Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
Assistenzarzt
    und dem Chefarzt gewechselte Sätze auf. Der
    erstere berichtete in Worten, die sie nicht
    verstand, Einzelheiten über die Nacht. Die
    ganze Nacht habe ihr Mann geredet und sich
    im Kreise gedreht, das bedeutete es im
    Grunde. Dann schien der alte, kahlköpfige
    Herr, der übrigens nicht sehr höflich war,
    endlich ihre Anwesenheit zu bemerken; und
    als ihm der Assistenzarzt gesägt hatte, daß sie
    die Frau des Patienten sei, fing er an, sie mit
    der bösartigen Miene eines Polizeikommissars
    zu verhören.
    »Hat der Vater dieses Mannes getrunken?«
    »Ja, mein Herr, ein klein wenig, wie alle
    Welt ... Er ist ums Leben gekommen, als er an
    einem Sauftag von einem Dach
    heruntergepurzelt ist.«
    »Hat seine Mutter getrunken?«
    »Freilich, mein Herr, wie alle Welt, Sie wissen
    ja, hier mal ein Schnäpschen, da mal ein
    Schnäpschen ... Oh, die Familie ist sehr
    anständig! – Es war noch ein Bruder da, der
    sehr jung an Krämpfen gestorben ist.«
    Der Chefarzt sah sie mit seinem
    durchdringenden Blick an. Er versetzte mit
    seiner brutalen Stimme:
    »Sie, Sie trinken auch?«
    Gervaise stotterte, verwahrte sich dagegen,
    legte die Hand aufs Herz, um ihr geheiligtes
    Wort zu geben.
    »Sie trinken! Nehmen Sie sich in acht, sehen
    Sie sich an, wohin das Trinken führt ... Über
    kurz oder lang werden Sie so sterben.«
    Da blieb sie gegen die Wand gepreßt stehen.
    Der Chefarzt hatte ihr den Rücken zugedreht.
    Er kauerte sich nieder, ohne sich darum zu
    kümmern, ob er mit seinem Gehrock den
    Staub von der Strohmatte auflas; lange
    studierte er Coupeaus Zittern, wartete, bis er
    vorbeikam, blickte ihm nach. An diesem Tage
    hüpften nun die Beine, das Zittern war von den
    Händen in die Füße hinabgefahren; ein
    richtiger Hampelmann, den man an der Strippe
    zog, der mit den Gliedern Ulk machte und
    dessen Rumpf steif wie Holz war. Das Übel
    griff nach und nach um sich. Man hätte
    meinen können, es sei Musik unter der Haut;
    alle drei oder vier Sekunden ging das los,
    schlingerte einen Augenblick; dann hörte das
    auf und begann von neuem, genau wie der
    leise Schauer, der die entlaufenen Hunde
    schüttelt, wenn sie im Winter in einer Haustür
    frieren. Der Bauch und die Schultern bebten
    bereits wie Wasser kurz vor dem Sieden. Eine
    komische Art der Vernichtung immerhin, von
    hinnen zu gehen und sich dabei zu kugeln wie
    ein Mädchen, bei dem Kitzeln wirkt! Coupeau
    klagte indessen mit dumpf er Stimme. Er
    schien viel mehr zu leiden als gestern. Seine
    abgerissenen Klagen ließen alle möglichen
    Schmerzen ahnen. Tausende von Nadeln
    stachen ihn. Überall hatte er etwas Drückendes
    auf der Haut; über seine Schenkel kroch ein
    kaltes und feuchtes Tier und schlug ihm
    Reißzähne tief ins Fleisch. Dann waren es
    andere Tiere, die sich an seine Schultern
    hefteten und ihm mit Krallenhieben den
    Rücken zerfleischten.
    »Ich habe Durst, oh, ich habe Durst!«
    brummte er fortwährend.
    Der Assistenzarzt nahm einen Topf Limonade
    von einem Brettchen und gab ihm den. Er
    packte den Topf mit beiden Händen und
    schlürfte gierig einen Schluck, wobei er die
    Hälfte der Flüssigkeit über sich verschüttete;
    doch sofort spie er den Schluck mit wütendem
    Ekel aus und schrie:
    »Himmelsakrament! Das ist ja Branntwein!«
    Darauf wollte ihm der Assistenzarzt auf ein
    Zeichen des Chefarztes hin Wasser zu trinken
    geben, ohne die Karaffe loszulassen.
    Diesmal trank er den Schluck hinter und
    brüllte, als habe er Feuer geschluckt.
    »Das ist Branntwein, Himmelsakrament! Das
    ist Branntwein!«
    Seit gestern war alles, was er trank,
    Branntwein. Das verdoppelte seinen Durst,
    und er konnte nicht mehr trinken, weil ihn
    alles verbrannte. Man hatte ihm eine Suppe
    gebracht, aber bestimmt suchte man ihn zu
    vergiften, denn diese Suppe schmeckte nach
    Sprit. Das Brot war sauer und verdorben.
    Rings um ihn gab es nur Gift. Die Zelle stank
    nach Schwefel. Er beschuldigte sogar Leute,
    Streichhölzer unter seiner Nase anzureiben,
    um ihn zu verpesten.
    Soeben hatte sich der Chefarzt wieder
    aufgerichtet und hörte Coupeau zu, der nun
    abermals am hellen Mittag Gespenster sah.
    Glaubte er nicht an den Wänden Spinnweben
    zu erblicken, so groß wie Schiffssegel! Dann
    wurden diese Spinnweben zu Netzen mit
    Maschen, die sich zusammenzogen und
    ausdehnten, ein drolliges Spielzeug! In den
    Maschen wanderten schwarze Kugeln umher,
    richtige Taschenspielerkugeln, zuerst so groß
    wie Billardkugeln, dann so groß

Weitere Kostenlose Bücher