Der Todschlaeger
wirkliche
Autorität her. Coupeau hätte nicht zu heiraten
gewagt, ohne daß vor allem ihnen seine Frau
recht gewesen wäre.
»Ich habe mit ihnen über Sie gesprochen, sie
kennen unsere Pläne«, erklärte er Gervaise.
»Mein Gott! Sind Sie ein Kind! Kommen Sie
heute abend mit ... Ich habe Sie ja gewarnt,
nicht wahr? Sie werden meine Schwester ein
bißchen steif finden. Lorilleux ist auch nicht
immer liebenswürdig. Im Grunde sind sie sehr
verärgert, weil ich nicht mehr bei ihnen essen
werde, wenn ich heirate, und das bedeutet, daß
sie etwas weniger sparen. Aber das macht
nichts, sie werden Sie nicht vor die Tür
setzen ... Tun Sie es mir zuliebe, es ist
unbedingt erforderlich.«
Diese Worte erschreckten Gervaise noch mehr.
Eines Sonnabendabends jedoch gab sie nach.
Coupeau holte sie um halb neun Uhr ab. Sie
hatte sich fein angezogen: ein schwarzes
Kleid, dazu einen mit gelben Palmen
bedruckten Wollmusselinschal und eine mit
billiger Spitze besetzte weiße Haube. In den
sechs Wochen, die sie arbeitete, hatte sie die
sieben Francs für den Schal und die zwei
Francs fünfzig für die Haube gespart; das
Kleid war ein gereinigtes und umgearbeitetes
altes Kleid.
»Sie erwarten Sie«, sagte Coupeau zu ihr,
während sie durch die Rue des Poissonniers
gingen. »Oh, sie beginnen sich an den
Gedanken zu gewöhnen, mich verheiratet
zusehen. Heute abend sind sie sehr nett ... Und
wenn Sie übrigens noch nie gesehen haben,
wie goldene Ketten gemacht werden, so wird
es Ihnen Spaß machen, dabei zuzuschauen. Sie
haben gerade einen Eilauftrag für Montag.«
»Sie haben Gold bei sich zu Hause?« fragte
Gervaise.
»Das will ich meinen, an den Wänden ist
welches, auf dem Fußboden ist welches,
überall ist welches.«
Inzwischen waren sie durch das runde Tor
gegangen und hatten den Hof überquert. Die
Lorilleux wohnten im sechsten Stock, Aufgang
B. Coupeau rief Gervaise lachend zu, sie solle
sich am Geländer festhalten und es nicht mehr
loslassen. Sie blickte empor und blinzelte, als
sie den hohen, hohlen Turm des
Treppenhauses gewahrte, der von drei
Gaslampen beleuchtet wurde, also jeweils
zwei Stockwerke von einer; die letzte ganz
oben sah aus wie ein leise zitternder Stern an
einem schwarzen Himmel, während die
anderen beiden längs der endlosen Spirale der
Stufen einen langen, seltsam gezackten
Lichtschein warfen.
»Na«, sagte der Bauklempner, als er auf dem
Treppenabsatz des ersten Stocks anlangte, »es
riecht ganz schön nach Zwiebelsuppe. Sicher
haben sie hier Zwiebelsuppe gegessen.«
In der Tat war der graue, schmutzige Aufgang
B, dessen Geländer und Stufen schmierig
waren und dessen zerschrammte Wände den
Gips sehen ließen, noch von heftigem
Küchengeruch erfüllt. Auf jedem
Treppenabsatz drangen vom Lärm
widerhallende Gänge in die Tiefe vor, öffneten
sich gelbgestrichene Türen, die am Schloß
schwarz geworden waren vom Schmutz der
Hände, und in Höhe des Fensters wehte das
Abflußbecken übelriechende Feuchtigkeit
herein, deren Gestank sich mit dem scharfen
Geruch der gebratenen Zwiebel vermischte.
Vom Erdgeschoß bis zum sechsten Stock hörte
man das Klappern von Geschirr, von
Schmorpfannen, mit denen im Wasser
herumgepantscht wurde, von Kasserollen, die
man mit Löffeln auskratzte, um sie dann zu
scheuern. Im ersten Stock gewahrte Gervaise
durch eine halboffene Tür; auf der in dicken
Buchstaben das Wort »Zeichner« geschrieben
stand, zwei Männer, die an einem abgeräumten
Tisch mit Wachstuchdecke saßen und inmitten
des Rauches ihrer Pfeifen ungestüm
aufeinander einredeten. Der zweite und dritte
Stock, in denen es ruhiger war, ließen durch
die Ritzen der Holzverkleidungen lediglich die
taktmäßige Bewegung einer Wiege, das
erstickte Weinen eines Kindes und die grobe
Stimme einer Frau dringen, die ohne deutliche
Worte mit dem dumpf en Rauschen fließenden
Wassers dahinströmte. Und Gervaise konnte
angenagelte Kärtchen lesen, auf denen Namen
standen: »Madame Gaudron, Wollkämmerin«;
und etwas weiter: »Herr Madinier,
Kartonnagenwerkstatt«. Im vierten Stock
prügelte man sich: ein Gestampfe, von dem
der Fußboden erzitterte, umgeworfene Möbel,
ein entsetzlicher Krach von Flüchen und
Schlägen, was die Nachbarn von gegenüber
nicht davon abhielt, Karten zu spielen, und
zwar bei offener Tür, um Luft hereinzulassen.
Als Gervaise jedoch im fünften Stock war,
mußte sie verschnaufen; sie war es
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