Der Todschlaeger
Schürze, der ruhig
dasaß, machte sich Notizen. Der Fall war
merkwürdig, und der Assistenzarzt wich nicht
von dem Kranken.
»Bleiben Sie einen Augenblick hier, wenn Sie
wollen«, sagte er zu der Wäscherin, »aber
verhalten Sie sich ruhig ... Versuchen Sie, mit
ihm zu sprechen, er wird Sie nicht erkennen.«
In der Tat schien Coupeau seine Frau nicht
einmal zu bemerken. Beim Eintreten hatte sie
ihn schlecht sehen können, so sehr verrenkte er
sich. Als sie ihm unter die Nase schaute,
sanken ihr die Arme herab. War es denn bei
Gott möglich, daß er ein solches Gesicht hatte,
mit blutunterlaufenen Augen und Lippen
voller Schorf? Sie hätte ihn bestimmt nicht
wiedererkannt. Vor allem schnitt er zu viele
Grimassen, ohne zu sagen warum, hatte auf
einmal ein schiefes Maul, eine krause Nase,
und eingefallene Backen, eine richtige
Tierschnauze. Er hatte eine so heiße Haut, daß
die Luft rings um ihn dampfte; und sein Leder
war wie lackiert und triefte von schwerem
Schweiß, der langsam herabrann. Bei seinem
Getanze eines tollen Harlekins begriff man
trotzdem, daß ihm nicht wohl zumute war und
daß er einen schweren Kopf und
Gliederschmerzen hatte.
Gervaise war an den Assistenzarzt
herangetreten, der mit den Fingerspitzen auf
der Lehne seines Stuhls eine Melodie
trommelte.
»Sagen Sie doch, mein Herr, diesmal ist es
wohl ernst?«
Der Assistenzarzt nickte, ohne zu antworten.
»Sagen Sie doch, quasselt er nicht ganz leise?
– He, verstehen Sie, was es ist?«
»Dinge, die er sieht«, murmelte der junge
Mann. »Seien Sie still, lassen Sie mich
horchen.«
Coupeau sprach mit abgehackter Stimme. Eine
Juxflamme erleuchtete jedoch seine Augen. Er
schaute zu Boden, nach rechts, nach links, und
ging umher, als bummle er im Bois de
Vincennes umher, wobei er vor sich hin
redete:
»Ah, das ist nett, das ist tipptopp ... Da sind
Buden, ein richtiger Jahrmarkt. Und ganz
prima Musik! So eine Schlemmerei! Sie
zerschlagen das Geschirr da drin ... Ganz
famos! Jetzt wird illuminiert; rote Ballons in
der Luft, und die springen und hauen ab! – Oh,
oh, wie viele Lampions in den Bäumen! – Hier
ist's aber schön! Von überallher pinkelt es,
Springbrunnen, Kaskaden, Wasser, das singt,
oh, mit Chorknabenstimme ... Großartig, diese
Kaskaden!« Und er richtete sich wieder auf,
wie um das liebliche Lied des Wassers besser
zu hören; er atmete tief die Luft ein, weil er
den kühlen, von den Springbrunnen
aufstiebenden Regen zu trinken glaubte. Aber
nach und nach nahm sein Gesicht wieder einen
Ausdruck der Angst an. Da krümmte er sich,
er flitzte unter dumpfen Drohungen schneller
an den Wänden der Zelle entlang. »Schon
wieder Gesocks, das alles! – Ich war ja
mißtrauisch ... Ruhe, ihr Strolche! Ja, ihr
macht euch über mich lustig. Bloß um mich zu
foppen, trinkt und grölt ihr da drin mit euren
Nutten. Ich werde euch gleich
zusammenhauen in eurer Bude! –
Himmelsakrament! Wollt ihr mich gefälligst in
Frieden lassen!« Er ballte die Fäuste; dann
stieß er einen heiseren Schrei aus und duckte
sich im Laufen flach nieder. Und vor
Entsetzen mit den Zähnen klappernd,
stammelte er: »Damit ich mich umbringe, wird
das gemacht. Nein, ich stürze mich nicht rein!
– Dieses ganze Wasser, das bedeutet, daß ich
kein Herz habe. Nein, ich stürze mich nicht
rein!« Die Kaskaden, die bei seinem
Näherkommen entflohen, bewegten sich
vorwärts, wenn er zurückwich. Auf einmal
schaute er stumpfsinnig um sich und
stammelte mit kaum hörbarer Stimme: »Das
ist ja nicht möglich, man hat Quacksalber
gegen mich angeheuert!«
»Ich gehe weg, Herr Doktor, guten Abend!«
sagte Gervaise zu dem Assistenzarzt. »Das
bringt mich zu sehr durcheinander, ich werde
wiederkommen.«
Sie war weiß.
Schwitzend, sich abrackernd, denselben Takt
schlagend, spielte Coupeau weiter Solotänzer,
vom Fenster zur Matratze und von der
Matratze zum Fenster.
Da lief sie davon. Aber so schnell sie auch die
Treppe hinunterpolterte, bis unten hörte sie
den verfluchten Chahut ihres Mannes. Ach,
mein Gott, wie angenehm war es draußen, man
atmete auf!
Am Abend unterhielt sich das ganze Haus in
der Rue de la Goutted'Or über Vater Coupeaus
seltsame Krankheit. Die Boches, die
Hinkebein jetzt verächtlich von oben herab
behandelten, boten ihr dennoch in ihrer
Conciergeloge einen Schwarzbeerlikör an,
bloß um Näheres zu erfahren. Frau Lorilleux
traf ein, Frau Poisson ebenfalls. Es
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