Der Todschlaeger
Schwein im Begriff war,
in SainteAnne zu verrecken. Das Schreiben
sagte das höflicher, bloß kam es auf dasselbe
heraus. Ja, es war doch eine Dame, die
Coupeau entführt hatte, und diese Dame hieß
Sophie Augenbrecher, die letzte Geliebte der
Säufer.
Wahrlich, Gervaise ließ sich nicht aus der
Ruhe bringen. Er kannte den Weg ja, er würde
schon von allein aus dem Asyl
zurückkommen; dort hatte man ihn so oft
kuriert, daß man ihr einmal mehr den
schlechten Schabernack spielen würde, ihn
wieder auf die Beine zu bringen. Hatte sie
denn nicht am Morgen eben erfahren, daß man
Coupeau acht Tage lang voll wie eine
Haubitze gesehen hatte, wie er sich in den
Weinschenken von Belleville in Begleitung
von MeineBotten herumgetrieben hatte!
Jawohl, Meine Botten finanzierte das sogar; er
mußte den verborgenen Schatz seiner Alten
gekapert haben, Ersparnisse, die bei dem
allgemein bekannten hübschen Spiel verdient
worden waren. Na, da vertranken sie ja
sauberes Geld, das imstande war, einem alle
üblen Krankheiten aufzuhalsen! Um so besser,
wenn sich Coupeau davon Leibschmerzen
geholt hatte. Und Gervaise war besonders
wütend, wenn sie daran dachte, daß diese
beiden egoistischen Kerle nicht einmal daran
gedacht hätten, sie abzuholen, um ihr ein
Schnäpschen zu spendieren. Hat man so was
schon erlebt! Acht Tage herumsumpfen und
nicht eine Aufmerksamkeit den Damen
gegenüber! Wenn man allein trinkt, verreckt
man auch allein, jawohl!
Als Gervaise jedoch am Montag ein gutes
kleines Mahl zum Abend hatte, einen Rest
Bohnen und eine halbe Flasche, verschaffte sie
sich den Vorwand, daß ein Spaziergang ihren
Appetit anregen würde. Der Brief vom Asyl
auf der Kommode ärgerte sie. Der Schnee war
geschmolzen, es herrschte unbestimmtes
Wetter, grau und mild, mit einem lebhaften
Untergrund in der Luft, der heiter stimmte. Sie
brach mittags auf, denn der Weg war lang; sie
mußte quer durch Paris gehen, und ihre Stelze
blieb immer zurück. Dazu war ein
Menschengedränge auf den Straßen; aber die
Menschen machten ihr Spaß, sie kam in guter
Stimmung nach SainteAnne. Als sie ihren
Namen genannt hatte, erzählte man ihr eine
tolle Geschichte: anscheinend hatte man
Coupeau an der PontNeuf aus der Seine
gefischt; er hatte sich über das
Brückengeländer gestürzt, weil er einen
bärtigen Mann zu sehen glaubte, der ihm den
Weg versperrte. Ein schöner Sprung, nicht
wahr? Und was die Frage betreffe, wie
Coupeau auf die PontNeuf gekommen sei, so
sei dies etwas, was er selber nicht erklären
könne. Indessen führte ein Wärter Gervaise.
Sie ging eine Treppe hinauf, als sie plötzlich
Gebrüll hörte, das ihr eiskalt in die Knochen
fuhr.
»Der macht aber eine Musik, was?« meinte der
Wärter.
»Wer denn?« fragte sie.
»Na, Ihr Mann! Seit vorgestern brüllt er so.
Und er tanzt, Sie werden gleich sehen.«
O Gott, was für ein Anblick! Sie stand
erschüttert da. Die Zelle war von oben bis
unten ausgepolstert; auf der Erde lagen zwei
Strohmatten übereinander, und in einer Ecke
waren eine Matratze und ein Keilkissen
ausgebreitet, weiter nichts. Da drin tanzte und
brüllte Coupeau. Ein richtiger Bettscheißer aus
La Courtille, mit seinem zerfetzten Kittel und
seinen Gliedern, die in der Luft
herumfuchtelten; aber kein komischer
Bettscheißer, o nein, ein Bettscheißer, dessen
fürchterlicher Chahut einem alle Haare am
Leibe zu Berge stehen ließ. Er war als
Todeskandidat verkleidet. Verdammt noch
mal! Was für ein Solotänzer! Er stieß gegen
das Fenster, ging rückwärts wieder zurück, mit
den Armen den Takt angebend, die Hände
schüttelnd, als wolle er sie zerbrechen und den
Leuten ins Gesicht schmeißen. In den
Tanzkneipen trifft man Spaßmacher, die das
nachahmen; bloß ahmen sie es schlecht nach,
man muß sehen, wie bei diesem Rigaudon102
der Säufer gehüpft wird, wenn man beurteilen
will, was für einen Schick das bekommt, wenn
es ganz im Ernst vorgeführt wird. Auch der
Gesang hat sein eigenes Gepräge, ein
ununterbrochenes Karnevalsgebrüll, ein weit
aufgerissener Mund, der stundenlang dieselben
Töne einer heiseren Posaune ausstößt.
Coupeau hatte den Schrei eines Tieres an sich,
dem die Pfote überfahren worden ist. Und die
Kapelle voran, schwenkt eure Damen!
»Herrgott! Was hat er denn? – Was hat er
denn?« sagte Gervaise immer wieder, von
Bammel erfaßt.
Ein Assistenzarzt, ein dicker, blonder und
rosiger Bursche mit weißer
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