Der Todschlaeger
antreffen.
»So, da ist eine«, sagte Lorilleux zu seiner
Frau und gab ihr das Stückchen Kette, an dem
er seit dem Mittagessen arbeitete. »Du kannst
sie richten.« Und mit der Beharrlichkeit eines
Menschen, der einen Scherz nicht so leicht
losläßt, fügte er hinzu: »Schon wieder vier und
einen halben Fuß ... Das bringt mich näher an
Versailles heran.«
Nachdem Frau Lorilleux die Säule ausgeglüht
hatte, richtete sie sie inzwischen, indem sie sie
durch das Regulierungszieheisen zog. Darauf
legte sie sie in eine kleine kupferne Pfanne mit
langem Stiel, die mit verdünntem
Scheidewasser gefüllt war, und beizte sie im
Feuer der Schmiede ab. Gervaise, die von
Coupeau erneut vorgeschoben worden war,
mußte diesen letzten Arbeitsvorgang
verfolgen. Als die Kette abgebeizt war, war sie
dunkelrot geworden. Sie war fertig,
ablieferungsbereit.
»Es wird unbearbeitet abgeliefert«, erklärte der
Bauklempner noch. »Die Poliererinnen reiben
das mit einem Wolltuch blank.«
Doch Gervaise fühlte, daß sie mit ihrem Mut
am Ende war. Die immer stärker werdende
Hitze benahm ihr den Atem. Man ließ die Tür
geschlossen, weil Lorilleux sich beim
geringsten Luftzug erkältete. Da nun noch
immer nicht von ihrer Heirat gesprochen
wurde, wollte sie gehen und zupfte Coupeau
leicht an der Jacke. Dieser verstand. Er begann
übrigens ebenfalls durch dieses absichtliche
Verschweigen verlegen und verärgert zu
werden.
»Na schön, wir brechen auf«, sagte er. »Wir
lassen euch arbeiten.« Er trat noch einen
Augenblick von einem Fuß auf den anderen, er
wartete, weil er ein Wort, irgendeine
Anspielung erhoffte. Schließlich entschloß er
sich, die Dinge selber anzuschneiden. »Hören
Sie mal, Lorilleux, wir rechnen auf Sie, Sie
sind doch der Trauzeuge meiner Frau.«
Der Kettenmacher hob den Kopf, tat
überrascht und grinste dabei, während seine
Frau von den Zieheisen abließ und sich mitten
in der Werkstatt aufpflanzte.
»Es ist also ernst?« murmelte er. »Dieser
verdammte Schwarzbeersaftjung, man weiß
nie, ob er Spaß macht.«
»Ach ja, Madame ist ja die Person«, sagte nun
die Frau und musterte Gervaise scharf. »Mein
Gott, wir haben euch ja keine Ratschläge zu
geben, wir ... Immerhin ist es ein komischer
Einfall, sich zu verheiraten. Na ja, wenn's euch
beiden recht ist. Wenn's nicht gut geht, muß
man sich selber die Schuld zuschreiben, das ist
alles. Und es geht nicht oft gut, nicht oft, nicht
oft ...« Bei diesen letzten Worten war ihre
Stimme langsamer geworden, sie schüttelte
den Kopf und überflog die junge Frau vom
Gesicht bis zu den Händen, zu den Füßen, als
wolle sie sie entkleiden, um ihr bis auf die
Poren der Haut zu sehen. Sie mußte sie wohl
besser finden, als sie erwartet hatte. »Mein
Bruder kann völlig tun und lassen, was er
will«, fuhr sie in geziertem Ton fort. »Freilich,
die Familie hätte sich ja vielleicht
gewünscht ... Man macht immer Pläne. Aber
die Dinge nehmen einen so komischen Lauf ...
Ich vor allem will mich nicht streiten. Hätte er
uns die Allerverworfenste angebracht, so hätte
ich zu ihm gesagt: ›Heirate sie und laß mich in
Ruhe ...‹ Doch schlecht hat er es hier bei uns
nicht gehabt. Er ist ziemlich fett, man sieht
recht gut, daß er nicht gerade gefastet hat. Und
immer seine heiße Suppe genau auf die Minute
... Sag mal, Lorilleux, findest du nicht, daß
Madame der Thérèse ähnlich sieht, du weißt
doch, dieser Frau von gegenüber, die an der
Schwindsucht gestorben ist?«
»Ja, etwas Ähnlichkeit ist vorhanden«,
antwortete der Kettenmacher.
»Und Sie haben zwei Kinder, Madame. Na,
hören Sie mal! Ich habe zu meinem Bruder
gesagt: ›Ich verstehe nicht, wieso du eine Frau
heiratest, die zwei Kinder hat ...‹ Sie dürfen
sich nicht ärgern, wenn ich seine Interessen
vertrete, das ist ganz natürlich ... Dabei sehen
sie nicht kräftig aus ... Nicht wahr, Lorilleux,
Madame sieht nicht kräftig aus?«
»Nein, nein, sie ist nicht kräftig.«
Sie sprachen nicht von ihrem Bein, doch
Gervaise begriff an ihren schiefen Blicken und
an ihren verkniffenen Lippen, daß sie darauf
anspielten. Sie blieb vor ihnen stehen, fest in
ihren dünnen Schal mit den gelben Palmen
gehüllt, und gab einsilbige Antworten wie vor
Gericht.
Coupeau, der sah, daß sie litt, rief schließlich:
»Das ist nicht so wichtig ... Ob ihr etwas
einzuwenden habt oder nicht, bleibt sich
gleich. Die Hochzeit findet am
Weitere Kostenlose Bücher