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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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daß das weit weniger schlecht
    rieche als das Hotel Boncœur. Und sie suchte
    sich schon ihr Fenster aus, ein Fenster im
    zurückspringenden Mauerwinkel links, an dem
    sich ein kleiner Kasten befand, der mit
    Feuerbohnen bepflanzt war, deren dünne
    Stengel sich um ein Gitterwerk aus Fäden zu
    ranken begannen.
    »Ich habe Sie warten lassen, was?« sagte
    Coupeau, den sie mit einemmal neben sich
    hörte. »Das ist so eine Geschichte, wenn ich
    nicht bei ihnen esse, zumal meine Schwester
    heute Kalbfleisch gekauft hat.« Und da
    Gervaise vor Überraschung leicht
    zusammengezuckt war, fuhr er fort, während
    er nun die Blicke umherschweifen ließ: »Sie
    haben sich das Haus angesehen. Es ist immer
    von oben bis unten vermietet. Dreihundert
    Mieter sind es, glaube ich ... Wenn ich Möbel
    hätte, wäre ich scharf auf eine Kammer ... Man
    würde sich hier ganz wohl fühlen, nicht
    wahr?«
    »Ja, man würde sich ganz wohl fühlen«,
    murmelte Gervaise. »In Plassans war unsere
    Straße nicht so bewohnt ... Sehen Sie mal, das
    ist doch nett da, dieses Fenster im fünften
    Stock mit den Bohnen.«
    Da fragte er sie mit seiner Starrköpfigkeit
    nochmals, ob sie wolle. Sobald sie ein Bett
    hätten, würden sie sich hier einmieten. Aber
    sie entfloh, sie hastete unter die Toreinfahrt
    und bat ihn dabei, nicht wieder mit seinen
    Dummheiten anzufangen. Und wenn das Haus
    einstürze, sie werde bestimmt nicht unter
    derselben Decke wie er schlafen. Doch als sich
    Coupeau vor Frau Fauconniers Werkstatt von
    ihr trennte, konnte er ihre Hand, die sie ihm in
    aller Freundschaft überließ, eine Weile in der
    seinen halten.
    Einen Monat lang dauerten die guten
    Beziehungen zwischen der jungen Frau und
    dem Bauklempner an. Er fand sie ganz schön
    tüchtig, wenn er sah, wie sie sich abrackerte,
    für die Kinder sorgte und es noch ermöglichte,
    abends an allerlei altem Zeug herumzunähen.
    Es gebe unsaubere, leichtfertige, naschhafte
    Frauen, aber – zum Donnerwetter! – denen
    gleiche sie kaum, sie nehme das Leben viel zu
    ernst!
    Da lachte sie und wehrte bescheiden ab. Zu
    ihrem Unglück sei sie nicht immer so brav
    gewesen. Und sie spielte auf ihre erste
    Niederkunft mit erst vierzehn Jahren an, sie
    kam wieder auf die Liter Anisette zu sprechen,
    die sie einst mit ihrer Mutter ausgetrunken
    hatte. Die Erfahrung habe sie ein wenig
    zurechtgerückt, das sei alles. Man habe
    unrecht, wenn man glaube, sie verfüge über
    einen starken Willen; im Gegenteil, sie sei sehr
    schwach; aus Furcht, jemandem Kummer zu
    verursachen, lasse sie sich treiben, wohin man
    sie stoße. Ihr Traum sei, in anständiger
    Gesellschaft zu leben, weil schlechte
    Gesellschaft, wie sie sagte, wie ein Hieb mit
    dem Totschläger sei, so was schlage einem den
    Schädel ein, so was haue eine Frau im Nu um.
    Sie fühle, wie ihr angesichts der Zukunft der
    Schweiß ausbreche, und verglich sich mit
    einem in die Luft geworfenen Sou, der, wie es
    das Pflaster gerade wolle, auf Kopf oder
    Wappen falle. Alles, was sie schon erlebt habe,
    die vor ihren Kinderaugen zur Schau gestellten
    schlechten Beispiele, all das habe ihr eine
    tüchtige Lehre erteilt.
    Aber Coupeau zog sie wegen ihrer düsteren
    Gedanken auf, gab ihr ihren ganzen Mut
    wieder, wobei er versuchte, sie in die Hüften
    zu kneifen. Sie stieß ihn zurück, verabfolgte
    ihm Klapse auf die Hände, während er lachend
    rief, für eine schwache Frau sei sie aber gar
    nicht bequem im Sturm zu nehmen. Er, der ein
    lustiger Bruder sei, schere sich nicht um die
    Zukunft. Ein Tag folge dem anderen, weiß
    Gott! Ein Nest und Futter werde man ja wohl
    immer haben. Das Stadtviertel komme ihm
    sauber vor, abgesehen von einer guten Hälfte
    Säufer, von denen man die Rinnsteine hätte
    säubern können. Er war kein übler Kerl, hielt
    manchmal sehr vernünftige Reden, war sogar
    ein bißchen eitel, hatte einen sorgfältig
    gezogenen Scheitel an der Seite des Kopfes,
    hübsche Krawatten und ein Paar Lackschuhe
    für den Sonntag. Dazu die Gewandtheit und
    Unverfrorenheit eines Affen, die spöttische
    Spaßhaftigkeit eines Pariser Arbeiters, ein
    freches Mundwerk, was bei seiner jungen
    Fratze reizend wirkte.
    Beide erwiesen sich schließlich eine Menge
    Gefälligkeiten im Hotel Boncœur. Coupeau
    holte ihr ihre Milch, übernahm ihre
    Besorgungen, trug ihre Wäschebündel; da er
    als erster von der Arbeit heimkam, führte er
    abends oft die Kinder auf dem äußeren
    Boulevard spazieren. Um ihm seine
    Aufmerksamkeiten zu

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