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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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sich für immer verhätscheln zu
    lassen. Ach ja, die Kinder hatten mehr Glück
    als die Erwachsenen! Und da Vater Bazouges
    Tür einen Lichtstreifen hindurchließ, ging sie
    stracks zu ihm hinein, von der Sucht gepackt,
    auf dieselbe Reise zu gehen wie die Kleine.
    Vater Bazouge, dieser alte Spaßvogel, war in
    dieser Nacht in einer ungemein fröhlichen
    Verfassung heimgekehrt. Er hatte sich einen
    solchen Rausch angetrunken, daß er trotz der
    Kälte auf dem Fußboden schnarchte; und das
    hinderte ihn nicht daran, zweifellos schön zu
    träumen, denn er schien im Schlaf mit dem
    Bauch zu lachen. Die angezündet gebliebene
    Funzel beleuchtete seinen Plunder, seinen
    plattgedrückten schwarzen Hut in einer Ecke,
    seinen schwarzen Mantel, den er wie ein
    Stückchen Decke über seine Knie gezogen
    hatte. Als Gervaise ihn erblickte, jammerte sie
    auf einmal so laut, daß er aufwachte.
    »Himmelsakrament! Machen Sie doch die Tür
    zu! Es kommt ja eine Kälte rein! – Ach, Sie
    sind es! – Was gibt es denn? Was wollen Sie
    denn?«
    Da begann Gervaise, die die Arme ausstreckte
    und nicht mehr wußte, was sie stammelte, ihn
    leidenschaftlich anzuflehen:
    »Oh, nehmen Sie mich mit, ich habe es satt,
    ich will weg ... Sie dürfen mir nicht grollen.
    Ich wußte nicht Bescheid, mein Gott! Man
    weiß ja niemals Bescheid, solange man nicht
    bereit ist – Ach ja, man ist froh, eines Tages
    dran glauben zu müssen! – Nehmen Sie mich
    mit, nehmen Sie mich mit, ich werde Ihnen
    danke zuschreien!« Und sie ließ sich auf die
    Knie nieder, ganz mitgenommen von einem
    Verlangen, das sie erblassen ließ. Noch nie
    hatte sie sich so zu Füßen eines Mannes
    gewälzt. Vater Bazouges versoffenes Gesicht
    mit seinem schiefen Mund und seiner vom
    Staub der Beerdigungen verschmutzten
    ledernen Haut erschien ihr schön und strahlend
    wie eine Sonne.
    Der nicht ganz munter gewordene Alte glaubte
    indessen an irgendeinen üblen Schabernack.
    »Hören Sie mal«, murmelte er, »Sie dürfen
    mich nicht zum besten halten!«
    »Nehmen Sie mich mit!« wiederholte Gervaise
    noch glühender. »Erinnern Sie sich, eines
    Abends habe ich an die Bretterwand geklopft;
    dann habe ich gesagt, es sei nicht wahr, weil
    ich noch zu dumm war ... Aber sehen Sie,
    geben Sie mir Ihre Hände, ich habe keine
    Angst mehr! Nehmen Sie mich mit, heia
    machen, Sie werden ja merken, ob ich mich
    rühre ... Oh, ich habe nur diesen einen
    Wunsch, oh, ich werde Sie sehr liebhaben!«
    Bazouge, der immer galant war, dachte, er
    dürfe eine Dame, die so in ihn verschossen zu
    sein schien, nicht vor den Kopf stoßen. Sie
    faselte ja Unsinn, aber sie verfügte immerhin
    über schöne Reste, wenn sie in Eifer geriet.
    »Sie haben völlig das Richtige getroffen«,
    sagte er mit überzeugter Miene. »Ich habe
    heute schon wieder drei eingepackt, die mir
    ein anständiges Trinkgeld gegeben hätten,
    wenn sie die Hand in die Tasche hätten
    stecken können ... Bloß, so einfach, Muttchen,
    läßt sich das nicht einrichten ...«
    »Nehmen Sie mich mit, nehmen Sie mich
    mit!« rief Gervaise immerzu. »Ich will fort ...«
    »Freilich, da gibt's eine kleine Operation
    vorher ... Sie wissen ja – quiek!« Und er
    machte eine Kraftanstrengung mit der Kehle,
    als schlucke er seine Zunge hinunter. Dann
    grinste er, weil er den Scherz gut fand.
    Gervaise war langsam wieder aufgestanden. Er
    konnte also auch nichts für sie tun?
    Stumpfsinnig kehrte sie in ihre Stube zurück
    und warf sich auf ihr Stroh, während sie
    bedauerte, gegessen zu haben. Ach du meine
    Güte, nein, das Elend tötete nicht schnell
    genug.

    Kapitel XIII
    Coupeau unternahm in dieser Nacht eine
    Kneiptour. Am folgenden Tage erhielt
    Gervaise zehn Francs von ihrem Sohn Etienne,
    der Maschinist bei der Eisenbahn war; der
    Kleine schickte ihr von Zeit zu Zeit
    Hundertsousstücke, weil er wüßte, daß es im
    Hause ziemlich knapp zuging. Sie setzte
    Suppenfleisch auf und aß es ganz allein, denn
    Coupeau, dieser Saukerl, kam am nächsten
    Tag ebensowenig heim. Am Montag –
    niemand; am Dienstag – immer noch niemand.
    Die ganze Woche verging. Ach, verflucht noch
    mal! Wenn ihn eine Dame entführt hatte, so
    hätte man das wirklich als ein Glück
    bezeichnen können. Aber ausgerechnet am
    Sonntag erhielt Gervaise ein gedrucktes
    Schreiben, das ihr zuerst Angst einjagte, weil
    man glauben konnte, es sei ein Brief vom
    Polizeikommissar. Dann beruhigte sie sich
    wieder; es war bloß deswegen, um ihr
    mitzuteilen, daß ihr

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