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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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treten, sie würde ja sehen.
    Der Kettenmacher stimmte brummend zu. Er
    wickelte den von seiner Frau vorbehandelten
    Draht um einen Riegel, einen sehr dünnen
    Stahlstab. Dann vollführte er einen leichten
    Schnitt mit der Säge, der den Draht, von dem
    jede Windung eine Öse bildete, der ganzen
    Länge des Riegels nach durchschnitt. Darauf
    lötete er. Die Ösen wurden auf ein großes
    Stück Holzkohle gelegt. Er feuchtete sie mit
    einem Tropfen Borax an, den er dem Boden
    eines neben ihm stehenden zerbrochenen
    Glases entnahm, und rasch brachte er sie mit
    der Lampe in der waagerechten Flamme des
    Lötrohres zum Glühen. Als er etwa hundert
    Ringe hatte, machte er sich dann noch einmal
    an seine feine Arbeit, an die Kante des
    Feilnagels gelehnt, an ein Stückchen Brett, das
    vom Reiben seiner Hände blank geworden
    war. Er bog die Öse mit der Zange, preßte sie
    auf der einen Seite zusammen, hängte sie in
    die obere, schon an ihrem Platz befindliche
    Öse ein und öffnete sie wieder mit Hilfe eines
    Stichels; dies alles mit stetiger
    Regelmäßigkeit, wobei die Ösen so rasch
    aufeinanderfolgten, daß die Kette vor
    Gervaises Augen allmählich immer länger
    wurde, ohne daß es ihr vergönnt war, dem zu
    folgen und es richtig zu begreifen.
    »Das ist die Säule«, sagte Coupeau. »Es gibt
    die Panzerkette, die Ankerkette, die Kinnkette
    und die Schlangenkette. Aber das da ist die
    Säule. Lorilleux macht nur die Säule.«
    Der grinste vor Genugtuung. Während er
    fortfuhr, die zwischen seinen schwarzen
    Fingernägeln unsichtbaren Ringe mit der
    Zange zusammenzuzwicken, rief er:
    »Hör doch mal, Schwarzbeersaftjung! – Heute
    morgen habe ich eine Berechnung angestellt.
    Mit zwölf Jahren habe ich angefangen, nicht
    wahr? Na, und weißt du, was für ein Ende
    Säule ich wohl bis zum heutigen Tag gemacht
    habe?« Er hob sein blasses Gesicht und
    blinzelte mit seinen geröteten Lidern.
    »Achttausend Meter, hörst du! Zwei Meilen! –
    Jaja! Ein Ende Säule von zwei Meilen! Damit
    kann man allen Weibern des Viertels den Hals
    umwickeln ... Und das Ende wird immer
    länger, weißt du. Ich hoffe stark, daß ich von
    Paris bis Versailles komme.«
    Gervaise hatte sich wieder hingesetzt, war
    enttäuscht, fand alles sehr häßlich. Sie
    lächelte, um den Lorilleux gefällig zu sein.
    Was sie besonders bedrückte, war das
    Schweigen, das über ihre Heirat gewahrt
    wurde, über diese für sie so wichtige
    Angelegenheit, ohne die sie bestimmt nicht
    hergekommen wäre. Die Lorilleux
    behandelten sie weiterhin als lästige
    Neugierige, die von Coupeau mitgebracht
    worden war. Und als sich endlich eine
    Unterhaltung entsponnen hatte, drehte sie sich
    einzig und allein um die Mieter des Hauses.
    Frau Lorilleux fragte ihren Bruder, ob er beim
    Heraufkommen nicht gehört habe, wie sich die
    Leute aus dem vierten Stock prügelten. Diese
    Bénards schlügen sich alle Tage halbtot; der
    Mann komme besoffen wie ein Schwein nach
    Hause, und die Frau habe auch viel Schuld, sie
    schreie widerliche Dinge. Dann wurde über
    den Zeichner aus dem ersten Stock
    gesprochen, diesen langen Latsch, den
    Baudequin, einem bis über die Ohren in
    Schulden steckenden Angeber, der immerzu
    rauche und immerzu mit Kumpanen
    herumbrülle.

    Herrn

    Madiniers
    Kartonnagenwerkstatt schleppe sich nur noch
    so dahin; gestern abend habe der Meister
    abermals zwei Arbeiterinnen entlassen. Es
    geschähe ihm ganz recht, wenn er pleite gehe,
    denn er bringe alles durch und lasse seine
    Kinder mit nacktem Hintern herumlaufen.
    Frau Gaudron krempele ihre Matratzen ja
    komisch durch: sie sei schon wieder
    schwanger, was in ihrem Alter schließlich
    nicht gerade anständig sei. Der Hauswirt habe
    den Coquets im fünften Stock eben gekündigt,
    sie seien die Miete für ein dreiviertel Jahr
    schuldig. Außerdem setzten sie es sich in den
    Kopf, ihren Herd auf dem Treppenflur
    anzuzünden, obgleich Fräulein Remanjou, die
    Alte aus dem sechsten Stock, am vergangenen
    Sonnabend, als sie ihre Puppen wegbrachte,
    gerade noch rechtzeitig heruntergekommen
    sei, um zu verhindern, daß sich der kleine
    Linguerlot am ganzen Körper verbrannte. Was
    Fräulein Clémence, die Plätterin, angehe, so
    treibe sie es, wie sie es eben für richtig halte,
    aber man könne nichts sagen, sie sei
    leidenschaftlich tierlieb und habe ein goldenes
    Herz. Oh, wie schade, ein so schönes
    Mädchen, und dann mit allen Männern zu
    gehen! Sicher würde man sie eines Nachts auf
    dem Strich

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