Der Todschlaeger
daß das weit weniger schlecht
rieche als das Hotel Boncœur. Und sie suchte
sich schon ihr Fenster aus, ein Fenster im
zurückspringenden Mauerwinkel links, an dem
sich ein kleiner Kasten befand, der mit
Feuerbohnen bepflanzt war, deren dünne
Stengel sich um ein Gitterwerk aus Fäden zu
ranken begannen.
»Ich habe Sie warten lassen, was?« sagte
Coupeau, den sie mit einemmal neben sich
hörte. »Das ist so eine Geschichte, wenn ich
nicht bei ihnen esse, zumal meine Schwester
heute Kalbfleisch gekauft hat.« Und da
Gervaise vor Überraschung leicht
zusammengezuckt war, fuhr er fort, während
er nun die Blicke umherschweifen ließ: »Sie
haben sich das Haus angesehen. Es ist immer
von oben bis unten vermietet. Dreihundert
Mieter sind es, glaube ich ... Wenn ich Möbel
hätte, wäre ich scharf auf eine Kammer ... Man
würde sich hier ganz wohl fühlen, nicht
wahr?«
»Ja, man würde sich ganz wohl fühlen«,
murmelte Gervaise. »In Plassans war unsere
Straße nicht so bewohnt ... Sehen Sie mal, das
ist doch nett da, dieses Fenster im fünften
Stock mit den Bohnen.«
Da fragte er sie mit seiner Starrköpfigkeit
nochmals, ob sie wolle. Sobald sie ein Bett
hätten, würden sie sich hier einmieten. Aber
sie entfloh, sie hastete unter die Toreinfahrt
und bat ihn dabei, nicht wieder mit seinen
Dummheiten anzufangen. Und wenn das Haus
einstürze, sie werde bestimmt nicht unter
derselben Decke wie er schlafen. Doch als sich
Coupeau vor Frau Fauconniers Werkstatt von
ihr trennte, konnte er ihre Hand, die sie ihm in
aller Freundschaft überließ, eine Weile in der
seinen halten.
Einen Monat lang dauerten die guten
Beziehungen zwischen der jungen Frau und
dem Bauklempner an. Er fand sie ganz schön
tüchtig, wenn er sah, wie sie sich abrackerte,
für die Kinder sorgte und es noch ermöglichte,
abends an allerlei altem Zeug herumzunähen.
Es gebe unsaubere, leichtfertige, naschhafte
Frauen, aber – zum Donnerwetter! – denen
gleiche sie kaum, sie nehme das Leben viel zu
ernst!
Da lachte sie und wehrte bescheiden ab. Zu
ihrem Unglück sei sie nicht immer so brav
gewesen. Und sie spielte auf ihre erste
Niederkunft mit erst vierzehn Jahren an, sie
kam wieder auf die Liter Anisette zu sprechen,
die sie einst mit ihrer Mutter ausgetrunken
hatte. Die Erfahrung habe sie ein wenig
zurechtgerückt, das sei alles. Man habe
unrecht, wenn man glaube, sie verfüge über
einen starken Willen; im Gegenteil, sie sei sehr
schwach; aus Furcht, jemandem Kummer zu
verursachen, lasse sie sich treiben, wohin man
sie stoße. Ihr Traum sei, in anständiger
Gesellschaft zu leben, weil schlechte
Gesellschaft, wie sie sagte, wie ein Hieb mit
dem Totschläger sei, so was schlage einem den
Schädel ein, so was haue eine Frau im Nu um.
Sie fühle, wie ihr angesichts der Zukunft der
Schweiß ausbreche, und verglich sich mit
einem in die Luft geworfenen Sou, der, wie es
das Pflaster gerade wolle, auf Kopf oder
Wappen falle. Alles, was sie schon erlebt habe,
die vor ihren Kinderaugen zur Schau gestellten
schlechten Beispiele, all das habe ihr eine
tüchtige Lehre erteilt.
Aber Coupeau zog sie wegen ihrer düsteren
Gedanken auf, gab ihr ihren ganzen Mut
wieder, wobei er versuchte, sie in die Hüften
zu kneifen. Sie stieß ihn zurück, verabfolgte
ihm Klapse auf die Hände, während er lachend
rief, für eine schwache Frau sei sie aber gar
nicht bequem im Sturm zu nehmen. Er, der ein
lustiger Bruder sei, schere sich nicht um die
Zukunft. Ein Tag folge dem anderen, weiß
Gott! Ein Nest und Futter werde man ja wohl
immer haben. Das Stadtviertel komme ihm
sauber vor, abgesehen von einer guten Hälfte
Säufer, von denen man die Rinnsteine hätte
säubern können. Er war kein übler Kerl, hielt
manchmal sehr vernünftige Reden, war sogar
ein bißchen eitel, hatte einen sorgfältig
gezogenen Scheitel an der Seite des Kopfes,
hübsche Krawatten und ein Paar Lackschuhe
für den Sonntag. Dazu die Gewandtheit und
Unverfrorenheit eines Affen, die spöttische
Spaßhaftigkeit eines Pariser Arbeiters, ein
freches Mundwerk, was bei seiner jungen
Fratze reizend wirkte.
Beide erwiesen sich schließlich eine Menge
Gefälligkeiten im Hotel Boncœur. Coupeau
holte ihr ihre Milch, übernahm ihre
Besorgungen, trug ihre Wäschebündel; da er
als erster von der Arbeit heimkam, führte er
abends oft die Kinder auf dem äußeren
Boulevard spazieren. Um ihm seine
Aufmerksamkeiten zu
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