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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Schürze, der ruhig
    dasaß, machte sich Notizen. Der Fall war
    merkwürdig, und der Assistenzarzt wich nicht
    von dem Kranken.
    »Bleiben Sie einen Augenblick hier, wenn Sie
    wollen«, sagte er zu der Wäscherin, »aber
    verhalten Sie sich ruhig ... Versuchen Sie, mit
    ihm zu sprechen, er wird Sie nicht erkennen.«
    In der Tat schien Coupeau seine Frau nicht
    einmal zu bemerken. Beim Eintreten hatte sie
    ihn schlecht sehen können, so sehr verrenkte er
    sich. Als sie ihm unter die Nase schaute,
    sanken ihr die Arme herab. War es denn bei
    Gott möglich, daß er ein solches Gesicht hatte,
    mit blutunterlaufenen Augen und Lippen
    voller Schorf? Sie hätte ihn bestimmt nicht
    wiedererkannt. Vor allem schnitt er zu viele
    Grimassen, ohne zu sagen warum, hatte auf
    einmal ein schiefes Maul, eine krause Nase,
    und eingefallene Backen, eine richtige
    Tierschnauze. Er hatte eine so heiße Haut, daß
    die Luft rings um ihn dampfte; und sein Leder
    war wie lackiert und triefte von schwerem
    Schweiß, der langsam herabrann. Bei seinem
    Getanze eines tollen Harlekins begriff man
    trotzdem, daß ihm nicht wohl zumute war und
    daß er einen schweren Kopf und
    Gliederschmerzen hatte.
    Gervaise war an den Assistenzarzt
    herangetreten, der mit den Fingerspitzen auf
    der Lehne seines Stuhls eine Melodie
    trommelte.
    »Sagen Sie doch, mein Herr, diesmal ist es
    wohl ernst?«
    Der Assistenzarzt nickte, ohne zu antworten.
    »Sagen Sie doch, quasselt er nicht ganz leise?
    – He, verstehen Sie, was es ist?«
    »Dinge, die er sieht«, murmelte der junge
    Mann. »Seien Sie still, lassen Sie mich
    horchen.«
    Coupeau sprach mit abgehackter Stimme. Eine
    Juxflamme erleuchtete jedoch seine Augen. Er
    schaute zu Boden, nach rechts, nach links, und
    ging umher, als bummle er im Bois de
    Vincennes umher, wobei er vor sich hin
    redete:
    »Ah, das ist nett, das ist tipptopp ... Da sind
    Buden, ein richtiger Jahrmarkt. Und ganz
    prima Musik! So eine Schlemmerei! Sie
    zerschlagen das Geschirr da drin ... Ganz
    famos! Jetzt wird illuminiert; rote Ballons in
    der Luft, und die springen und hauen ab! – Oh,
    oh, wie viele Lampions in den Bäumen! – Hier
    ist's aber schön! Von überallher pinkelt es,
    Springbrunnen, Kaskaden, Wasser, das singt,
    oh, mit Chorknabenstimme ... Großartig, diese
    Kaskaden!« Und er richtete sich wieder auf,
    wie um das liebliche Lied des Wassers besser
    zu hören; er atmete tief die Luft ein, weil er
    den kühlen, von den Springbrunnen
    aufstiebenden Regen zu trinken glaubte. Aber
    nach und nach nahm sein Gesicht wieder einen
    Ausdruck der Angst an. Da krümmte er sich,
    er flitzte unter dumpfen Drohungen schneller
    an den Wänden der Zelle entlang. »Schon
    wieder Gesocks, das alles! – Ich war ja
    mißtrauisch ... Ruhe, ihr Strolche! Ja, ihr
    macht euch über mich lustig. Bloß um mich zu
    foppen, trinkt und grölt ihr da drin mit euren
    Nutten. Ich werde euch gleich
    zusammenhauen in eurer Bude! –
    Himmelsakrament! Wollt ihr mich gefälligst in
    Frieden lassen!« Er ballte die Fäuste; dann
    stieß er einen heiseren Schrei aus und duckte
    sich im Laufen flach nieder. Und vor
    Entsetzen mit den Zähnen klappernd,
    stammelte er: »Damit ich mich umbringe, wird
    das gemacht. Nein, ich stürze mich nicht rein!
    – Dieses ganze Wasser, das bedeutet, daß ich
    kein Herz habe. Nein, ich stürze mich nicht
    rein!« Die Kaskaden, die bei seinem
    Näherkommen entflohen, bewegten sich
    vorwärts, wenn er zurückwich. Auf einmal
    schaute er stumpfsinnig um sich und
    stammelte mit kaum hörbarer Stimme: »Das
    ist ja nicht möglich, man hat Quacksalber
    gegen mich angeheuert!«
    »Ich gehe weg, Herr Doktor, guten Abend!«
    sagte Gervaise zu dem Assistenzarzt. »Das
    bringt mich zu sehr durcheinander, ich werde
    wiederkommen.«
    Sie war weiß.
    Schwitzend, sich abrackernd, denselben Takt
    schlagend, spielte Coupeau weiter Solotänzer,
    vom Fenster zur Matratze und von der
    Matratze zum Fenster.
    Da lief sie davon. Aber so schnell sie auch die
    Treppe hinunterpolterte, bis unten hörte sie
    den verfluchten Chahut ihres Mannes. Ach,
    mein Gott, wie angenehm war es draußen, man
    atmete auf!
    Am Abend unterhielt sich das ganze Haus in
    der Rue de la Goutted'Or über Vater Coupeaus
    seltsame Krankheit. Die Boches, die
    Hinkebein jetzt verächtlich von oben herab
    behandelten, boten ihr dennoch in ihrer
    Conciergeloge einen Schwarzbeerlikör an,
    bloß um Näheres zu erfahren. Frau Lorilleux
    traf ein, Frau Poisson ebenfalls. Es

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