gerade kräftig«, murmelte sie gleichsam
erleichtert. »Ich bin herumgekrochen und habe
ein bißchen Ordnung gemacht ... Es ist doch
ganz sauber, nicht wahr? – Ich wollte die
Fenster putzen, aber die Beine haben mir
versagt. Ist das dumm! Kurz und gut, wenn
man fertig ist, dann legt man sich eben hin.«
Sie unterbrach sich, um zu sagen: »Sehen Sie
doch nach, ob meine Kinder sich nicht mit
ihrer Schere schneiden.« Und sie schwieg
zitternd, weil sie auf einen schweren Schritt
horchte, der die Treppen heraufkam.
Brutal stieß Vater Bijard die Tür auf. Er hatte
wie gewöhnlich tief in die Flasche geguckt,
und seine Augen flammten vom wütenden
Wahnsinn des Sprits. Als er Lalie im Bett
liegen sah, schlug er sich grinsend auf die
Schenkel, er nahm die große Peitsche vom
Haken und brummte dabei:
»Ah, Himmelsakrament! Das ist doch
allerhand! Gleich werden wir lachen! – Jetzt
legen sich die Kühe schon am hellen Mittag
aufs Stroh! – Machst du dich etwa über die
Leute lustig, verdammte Faulenzerin? – Los,
hopp! Scher dich da raus!« Schon ließ er die
Peitsche über dem Bett knallen.
Aber das Kind wiederholte immer wieder
flehend:
»Nein, Papa, ich bitte dich, schlag nicht zu ...
Ich schwöre dir, du würdest dich grämen ...
Schlag nicht zu.«
»Willst du wohl springen!« brüllte er noch
lauter. »Oder ich kitzele dir die Rippen! –
Willst du wohl springen, du verdammtes
Rindvieh!«
Da sagte sie leise:
»Ich kann nicht, verstehst du? – Ich werde
sterben.«
Gervaise hatte sich auf Bijard gestürzt und
entriß ihm die Peitsche.
Stumpfsinnig blieb er vor dem Gurtbett stehen.
Was schwatzte sie da, diese Rotznase? Stirbt
man etwa so jung, wenn man nicht krank
gewesen ist? Irgend so eine Ausrede, um sich
Zucker geben zu lassen! Na, er wollte sich
überzeugen, und wenn sie log ...!
»Du wirst sehen, es ist die Wahrheit«, fuhr sie
fort. »Solange ich konnte, habe ich euch
Kummer erspart ... Sei jetzt nett und nimm
Abschied von mir, Papa.«
Bijard drehte an seiner Nase herum aus Angst,
bemogelt zu werden. Es stimmte jedoch, daß
sie ein komisches Gesicht hatte, ein längliches
und ernstes Gesicht wie eine Erwachsene. Der
Hauch des Todes, der durch die Stube strich,
machte ihn nüchtern. Er ließ den Blick
umherschweifen und schaute dabei aus wie
jemand, der aus einem langen Schlaf gerissen
worden ist, sah den Haushalt in Ordnung, die
beiden Kinder gewaschen und beim Spielen
und Lachen. Er sank auf einen Stuhl nieder
und stammelte:
»Unser Mütterchen, unser Mütterchen ...«
Ihm fiel nur das ein, und dies war schon recht
zärtlich für Lalie, die niemals so sehr verwöhnt
worden war. Sie tröstete ihren Vater.
Besonders verdrießlich war es für sie, so
davongehen zu müssen, bevor sie ihre Kinder
völlig großgezogen hatte. Er werde sich um sie
kümmern, nicht wahr? Mit ihrer ersterbenden
Stimme teilte sie ihm Näheres über die Art und
Weise mit, wie er sie zurechtmachen und
sauberhalten sollte. Vertiert, wieder von den
Dünsten des Rausches erfaßt, rollte er den
Kopf hin und her und sah zu, wie sie mit ihren
großen Augen hinüberging. Dies wühlte in
ihm alles mögliche auf; aber ihm fiel nichts
mehr ein, er hatte eine zu abgebrühte
Schwarte, um weinen zu können.
»Höre noch«, fing Lalie nach
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