Der Todschlaeger
nicht
gewohnt, Treppen zu steigen. Diese Mauer,
die immer rundherum ging, flüchtig gesehene
Wohnungen, die vorüberzogen, brachten ihr
schier den Schädel zum Platzen. Außerdem
versperrte eine Familie den Treppenabsatz; der
Vater wusch auf einem kleinen Kachelherd
neben dem Ausgußbecken Teller ab, während
die am Geländer lehnende Mutter den
Säugling säuberte, bevor sie ihn zu Bett
brachte. Coupeau machte der jungen Frau
jedoch Mut. Sie waren fast angelangt. Und als
er endlich im sechsten Stock war, wandte er
sich um, um ihr mit einem Lächeln
beizustehen. Mit erhobenem Kopf suchte sie
zu ergründen, woher ein dünnes Stimmchen
kommen mochte, dem sie von der ersten Stufe
an lauschte, das hell und durchdringend war
und die anderen Geräusche übertönte. Das war
eine kleine alte Frau unter dem Dach, die sang
und dabei Puppen zu dreizehn Sous ankleidete.
Außerdem sah Gervaise in dem Augenblick,
als ein großes Mädchen mit einem Eimer in
eine anstoßende Stube zurückkehrte, ein nicht
gemachtes Bett, auf dem ein Mann in
Hemdsärmeln, den Blick nach oben gerichtet,
hingesielt wartete. An der wieder
geschlossenen Tür war auf einer
handgeschriebenen Visitenkarte zu lesen:
»Mademoiselle Clémence, Plätterin.« Da
überkam Gervaise, deren Beine wie
zerschlagen waren und der der Atem wegblieb,
ganz oben die Neugier, sich über das Geländer
zu beugen; nun war es die Gaslampe unten, die
auf dem Grunde des engen Schachtes der
sechs Stockwerke wie ein Stern wirkte. Die
Gerüche und das ungeheuere und grollende
Leben des Hauses drangen in einem einzigen
Atem zu ihr herauf, schlugen mit einem
Gluthauch in ihr unruhiges Gesicht, das sich
dort wie am Rande eines Abgrunds vorwagte.
»Wir sind noch nicht angelangt«, sagte
Coupeau. »Oh, es ist eine richtige Reise!«
Er hatte sich nach links in einen langen Gang
gewandt. Zweimal bog er ab, das erstemal
wiederum nach links, das zweitemal nach
rechts. Der Gang zog sich immer länger hin,
gabelte sich, war enger und rissig geworden
und sein Putz abgebröckelt und wurde dann
und wann von einer dünnen Gasflamme
erhellt. Und die einförmigen Türen, die sich
aneinanderreihten wie Gefängnis oder
Klostertüren, zeigten, fast alle weit geöffnet,
weiterhin Häuslichkeiten voller Elend und
Arbeit, die der warme Juniabend mit
rotgelbem Wrasen erfüllte. Schließlich
gelangten sie an das Ende eines völlig
finsteren Flurs.
»Wir sind da«, meinte der Bauklempner.
»Vorsicht! Hallen Sie sich an der Wand fest,
da sind drei Stufen.«
Und vorsichtig machte Gervaise in der
Dunkelheit noch etwa zehn Schritte. Sie
stolperte, zählte die drei Stufen ab. Aber
Coupeau hatte soeben hinten im Flur eine Tür
aufgestoßen, ohne anzuklopfen. Ein greller
Lichtschein breitete sich auf dem mit Fliesen
belegten Fußboden aus. Sie traten ein.
Es war ein äußerst enger Raum, eine Art
Schlauch, der die Verlängerung des
eigentlichen Ganges zu sein schien. Ein
verschossener Wollvorhang, der in diesem
Augenblick von einer Schnur hochgehalten
wurde, trennte den Schlauch in zwei Teile. Die
erste Abteilung enthielt ein Bett, das in einen
Winkel unter die abgeschrägte Decke
geschoben worden war, einen vom
Abendessen noch lauwarmen gußeisernen
Ofen, zwei Stühle, einen Tisch und einen
Schrank, dessen Aufsatz hatte abgesägt
werden müssen, damit er zwischen Bett und
Tür Platz finden konnte. In der zweiten
Abteilung war die Werkstatt eingerichtet: im
Hintergrund eine schmale Schmiede mit ihrem
Blasebalg, rechts ein an der Wand mit
eingegossenen Klammern befestigter
Schraubstock unter einem Regal, auf dem
Eisenkram herumlag, links beim Fenster ein
ganz kleiner Werktisch, der mit Zangen,
großen Scheren und winzig kleinen Sägen, alle
schmierig und sehr schmutzig, überhäuft war.
»Wir sind's!« rief Coupeau und trat bis an den
Wollvorhang vor.
Aber es kam nicht sofort eine Antwort. Heftig
aufgeregt und vor allem von der Vorstellung
bewegt, daß sie einen Ort voller Gold betreten
sollte, hielt sich Gervaise hinter dem Arbeiter,
wobei sie stammelte und zur Begrüßung
mehrmals mit dem Kopf zu wackeln wagte.
Die starke Helligkeit – eine auf dem Werktisch
brennende Lampe, eine in der Schmiede
lodernde Kohlenglut – steigerte ihre
Verwirrung noch. Aber schließlich sah sie
Frau Lorilleux, die klein, rothaarig und
ziemlich beleibt war und mit der ganzen Kraft
ihrer kurzen Arme mit Hilfe einer großen
Zange
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