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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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wirkliche
    Autorität her. Coupeau hätte nicht zu heiraten
    gewagt, ohne daß vor allem ihnen seine Frau
    recht gewesen wäre.
    »Ich habe mit ihnen über Sie gesprochen, sie
    kennen unsere Pläne«, erklärte er Gervaise.
    »Mein Gott! Sind Sie ein Kind! Kommen Sie
    heute abend mit ... Ich habe Sie ja gewarnt,
    nicht wahr? Sie werden meine Schwester ein
    bißchen steif finden. Lorilleux ist auch nicht
    immer liebenswürdig. Im Grunde sind sie sehr
    verärgert, weil ich nicht mehr bei ihnen essen
    werde, wenn ich heirate, und das bedeutet, daß
    sie etwas weniger sparen. Aber das macht
    nichts, sie werden Sie nicht vor die Tür
    setzen ... Tun Sie es mir zuliebe, es ist
    unbedingt erforderlich.«
    Diese Worte erschreckten Gervaise noch mehr.
    Eines Sonnabendabends jedoch gab sie nach.
    Coupeau holte sie um halb neun Uhr ab. Sie
    hatte sich fein angezogen: ein schwarzes
    Kleid, dazu einen mit gelben Palmen
    bedruckten Wollmusselinschal und eine mit
    billiger Spitze besetzte weiße Haube. In den
    sechs Wochen, die sie arbeitete, hatte sie die
    sieben Francs für den Schal und die zwei
    Francs fünfzig für die Haube gespart; das
    Kleid war ein gereinigtes und umgearbeitetes
    altes Kleid.
    »Sie erwarten Sie«, sagte Coupeau zu ihr,
    während sie durch die Rue des Poissonniers
    gingen. »Oh, sie beginnen sich an den
    Gedanken zu gewöhnen, mich verheiratet
    zusehen. Heute abend sind sie sehr nett ... Und
    wenn Sie übrigens noch nie gesehen haben,
    wie goldene Ketten gemacht werden, so wird
    es Ihnen Spaß machen, dabei zuzuschauen. Sie
    haben gerade einen Eilauftrag für Montag.«
    »Sie haben Gold bei sich zu Hause?« fragte
    Gervaise.
    »Das will ich meinen, an den Wänden ist
    welches, auf dem Fußboden ist welches,
    überall ist welches.«
    Inzwischen waren sie durch das runde Tor
    gegangen und hatten den Hof überquert. Die
    Lorilleux wohnten im sechsten Stock, Aufgang
    B. Coupeau rief Gervaise lachend zu, sie solle
    sich am Geländer festhalten und es nicht mehr
    loslassen. Sie blickte empor und blinzelte, als
    sie den hohen, hohlen Turm des
    Treppenhauses gewahrte, der von drei
    Gaslampen beleuchtet wurde, also jeweils
    zwei Stockwerke von einer; die letzte ganz
    oben sah aus wie ein leise zitternder Stern an
    einem schwarzen Himmel, während die
    anderen beiden längs der endlosen Spirale der
    Stufen einen langen, seltsam gezackten
    Lichtschein warfen.
    »Na«, sagte der Bauklempner, als er auf dem
    Treppenabsatz des ersten Stocks anlangte, »es
    riecht ganz schön nach Zwiebelsuppe. Sicher
    haben sie hier Zwiebelsuppe gegessen.«
    In der Tat war der graue, schmutzige Aufgang
    B, dessen Geländer und Stufen schmierig
    waren und dessen zerschrammte Wände den
    Gips sehen ließen, noch von heftigem
    Küchengeruch erfüllt. Auf jedem
    Treppenabsatz drangen vom Lärm
    widerhallende Gänge in die Tiefe vor, öffneten
    sich gelbgestrichene Türen, die am Schloß
    schwarz geworden waren vom Schmutz der
    Hände, und in Höhe des Fensters wehte das
    Abflußbecken übelriechende Feuchtigkeit
    herein, deren Gestank sich mit dem scharfen
    Geruch der gebratenen Zwiebel vermischte.
    Vom Erdgeschoß bis zum sechsten Stock hörte
    man das Klappern von Geschirr, von
    Schmorpfannen, mit denen im Wasser
    herumgepantscht wurde, von Kasserollen, die
    man mit Löffeln auskratzte, um sie dann zu
    scheuern. Im ersten Stock gewahrte Gervaise
    durch eine halboffene Tür; auf der in dicken
    Buchstaben das Wort »Zeichner« geschrieben
    stand, zwei Männer, die an einem abgeräumten
    Tisch mit Wachstuchdecke saßen und inmitten
    des Rauches ihrer Pfeifen ungestüm
    aufeinander einredeten. Der zweite und dritte
    Stock, in denen es ruhiger war, ließen durch
    die Ritzen der Holzverkleidungen lediglich die
    taktmäßige Bewegung einer Wiege, das
    erstickte Weinen eines Kindes und die grobe
    Stimme einer Frau dringen, die ohne deutliche
    Worte mit dem dumpf en Rauschen fließenden
    Wassers dahinströmte. Und Gervaise konnte
    angenagelte Kärtchen lesen, auf denen Namen
    standen: »Madame Gaudron, Wollkämmerin«;
    und etwas weiter: »Herr Madinier,
    Kartonnagenwerkstatt«. Im vierten Stock
    prügelte man sich: ein Gestampfe, von dem
    der Fußboden erzitterte, umgeworfene Möbel,
    ein entsetzlicher Krach von Flüchen und
    Schlägen, was die Nachbarn von gegenüber
    nicht davon abhielt, Karten zu spielen, und
    zwar bei offener Tür, um Luft hereinzulassen.
    Als Gervaise jedoch im fünften Stock war,
    mußte sie verschnaufen; sie war es

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