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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Schwein im Begriff war,
    in SainteAnne zu verrecken. Das Schreiben
    sagte das höflicher, bloß kam es auf dasselbe
    heraus. Ja, es war doch eine Dame, die
    Coupeau entführt hatte, und diese Dame hieß
    Sophie Augenbrecher, die letzte Geliebte der
    Säufer.
    Wahrlich, Gervaise ließ sich nicht aus der
    Ruhe bringen. Er kannte den Weg ja, er würde
    schon von allein aus dem Asyl
    zurückkommen; dort hatte man ihn so oft
    kuriert, daß man ihr einmal mehr den
    schlechten Schabernack spielen würde, ihn
    wieder auf die Beine zu bringen. Hatte sie
    denn nicht am Morgen eben erfahren, daß man
    Coupeau acht Tage lang voll wie eine
    Haubitze gesehen hatte, wie er sich in den
    Weinschenken von Belleville in Begleitung
    von MeineBotten herumgetrieben hatte!
    Jawohl, Meine Botten finanzierte das sogar; er
    mußte den verborgenen Schatz seiner Alten
    gekapert haben, Ersparnisse, die bei dem
    allgemein bekannten hübschen Spiel verdient
    worden waren. Na, da vertranken sie ja
    sauberes Geld, das imstande war, einem alle
    üblen Krankheiten aufzuhalsen! Um so besser,
    wenn sich Coupeau davon Leibschmerzen
    geholt hatte. Und Gervaise war besonders
    wütend, wenn sie daran dachte, daß diese
    beiden egoistischen Kerle nicht einmal daran
    gedacht hätten, sie abzuholen, um ihr ein
    Schnäpschen zu spendieren. Hat man so was
    schon erlebt! Acht Tage herumsumpfen und
    nicht eine Aufmerksamkeit den Damen
    gegenüber! Wenn man allein trinkt, verreckt
    man auch allein, jawohl!
    Als Gervaise jedoch am Montag ein gutes
    kleines Mahl zum Abend hatte, einen Rest
    Bohnen und eine halbe Flasche, verschaffte sie
    sich den Vorwand, daß ein Spaziergang ihren
    Appetit anregen würde. Der Brief vom Asyl
    auf der Kommode ärgerte sie. Der Schnee war
    geschmolzen, es herrschte unbestimmtes
    Wetter, grau und mild, mit einem lebhaften
    Untergrund in der Luft, der heiter stimmte. Sie
    brach mittags auf, denn der Weg war lang; sie
    mußte quer durch Paris gehen, und ihre Stelze
    blieb immer zurück. Dazu war ein
    Menschengedränge auf den Straßen; aber die
    Menschen machten ihr Spaß, sie kam in guter
    Stimmung nach SainteAnne. Als sie ihren
    Namen genannt hatte, erzählte man ihr eine
    tolle Geschichte: anscheinend hatte man
    Coupeau an der PontNeuf aus der Seine
    gefischt; er hatte sich über das
    Brückengeländer gestürzt, weil er einen
    bärtigen Mann zu sehen glaubte, der ihm den
    Weg versperrte. Ein schöner Sprung, nicht
    wahr? Und was die Frage betreffe, wie
    Coupeau auf die PontNeuf gekommen sei, so
    sei dies etwas, was er selber nicht erklären
    könne. Indessen führte ein Wärter Gervaise.
    Sie ging eine Treppe hinauf, als sie plötzlich
    Gebrüll hörte, das ihr eiskalt in die Knochen
    fuhr.
    »Der macht aber eine Musik, was?« meinte der
    Wärter.
    »Wer denn?« fragte sie.
    »Na, Ihr Mann! Seit vorgestern brüllt er so.
    Und er tanzt, Sie werden gleich sehen.«
    O Gott, was für ein Anblick! Sie stand
    erschüttert da. Die Zelle war von oben bis
    unten ausgepolstert; auf der Erde lagen zwei
    Strohmatten übereinander, und in einer Ecke
    waren eine Matratze und ein Keilkissen
    ausgebreitet, weiter nichts. Da drin tanzte und
    brüllte Coupeau. Ein richtiger Bettscheißer aus
    La Courtille, mit seinem zerfetzten Kittel und
    seinen Gliedern, die in der Luft
    herumfuchtelten; aber kein komischer
    Bettscheißer, o nein, ein Bettscheißer, dessen
    fürchterlicher Chahut einem alle Haare am
    Leibe zu Berge stehen ließ. Er war als
    Todeskandidat verkleidet. Verdammt noch
    mal! Was für ein Solotänzer! Er stieß gegen
    das Fenster, ging rückwärts wieder zurück, mit
    den Armen den Takt angebend, die Hände
    schüttelnd, als wolle er sie zerbrechen und den
    Leuten ins Gesicht schmeißen. In den
    Tanzkneipen trifft man Spaßmacher, die das
    nachahmen; bloß ahmen sie es schlecht nach,
    man muß sehen, wie bei diesem Rigaudon102
    der Säufer gehüpft wird, wenn man beurteilen
    will, was für einen Schick das bekommt, wenn
    es ganz im Ernst vorgeführt wird. Auch der
    Gesang hat sein eigenes Gepräge, ein
    ununterbrochenes Karnevalsgebrüll, ein weit
    aufgerissener Mund, der stundenlang dieselben
    Töne einer heiseren Posaune ausstößt.
    Coupeau hatte den Schrei eines Tieres an sich,
    dem die Pfote überfahren worden ist. Und die
    Kapelle voran, schwenkt eure Damen!
    »Herrgott! Was hat er denn? – Was hat er
    denn?« sagte Gervaise immer wieder, von
    Bammel erfaßt.
    Ein Assistenzarzt, ein dicker, blonder und
    rosiger Bursche mit weißer

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