Der Todschlaeger
Assistenzarzt
und dem Chefarzt gewechselte Sätze auf. Der
erstere berichtete in Worten, die sie nicht
verstand, Einzelheiten über die Nacht. Die
ganze Nacht habe ihr Mann geredet und sich
im Kreise gedreht, das bedeutete es im
Grunde. Dann schien der alte, kahlköpfige
Herr, der übrigens nicht sehr höflich war,
endlich ihre Anwesenheit zu bemerken; und
als ihm der Assistenzarzt gesägt hatte, daß sie
die Frau des Patienten sei, fing er an, sie mit
der bösartigen Miene eines Polizeikommissars
zu verhören.
»Hat der Vater dieses Mannes getrunken?«
»Ja, mein Herr, ein klein wenig, wie alle
Welt ... Er ist ums Leben gekommen, als er an
einem Sauftag von einem Dach
heruntergepurzelt ist.«
»Hat seine Mutter getrunken?«
»Freilich, mein Herr, wie alle Welt, Sie wissen
ja, hier mal ein Schnäpschen, da mal ein
Schnäpschen ... Oh, die Familie ist sehr
anständig! – Es war noch ein Bruder da, der
sehr jung an Krämpfen gestorben ist.«
Der Chefarzt sah sie mit seinem
durchdringenden Blick an. Er versetzte mit
seiner brutalen Stimme:
»Sie, Sie trinken auch?«
Gervaise stotterte, verwahrte sich dagegen,
legte die Hand aufs Herz, um ihr geheiligtes
Wort zu geben.
»Sie trinken! Nehmen Sie sich in acht, sehen
Sie sich an, wohin das Trinken führt ... Über
kurz oder lang werden Sie so sterben.«
Da blieb sie gegen die Wand gepreßt stehen.
Der Chefarzt hatte ihr den Rücken zugedreht.
Er kauerte sich nieder, ohne sich darum zu
kümmern, ob er mit seinem Gehrock den
Staub von der Strohmatte auflas; lange
studierte er Coupeaus Zittern, wartete, bis er
vorbeikam, blickte ihm nach. An diesem Tage
hüpften nun die Beine, das Zittern war von den
Händen in die Füße hinabgefahren; ein
richtiger Hampelmann, den man an der Strippe
zog, der mit den Gliedern Ulk machte und
dessen Rumpf steif wie Holz war. Das Übel
griff nach und nach um sich. Man hätte
meinen können, es sei Musik unter der Haut;
alle drei oder vier Sekunden ging das los,
schlingerte einen Augenblick; dann hörte das
auf und begann von neuem, genau wie der
leise Schauer, der die entlaufenen Hunde
schüttelt, wenn sie im Winter in einer Haustür
frieren. Der Bauch und die Schultern bebten
bereits wie Wasser kurz vor dem Sieden. Eine
komische Art der Vernichtung immerhin, von
hinnen zu gehen und sich dabei zu kugeln wie
ein Mädchen, bei dem Kitzeln wirkt! Coupeau
klagte indessen mit dumpf er Stimme. Er
schien viel mehr zu leiden als gestern. Seine
abgerissenen Klagen ließen alle möglichen
Schmerzen ahnen. Tausende von Nadeln
stachen ihn. Überall hatte er etwas Drückendes
auf der Haut; über seine Schenkel kroch ein
kaltes und feuchtes Tier und schlug ihm
Reißzähne tief ins Fleisch. Dann waren es
andere Tiere, die sich an seine Schultern
hefteten und ihm mit Krallenhieben den
Rücken zerfleischten.
»Ich habe Durst, oh, ich habe Durst!«
brummte er fortwährend.
Der Assistenzarzt nahm einen Topf Limonade
von einem Brettchen und gab ihm den. Er
packte den Topf mit beiden Händen und
schlürfte gierig einen Schluck, wobei er die
Hälfte der Flüssigkeit über sich verschüttete;
doch sofort spie er den Schluck mit wütendem
Ekel aus und schrie:
»Himmelsakrament! Das ist ja Branntwein!«
Darauf wollte ihm der Assistenzarzt auf ein
Zeichen des Chefarztes hin Wasser zu trinken
geben, ohne die Karaffe loszulassen.
Diesmal trank er den Schluck hinter und
brüllte, als habe er Feuer geschluckt.
»Das ist Branntwein, Himmelsakrament! Das
ist Branntwein!«
Seit gestern war alles, was er trank,
Branntwein. Das verdoppelte seinen Durst,
und er konnte nicht mehr trinken, weil ihn
alles verbrannte. Man hatte ihm eine Suppe
gebracht, aber bestimmt suchte man ihn zu
vergiften, denn diese Suppe schmeckte nach
Sprit. Das Brot war sauer und verdorben.
Rings um ihn gab es nur Gift. Die Zelle stank
nach Schwefel. Er beschuldigte sogar Leute,
Streichhölzer unter seiner Nase anzureiben,
um ihn zu verpesten.
Soeben hatte sich der Chefarzt wieder
aufgerichtet und hörte Coupeau zu, der nun
abermals am hellen Mittag Gespenster sah.
Glaubte er nicht an den Wänden Spinnweben
zu erblicken, so groß wie Schiffssegel! Dann
wurden diese Spinnweben zu Netzen mit
Maschen, die sich zusammenzogen und
ausdehnten, ein drolliges Spielzeug! In den
Maschen wanderten schwarze Kugeln umher,
richtige Taschenspielerkugeln, zuerst so groß
wie Billardkugeln, dann so groß
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