Der Todschlaeger
vergelten, stieg
Gervaise in die enge Kammer unter dem Dach
hinauf, in der er schlief, sah seine
Kleidungsstücke durch, nähte Knöpfe an die
blauen Arbeitshosen, besserte die
Leinenjacken aus. Zwischen ihnen entstand
große Vertraulichkeit. Wenn er da war,
langweilte sie sich nicht, hatte ihren Spaß an
den Flausen, die er mitbrachte, an jenem
ständigen Ulk der Pariser Vorstädte, der noch
ganz neu für sie war. Da er jederzeit um ihre
Röcke herum war, fing er immer mehr Feuer.
Es hatte ihn erwischt, und zwar tüchtig! Das
bedrückte ihn schließlich. Er lachte immer
noch, aber im Magen war es ihm so
unbehaglich, so beengt, daß er das nicht mehr
spaßig fand. Die Dummheiten gingen weiter,
er konnte ihr nicht begegnen, ohne ihr
zuzurufen: »Wann ist's soweit?« Sie wußte,
was er damit sagen wollte, und versprach es
für den Nimmermehrstag. Dann neckte er sie,
ging zu ihr mit seinen Pantoffeln in der Hand,
als wolle er einziehen. Sie scherzte darüber,
verbrachte den Tag ausgezeichnet und ohne
jedes Erröten bei den ständigen zotenhaften
Anspielungen, mit denen er sie umgab.
Vorausgesetzt, daß er nicht brutal wurde, sah
sie ihm alles nach. Nur eines Tages wurde sie
böse, als er ihr Haare ausgerissen hatte, weil er
ihr gewaltsam einen Kuß rauben wollte.
In den letzten Junitagen verlor Coupeau seine
Heiterkeit. Er wurde ganz komisch.
Beunruhigt durch gewisse Blicke,
verbarrikadierte sich Gervaise nachts. Nach
einem Schmollen, das von Sonntag bis
Dienstag gedauert hatte, klopfte er dann auf
einmal Dienstagabend gegen elf Uhr bei ihr.
Sie wollte ihm nicht aufmachen, aber seine
Stimme klang so sanft und so zitternd, daß sie
schließlich die vor die Tür geschobene
Kommode wegrückte.
Als er eingetreten war, glaubte sie, er sei
krank, so blaß kam er ihr vor mit den geröteten
Augen, dem fleckigen Gesicht. Und er blieb
stehen, stammelte und schüttelte den Kopf.
Nein, nein, er sei nicht krank. Seit zwei
Stunden weine er oben in seiner Stube; er
weine wie ein Kind und beiße dabei in sein
Kopfkissen, damit die Nachbarn ihn nicht
hörten. Drei Nächte schlafe er nun nicht mehr.
Das könne nicht so weitergehen.
»Hören Sie, Madame Gervaise«, sagte er mit
zugeschnürter Kehle, nahe daran, daß ihn
wieder die Tränen überkamen, »der Sache
muß ein Ende gemacht werden, nicht wahr? –
Wir werden heiraten. Ich möchte gern, ich bin
entschlossen.«
Gervaise legte große Überraschung an den
Tag. Sie war sehr ernst.
»Oh, Herr Coupeau«, murmelte sie, »wie
kommen Sie denn darauf? Ich habe das nie
von Ihnen verlangt, das wissen Sie genau ...
Das kam mir nicht zu, das ist alles ... Oh, nein,
nein, jetzt ist es ernst, überlegen Sie es sich,
ich bitte Sie.«
Aber er schüttelte weiterhin mit einer Miene
unerschütterlicher Entschlossenheit den Kopf.
Es sei alles überlegt. Er sei
heruntergekommen, weil er es nötig habe,
endlich mal eine gute Nacht zu verbringen. Sie
werde ihn doch nicht etwa wieder hinaufgehen
und weinen lassen! Sobald sie ja gesagt habe,
werde er sie nicht mehr quälen, könne sie
ruhig schlafen gehen. Er wolle bloß hören, wie
sie ja sage. Reden könne man morgen.
»Ich sage bestimmt nicht so ohne weiteres ja«,
erwiderte Gervaise. »Ich lege keinen Wert
darauf, daß Sie mich später beschuldigen, ich
hätte Sie dazu getrieben, eine Dummheit zu
begehen ... Sehen Sie, Herr Coupeau, es ist
nicht recht von Ihnen, so starrköpfig zu sein.
Sie wissen ja selber nicht, was Sie für mich
empfinden. Würden Sie mir acht Tage nicht
begegnen, so würde Ihnen das vergehen, wette
ich. Die Männer heiraten oft wegen einer
Nacht, wegen der ersten Nacht nämlich, dann
folgt Nacht auf Nacht, die Tage ziehen sich
das ganze Leben über in die Länge, und dann
sind die Männer ganz schön angeödet ...
Setzen Sie sich dort hin, ich will lieber gleich
reden.«
Alsdann erörterten sie bis ein Uhr morgens in
der finsteren Stube beim qualmenden Licht
einer Kerze, die sie zu putzen vergaßen, ihre
Heirat, wobei sie die Stimme senkten, um die
beiden Kinder, Claude und Etienne, nicht zu
wecken, die mit ihrem leisen Atem auf
demselben Kopfkissen schliefen. Und
Gervaise kam immer wieder auf sie zu
sprechen, zeigte sie Coupeau; das sei ja eine
komische Mitgift, die sie ihm bringe, sie
könne ihm wirklich nicht zwei Bälger
aufbürden. Außerdem schäme sie sich für ihn.
Was solle man denn im Viertel sagen? Man
habe sie mit
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