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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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wie
    Kanonenkugeln; sie schwollen an, und sie
    magerten ab, bloß um ihn zu ärgern. Auf
    einmal schrie er:
    »Oh, die Ratten! Jetzt sind die Ratten da!«
    Das waren die Kugeln, die zu Ratten wurden.
    Diese dreckigen Tiere wurden fett, drangen
    durch das Netz, sprangen auf die Matratze, wo
    sie sich verflüchtigten. Es war auch ein Affe
    da, der aus der Wand herauskam, der wieder in
    die Wand zurücktrat, wobei er jedesmal so nah
    an Coupeau heranrückte, daß der zurückwich
    aus Angst, ihm werde die Nase abgebissen.
    Jäh wandelte sich das wiederum; die Wände
    mußten wohl Luftsprünge vollführen, denn
    von Wut und Grimm gewürgt, sagte er immer
    wieder:
    »Da haben wir's! Au, au! Verhaut mich, das ist
    mir schnuppe! – Au, au, die Bude! Au, au,
    eingestürzt! – Ja, läutet die Glocken, ihr
    Schwarzröcke! Spielt die Orgel, um mich
    daran zu hindern, die Wache zu rufen! – Und
    hinter der Wand haben sie eine Maschine
    aufgestellt, dieses Lumpenpack! Ich höre sie
    genau, sie rattert, sie wollen uns in die Luft
    sprengen ... Feuer! Himmelsakrament! Feuer!
    Es wird Feuer geschrien! Wie das da flammt!
    Oh, das wird hell, das wird hell! Der ganze
    Himmel brennt, rote Feuer, grüne Feuer, gelbe
    Feuer ... Hierher! Zu Hilfe! Feuer!« Seine
    Schreie verloren sich in einem Röcheln. Er
    brummelte nur noch zusammenhanglose
    Worte, hatte Schaum vor dem Mund, das Kinn
    naß von Speichel.
    Der Chefarzt rieb sich mit dem Finger die
    Nase, ein Tick, der ihm angesichts schwerer
    Fälle zweifellos zur Gewohnheit geworden
    war. Er drehte sich zu dem Assistenzarzt um
    und fragte ihn mit halber Stimme:
    »Und die Temperatur, immer noch vierzig
    Grad, nicht wahr?«
    »Ja, Herr Chefarzt.«
    Der Chefarzt zog einen Flunsch. Die Augen
    starr auf Coupeau geheftet, blieb er noch zwei
    Minuten da. Dann zuckte er die Achseln und
    setzte hinzu:
    »Die gleiche Behandlung, Fleischbrühe,
    Milch, Zitronenlimonade, schwacher
    Chinarindenextrakt löffelweise ... Bleiben Sie
    bei ihm, und lassen Sie mich rufen.«
    Er ging hinaus; Gervaise folgte ihm, um ihn zu
    fragen, ob keine Hoffnung mehr bestehe. Aber
    er schritt so schnell über den Korridor, daß sie
    ihn nicht anzusprechen wagte. Sie blieb einen
    Augenblick dort aufgepflanzt stehen und
    zögerte, wieder hineinzugehen und ihren Mann
    zu sehen. Die Vorstellung schien ihr so schon
    schwer genug zu ertragen. Als sie ihn noch
    dazu schreien hörte, daß die Limonade nach
    Branntwein schmecke, wahrhaftig, da machte
    sie sich aus dem Staube, weil sie genug hatte
    von einer Vorstellung. Das Galoppieren der
    Pferde und das Rumpeln der Wagen ließen sie
    auf der Straße glauben, das ganze Hospital sei
    ihr auf den Fersen. Und dieser Arzt, der ihr
    gedroht hatte! Wahrhaftig, sie glaubte schon,
    die Krankheit zu haben.
    Natürlich warteten in der Rue de la Goutted'Or
    die Boches und die anderen auf sie. Sobald sie
    in der Toreinfahrt auftauchte, rief man sie in
    die Conciergeloge. Na und, hielt es Vater
    Coupeau denn immer noch aus? Mein Gott, ja,
    er halte es immer noch aus. Boche schien
    verdutzt und bestürzt zu sein: er hatte um
    einen Liter gewettet, daß Vater Coupeau nicht
    bis zum Abend machen würde. Wie, er hielt es
    noch immer aus! Und die ganze Gesellschaft
    staunte und schlug sich auf die Schenkel. War
    das ein widerstandsfähiger Kerl! Frau
    Lorilleux rechnete die Stunden aus;
    sechsunddreißig Stunden und vierundzwanzig
    Stunden, sechzig Stunden. Du heiliges
    Donnerwetter! Sechzig Stunden spielte er
    schon mit den Stelzen und dem Maul! Solch
    ein Kraftstück hatte man noch nie erlebt. Aber
    Boche, der wegen seines Liters gezwungen
    lachte, fragte Gervaise mit zweifelnder Miene
    aus und wollte wissen, ob sie ganz sicher wäre,
    daß er nicht hinter ihrem Rücken abgekratzt
    sei. O nein, er hüpfte zu sehr umher, danach
    habe er kein Verlangen. Da bat Boche sie, der
    nicht lockerließ, ein bißchen so zu machen,
    wie er es mache, damit man es mal sehe. Ja, ja,
    noch mal ein bißchen, auf allgemeinen
    Wunsch! Die Gesellschaft sagte zu ihr, das
    wäre sehr nett von ihr, denn es seien gerade
    zwei Nachbarinnen da, die es gestern nicht
    gesehen hätten und die eben extra
    heruntergekommen seien, um der Darbietung
    beizuwohnen. Die Concierge rief dem Besuch
    zu, Platz zu machen, und die Leute räumten
    die Mitte der Loge, wobei sie vor Neugier
    bebten und sich mit den Ellbogen anstießen.
    Gervaise allerdings senkte den Kopf. Wirklich,
    sie fürchtete, sich krank zu machen. Da sie
    beweisen

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