Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
Ihr
    war ganz weinerlich ums Herz, denn sie wollte
    nicht zugeben, daß sie seit gestern Kohldampf
    schob. Außerdem fühlte sie, wie ihre Beine
    schwach wurden, sie bekam Angst, in Tränen
    zu zerfließen, und stammelte abermals: »Es
    wäre so nett von Ihnen! – Sie können ja nicht
    wissen ... Ja, soweit ist es mit mir gekommen,
    mein Gott, soweit ist es mit mir gekommen ...«
    Da kniffen die Lorilleux die Lippen zusammen
    und tauschten unmerklich einen Blick. Jetzt
    bettelte Hinkebein! Na ja, der Sturz war
    vollkommen. Das mochten sie schon gar nicht!
    Hätten sie das gewußt, so hätten sie sich
    verbarrikadiert, weil man bei Bettlern immer
    auf der Hut sein muß, bei Leuten, die unter
    Vorwänden in die Wohnungen eindringen und
    unter Mitgehenlassen wertvoller Gegenstände
    abhauen. Um so mehr, als es bei ihnen genug
    zu stehlen gab; man konnte überall die Finger
    hinstrecken und für dreißig bis vierzig Francs
    mitnehmen, indem man bloß die Faust schloß.
    Sie waren schon öfters mißtrauisch gewesen,
    wenn sie Gervaises komisches Gesicht
    ansahen, mit dem sie sich vor dem Gold
    aufpflanzte. Diesmal würden sie auf sie
    aufpassen, das wäre ja noch schöner! Und als
    sie mit den Füßen auf dem Lattenrost noch
    näherkam, rief der Kettenmacher ihr barsch zu,
    ohne weiter auf ihre Bitte einzugehen:
    »Hören Sie mal, geben Sie doch ein bißchen
    acht! Sie werden noch Goldstückchen an Ihren
    Sohlen mitnehmen ... Wahrhaftig, man könnte
    meinen, daß Sie Fett drunter haben, damit es
    klebt.«
    Gervaise wich langsam zurück. Sie hatte sich
    einen Augenblick auf ein Regal gestützt, und
    da sie sah, daß Frau Lorilleux ihre Hände
    musterte, öffnete sie sie weit, zeigte sie vor
    und sagte mit ihrer kraftlosen Stimme, ohne
    sich zu ärgern, wie eine tief gesunkene Frau,
    die sich alles gefallen läßt:
    »Ich habe nichts weggenommen, Sie können
    nachsehen.« Und sie ging davon, weil der
    kräftige Geruch der Kohlsuppe und die
    angenehme Wärme der Werkstatt sie zu krank
    machten.
    Oh, die Lorilleux hielten sie wahrlich nicht
    zurück! Glückliche Reise! Das müßte mit dem
    Teufel zugehen, wenn sie ihr noch mal
    aufmachten! Sie hatten ihr Gesicht zur Genüge
    gesehen, sie wollten das Elend anderer nicht
    bei sich haben, wenn dieses Elend verdient
    war. Und sie gaben sich einem behäbigen
    egoistischen Behagen hin, da sie sich
    wohlhabend fühlten, hübsch im Warmen, mit
    der Aussicht auf eine famose Suppe. Boche
    machte sich ebenfalls breit und blies seine
    Backen noch mehr auf, so daß sein Lachen
    unanständig wurde. Sie erachteten sich alle als
    gehörig gerächt für Hinkebeins früheres
    Benehmen, für den blauen Laden, für die
    Fressereien und alles übrige. Es war zu gut
    gelungen, das bewies, wohin die Liebe zum
    Tafeln führte. Hinweg mit den
    Feinschmeckerinnen, den Faulenzerinnen und
    den schamlosen Weibern!
    »Ist das eine Art und Weise! So was kommt
    her und bettelt um zehn Sous!« rief Frau
    Lorilleux hinter Gervaises Rücken. »Ja, hat
    sich was, ich werde ihr gleich zehn Sous
    leihen, damit sie ihr Schnäpschen trinken
    geht!«
    Schwerfällig, die Schultern beugend, schleppte
    Gervaise ihre Latschen über den Korridor. Als
    sie an ihrer Tür war, trat sie nicht ein, ihre
    Stube machte ihr angst. Lieber laufen, da
    würde ihr wärmer sein, und sie würde sich
    gedulden. Im Vorübergehen steckte sie den
    Kopf in Vater Brus Nische unter der Treppe;
    auch so einer, der einen schönen Appetit haben
    mußte, denn er aß seit drei Tagen nur in
    Gedanken zu Mittag und zu Abend; aber er
    war nicht da, nur sein Loch war vorhanden,
    und sie empfand Neid bei der Vorstellung, daß
    man ihn irgendwo eingeladen haben könnte.
    Als sie dann bei den Bijards anlangte, hörte sie
    Gejammer; sie trat ein, weil der Schlüssel stets
    im Schloß steckte.
    »Was gibt es denn?« fragte sie.
    Die Stube war sehr sauber. Man sah genau,
    daß Lalie noch am Morgen ausgefegt und die
    Sachen aufgeräumt hatte. Das Elend mochte
    noch so sehr hereinwehen, die alten Klamotten
    wegtragen und seinen Haufen Unrat
    ausbreiten, Lalie kam hinterher und scheuerte
    alles und verlieh den Dingen ein nettes
    Aussehen. Wenn es auch nicht üppig zuging,
    so sah man doch, daß hier eine gute Hausfrau
    waltete. An diesem Tage hatten ihre beiden
    Kinder, Henriette und Jules, alte Bilder
    gefunden, die sie ruhig in einer Ecke
    ausschnitten. Aber Gervaise war sehr
    überrascht, Lalie auf ihrem schmalen Gurtbett
    liegend anzutreffen, das Laken

Weitere Kostenlose Bücher