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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Sonnabend,
    dem 29. Juli, statt. Ich habe das nach dem
    Kalender ausgerechnet. Abgemacht? Paßt es
    euch?«
    »Oh, uns paßt es immer«, sagte seine
    Schwester. »Du hättest uns nicht um unsere
    Meinung zu fragen brauchen ... Ich werde
    meinen Mann nicht daran hindern, Zeuge zu
    sein. Ich will Frieden haben.«
    Da Gervaise, die den Kopf gesenkt hielt, nicht
    mehr wußte, womit sie sich beschäftigen
    sollte, hatte sie die Spitze ihres Fußes in eine
    Raute des hölzernen Lattenrostes gesteckt, mit
    dem der Fliesenboden der Werkstatt bedeckt
    war; dann hatte sie sich aus Angst, daß sie
    irgend etwas verrückt haben könnte, als sie ihn
    wieder herauszog, gebückt und tastete mit der
    Hand umher.
    Schnell brachte Lorilleux die Lampe herbei.
    Und voller Mißtrauen untersuchte er ihr die
    Finger.
    »Man muß achtgeben«, sagte er, »die kleinen
    Goldstückchen, die bleiben an den Schuhen
    kleben und werden fortgeschleppt, ohne daß
    man es weiß.«
    Das gab eine große Geschichte. Die
    Arbeitgeber gewährten kein Milligramm
    Abfall. Und er zeigte die Hasenpfote, mit der
    er die auf dem Feilnagel zurückgebliebenen
    Goldteilchen abbürstete, und das auf seinen
    Knien ausgebreitete Brettfell, das dort lag, um
    sie aufzufangen. Zweimal in der Woche fegte
    man die Werkstatt sorgfältig aus, man
    bewahrte den Kehricht auf, man verbrannte
    ihn, man siebte die Asche, in der man
    monatlich bis zu fünfundzwanzig und dreißig
    Francs an Gold fand.
    Frau Lorilleux ließ Gervaises Schuhe nicht aus
    den Augen.
    »Aber deswegen braucht man nicht böse zu
    werden«, murmelte sie mit einem
    liebenswürdigen Lächeln. »Madame kann ja
    ihre Sohlen nachsehen.«

Und Gervaise, die sehr rot geworden war,
    setzte sich wieder hin, hob ihre Füße hoch und
    zeigte, daß nichts daran war.
    Coupeau hatte die Tür geöffnet und schrie mit
    barscher Stimme: »Guten Abend!« Er rief sie
    vom Gang aus.
    Da ging sie auch hinaus, nachdem sie eine
    Höflichkeitsphrase gestammelt hatte: sie hoffe
    sehr, daß sie sich wiedersähen und daß sie sich
    alle miteinander vertrügen.
    Aber die Lorilleux hatten sich schon wieder an
    die Arbeit gemacht hinten in dem finsteren
    Loch der Werkstatt, wo die kleine Schmiede
    leuchtete wie eine letzte, in der starken Hitze
    eines Ofens weißglühende Kohle. Die Frau,
    der ein Stückchen vom Hemd über die
    Schulter geglitten war und deren Haut vom
    Widerschein der Glut gerötet war, zog einen
    neuen Draht und blähte bei jeder Anstrengung
    ihren Hals auf, dessen Muskeln sich Schnüren
    gleich zu Knäueln zusammenrollten. Der
    Mann, der unter dem grünen Schein der
    Schusterkugel zusammengekrümmt dasaß und
    der an einem neuen Stückchen Kette zu
    arbeiten begann, bog die Öse mit der Zange,
    preßte sie auf der einen Seite zusammen,
    führte sie in die obere Öse ein und öffnete sie
    wieder mit Hilfe eines Stichels, und das alles
    ohne Unterbrechung, mechanisch, ohne eine
    Handbewegung dabei zu verlieren, ohne sich
    den Schweiß vom Gesicht zu wischen.
    Als Gervaise aus den Gängen auf den
    Treppenabsatz des sechsten Stocks hinaustrat,
    konnte sie, Tränen in den Augen, folgende
    Bemerkung nicht unterdrücken:
    »Das verheißt nicht viel Glück.«
    Coupeau schüttelte wütend den Kopf. Diesen
    Abend sollte Lorilleux ihm büßen. Habe man
    je so einen filzigen Kerl gesehen! Zu glauben,
    daß man ihm drei Körnchen seines Goldstaubs
    wegtragen könnte! Diese ganzen Geschichten
    seien reiner Geiz. Habe seine Schwester etwa
    geglaubt, er werde nie heiraten, damit sie ein
    paar Sous bei ihrem Eintopf für sich sparen
    könne? Kurzum, das würde trotzdem am 29.
    Juli stattfinden. Sie seien ihm ziemlich
    schnuppe!
    Aber Gervaise fühlte, als sie die Treppe
    hinabstieg, immer noch, wie ihr schwer ums
    Herz war und wie sie von einer dummen Angst
    gequält wurde, die bewirkte, daß sie voller
    Unruhe die größer gewordenen Schatten des
    Geländers absuchte. Zu dieser Stunde schlief
    die Treppe verödet, nur von der Gaslampe im
    zweiten Stock beleuchtet, deren
    kleingeschraubte Flamme den Lichttropfen
    einer Nachtlampe auf den Grund dieses
    Finsternisschachtes legte. Hinter den
    geschlossenen Türen hörte man die schwere
    Stille, den erdrückten Schlaf der Arbeiter, die
    sich gleich nach dem Essen hingelegt hatten.
    Doch aus der Stube der Plätterin drang
    gedämpftes Lachen, während ein dünner
    Lichtstrahl durch das Schlüsselloch bei
    Fräulein Remanjou glitt, die mit leisem
    Scherengeräusch noch die Gazekleider

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