Der Todschlaeger
sich für immer verhätscheln zu
lassen. Ach ja, die Kinder hatten mehr Glück
als die Erwachsenen! Und da Vater Bazouges
Tür einen Lichtstreifen hindurchließ, ging sie
stracks zu ihm hinein, von der Sucht gepackt,
auf dieselbe Reise zu gehen wie die Kleine.
Vater Bazouge, dieser alte Spaßvogel, war in
dieser Nacht in einer ungemein fröhlichen
Verfassung heimgekehrt. Er hatte sich einen
solchen Rausch angetrunken, daß er trotz der
Kälte auf dem Fußboden schnarchte; und das
hinderte ihn nicht daran, zweifellos schön zu
träumen, denn er schien im Schlaf mit dem
Bauch zu lachen. Die angezündet gebliebene
Funzel beleuchtete seinen Plunder, seinen
plattgedrückten schwarzen Hut in einer Ecke,
seinen schwarzen Mantel, den er wie ein
Stückchen Decke über seine Knie gezogen
hatte. Als Gervaise ihn erblickte, jammerte sie
auf einmal so laut, daß er aufwachte.
»Himmelsakrament! Machen Sie doch die Tür
zu! Es kommt ja eine Kälte rein! – Ach, Sie
sind es! – Was gibt es denn? Was wollen Sie
denn?«
Da begann Gervaise, die die Arme ausstreckte
und nicht mehr wußte, was sie stammelte, ihn
leidenschaftlich anzuflehen:
»Oh, nehmen Sie mich mit, ich habe es satt,
ich will weg ... Sie dürfen mir nicht grollen.
Ich wußte nicht Bescheid, mein Gott! Man
weiß ja niemals Bescheid, solange man nicht
bereit ist – Ach ja, man ist froh, eines Tages
dran glauben zu müssen! – Nehmen Sie mich
mit, nehmen Sie mich mit, ich werde Ihnen
danke zuschreien!« Und sie ließ sich auf die
Knie nieder, ganz mitgenommen von einem
Verlangen, das sie erblassen ließ. Noch nie
hatte sie sich so zu Füßen eines Mannes
gewälzt. Vater Bazouges versoffenes Gesicht
mit seinem schiefen Mund und seiner vom
Staub der Beerdigungen verschmutzten
ledernen Haut erschien ihr schön und strahlend
wie eine Sonne.
Der nicht ganz munter gewordene Alte glaubte
indessen an irgendeinen üblen Schabernack.
»Hören Sie mal«, murmelte er, »Sie dürfen
mich nicht zum besten halten!«
»Nehmen Sie mich mit!« wiederholte Gervaise
noch glühender. »Erinnern Sie sich, eines
Abends habe ich an die Bretterwand geklopft;
dann habe ich gesagt, es sei nicht wahr, weil
ich noch zu dumm war ... Aber sehen Sie,
geben Sie mir Ihre Hände, ich habe keine
Angst mehr! Nehmen Sie mich mit, heia
machen, Sie werden ja merken, ob ich mich
rühre ... Oh, ich habe nur diesen einen
Wunsch, oh, ich werde Sie sehr liebhaben!«
Bazouge, der immer galant war, dachte, er
dürfe eine Dame, die so in ihn verschossen zu
sein schien, nicht vor den Kopf stoßen. Sie
faselte ja Unsinn, aber sie verfügte immerhin
über schöne Reste, wenn sie in Eifer geriet.
»Sie haben völlig das Richtige getroffen«,
sagte er mit überzeugter Miene. »Ich habe
heute schon wieder drei eingepackt, die mir
ein anständiges Trinkgeld gegeben hätten,
wenn sie die Hand in die Tasche hätten
stecken können ... Bloß, so einfach, Muttchen,
läßt sich das nicht einrichten ...«
»Nehmen Sie mich mit, nehmen Sie mich
mit!« rief Gervaise immerzu. »Ich will fort ...«
»Freilich, da gibt's eine kleine Operation
vorher ... Sie wissen ja – quiek!« Und er
machte eine Kraftanstrengung mit der Kehle,
als schlucke er seine Zunge hinunter. Dann
grinste er, weil er den Scherz gut fand.
Gervaise war langsam wieder aufgestanden. Er
konnte also auch nichts für sie tun?
Stumpfsinnig kehrte sie in ihre Stube zurück
und warf sich auf ihr Stroh, während sie
bedauerte, gegessen zu haben. Ach du meine
Güte, nein, das Elend tötete nicht schnell
genug.
Kapitel XIII
Coupeau unternahm in dieser Nacht eine
Kneiptour. Am folgenden Tage erhielt
Gervaise zehn Francs von ihrem Sohn Etienne,
der Maschinist bei der Eisenbahn war; der
Kleine schickte ihr von Zeit zu Zeit
Hundertsousstücke, weil er wüßte, daß es im
Hause ziemlich knapp zuging. Sie setzte
Suppenfleisch auf und aß es ganz allein, denn
Coupeau, dieser Saukerl, kam am nächsten
Tag ebensowenig heim. Am Montag –
niemand; am Dienstag – immer noch niemand.
Die ganze Woche verging. Ach, verflucht noch
mal! Wenn ihn eine Dame entführt hatte, so
hätte man das wirklich als ein Glück
bezeichnen können. Aber ausgerechnet am
Sonntag erhielt Gervaise ein gedrucktes
Schreiben, das ihr zuerst Angst einjagte, weil
man glauben konnte, es sei ein Brief vom
Polizeikommissar. Dann beruhigte sie sich
wieder; es war bloß deswegen, um ihr
mitzuteilen, daß ihr
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